Bisher galten die Chefs von IHS und Wifo als "sakrosankt", künftig werde man genauer hinschauen müssen, sagt Oliver Picek, der Chefökonom des sozialliberalen Momentum-Instituts.

Hat der Neoliberalismus gewonnen? Lars Feld, bisheriger Chef der deutschen Wirtschaftsweisen, wird wissenschaftlichen Leiter des Instituts für Höhere Studien (IHS).
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Gabriel Felbermayr wechselt vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel ans Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) nach Wien.

Der Coup ist gelungen. Österreichs Wirtschaftsforschung wird marktliberal – zumindest die Spitzen der zwei wichtigsten Institutionen im Lande. Mit der Berufung des Ökonomen und CDU-Beraters Lars Feld an die Spitze des Instituts für höhere Studien (IHS) werden ab Herbst die beiden großen Wirtschaftsforschungsinstitute von überzeugten und meinungsstarken Marktliberalen geführt. Schon zuvor ist bekannt geworden, dass Gabriel Felbermayr Wifo-Chef wird. Beide sind exzellente Wissenschafter, doch beide kommen mit weltanschaulich ähnlicher Schlagseite. Der eine gilt in deutschen Medien als "Streiter für den Markt", der andere als "jemand, der für den Markt einsteht".

Die beiden Männer werden künftig die Regierung beraten und politische Maßnahmen beurteilen – aus einer wirtschaftsfreundlichen, liberalen Perspektive. Im Tandem kann man sich ihre Ratschläge leicht vorstellen: niedrigere Gewinnsteuern für Unternehmen und deren Eigentümer und Eigentümerinnen, obwohl das das teuerste und ineffektivste Mittel ist, um Investitionen anzukurbeln. Das Pensionsantrittsalter erhöhen, obwohl sich die Alterung auch anders bewältigen ließe. Staatsschulden abbauen, aber keinesfalls die Steuern erhöhen – womit sich als Konsequenz ein Abbau der Sozialausgaben ergibt. Den Staat zurückdrängen, obwohl es keinen wissenschaftlich belegten Zusammenhang zwischen Staatsquote und Wirtschaftswachstum gibt. Vermögensteuern für eine Lastenverteilung der Corona-Krise bleiben tabu, obwohl vermögensbezogene Steuern in Österreich sehr niedrig sind.

Zu ähnliche Sicht

Nicht zufällig überschneiden sich fast alle dieser Einschätzungen mit jenen industrienaher Denkfabriken. Es handelt sich naturgemäß um weltanschaulich geprägte Ansichten, weil die Wirtschaftswissenschaft die meisten dieser Fragen bei weitem nicht so eindeutig beantworten kann, wie ihre wortgewaltigen Vertreter und Vertreterinnen vorgeben.

Wie stark die Berührungspunkte beider Volkswirte mit Unternehmenseinheiten waren, zeigt ein Blick auf die Lebensläufe: Feld fungierte als wissenschaftlicher Beiratsvorsitzender der von reichen Spendern und einigen Konzernen finanzierten Agenda Austria und sitzt im Wirtschaftsrat der CDU. Felbermayr sitzt dem Beirat von Eco Austria vor, einem Wirtschaftsforschungsinstitut, das die Industriellenvereinigung aus der Taufe hob, als die IV das renommierte Wifo über Nacht als zu "linkslastig" bezeichnet und ihm die Zuschüsse gestrichen hat. Nimmt man die Besetzungen in der Nationalbank hinzu – eine Ökonomin von Raiffeisen als Chefökonomin, ein streng Konservativer als Gouverneur, dann denken bald alle, die in Österreich am Tisch sitzen dürfen, ähnlich. Zu ähnlich.

Beispiel Finanzkrise

Das ist problematisch, denn große Herausforderungen warten. Wie die Corona-Krise bezahlen? Wie die Klimakrise wirklich angehen? Wie verhindern, dass Reiche immer reicher werden und so die Demokratie aushebeln? Für Antworten auf diese Fragen braucht es eine kontroverse, aber produktive Diskussion der Fakten und deren Interpretation. So lassen sich vorgefasste Meinungen hinterfragen. So erreicht man die besten Lösungen.

Eine einseitige Besetzungspolitik der Chefsessel birgt die Gefahr, dass die wirtschaftspolitischen Ratschläge zu einhellig und damit undurchdacht werden. Schon in der Finanzkrise, der letzten großen Wirtschaftskrise vor Corona, hat sich dieser "group think" katastrophal ausgewirkt. Die dominante Meinung in der Ökonomie war, dass Märkte – und vor allem Finanzmärkte – reibungslos funktionieren. Andersdenkende wurden ignoriert, bis es zum Crash kam, der bis heute nachteilige ökonomische Folgen verursacht. Die Volkswirtschaft als Wissenschaft hat daraus gelernt, die Spitze der Forschung hat den Status neu bewertet und ihren Glauben an unregulierte Märkte großteils aufgegeben. Ausgerechnet zu einer Zeit, als sich die internationale Forschung weiterentwickelt, kommt es in Österreich nun zum Siegeszug des Wirtschaftsliberalismus.

Pause für Neoliberale

Dabei verkündete Vizekanzler Werner Kogler unlängst noch eine "Sendepause für Neoliberale". Die Pause, wenn es sie denn gab, dauerte nur kurz. Lauter als je zuvor werden wir auf allen Kanälen beschallt. Eine Erkenntnis der Sozialpsychologie ist, dass Menschen Meinungen umso eher glauben, je öfter sie diese gehört haben – unabhängig davon, ob sie die Aussage für richtig oder falsch halten. Im antiken Rom wusste das schon Cato, der jede seiner Reden mit dem gleichen Satz beendete (der Feind, Karthago, müsse zerstört werden).

Dass man nun aber vorsichtiger bei der Einordnung der Top-Experten und Top-Expertinnen in der Wirtschaftsberatung werden muss, ist für Österreich neu. Bisher galten die Chefs von IHS und Wifo als "sakrosankt", als unabhängige, scheinbar neutrale Einordner von Wirtschaft und Politik. Das war schon bisher falsch. Die Wissenschaftstheorie erklärt uns, dass pure Objektivität oder Neutralität unmöglich ist, dass die Interpretation wissenschaftlicher Ergebnisse mit einer vorgefassten theoretischen Brille erfolgt. Tragen alle die gleiche rosa Brille, sieht die Welt nur noch einfärbig aus. Eine kritische Auseinandersetzung mit den Rezepten der einflussreichen Institutschefs war daher immer angebracht. Mit den jetzigen Jobbesetzungen aber mehr denn je. (Oliver Picek, 6.7.2021)