Wenn es gelingt, das eigene Geld für sich arbeiten zu lassen, gilt das in der Regel als erfolgreich. Dann hat man es zu etwas gebracht. Besonders gut geht das natürlich am Kapitalmarkt. Denn, wie viele Hobby-Anlegerinnen und -Anleger gerne betonen, der Markt wächst langfristig immer. Man legt gut gestreut Geld am Finanzmarkt an, wartet ab, bis der Marktwert der dafür entstandenen Beteiligungen, Kryptowährungen oder anderer Anlageformen steigt, und verkauft das entsprechende Finanzprodukt dann wieder. Es mag Krisen und Einbrüche geben, aber auf kurz oder lang wird das Portfolio doch mehr wert. Eigentlich ganz einfach. Und auf den ersten Blick auch eine gute Lösung für viele Probleme unserer Gesellschaft. Denn so wie auf diese Weise quasi garantiert Geld verdient werden kann, wird ein Anteil des so verdienten Geldes auch wieder gespendet.

Internationale Größen wie Warren Buffet haben diesen Mechanismus optimiert, verdienen Milliarden am Finanzmarkt und spenden viel davon. Wie Buffet vor kurzem bekannt gab, hat er seit 2006 über 41 Milliarden US-Dollar an gemeinnützige Stiftungen gespendet, die das erhaltene Geld im Sinne des Gemeinwohls einsetzen. Gäbe es in Zukunft also mehr Menschen, die am Finanzmarkt reich werden, wären also tendenziell auch die großen Probleme unserer Zeit lösbar, richtig? Nicht ganz.

Besser später als früher?

Zumindest zwei Aspekte gilt es zu bedenken. Wie Buffet selbst schreibt, hadert er damit so früh bereits so viel seines Vermögens gespendet zu haben. Denn hätte er es länger im Finanzmarkt gebunden "liegen gelassen", wäre es entsprechend mehr wert geworden und er hätte zu einem späteren Zeitpunkt mit demselben ursprünglichen Kapitaleinsatz, mehr spenden können. Hier greift also das Prinzip der Deflation. Steigt der Geldwert immer weiter, stocken die Ausgaben. Im Sinne des Gemeinwohls führt Buffets Beispiel zu der paradoxen Situation, dass es sich aus finanzieller Perspektive morgen mehr auszahlt ins Gemeinwohl zu investieren als heute. Begibt man sich aber in die Problemperspektive, sei das der Klimawandel, Welthunger oder ungleicher Zugang zu Bildung, geht die Rechnung nicht mehr auf. Sich also die Frage zu stellen, ob man heute 100 Kinder verhungern lassen möchte, um morgen 120 vor dem Hungertod zu retten, führt schnell in ein moralisches Dilemma. Betriebswirtschaftliche Renditenberechnungen sind hier wohl weniger angebracht.

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Mehr reiche Menschen bedeuten nicht unbedingt, dass soziale Probleme behoben werden können.
Foto: REUTERS/Kacper Pempel/Illustration

Und zum anderen gibt es aus der Sicht des Gemeinwohls noch einen zweiten Aspekt zu bedenken. Auch wenn die Finanzwelt das oft so sieht, ist das endlose "Wachstum" des Finanzmarktes in seiner Begrifflichkeit irreführend. Denn das Geld vermehrt sich ja nicht wie organische Organismen. Viel mehr wächst der Markt, weil immer mehr Menschen, immer mehr Geld hineinstecken. Das heißt, jeder Dollar, den ein Buffet an Gewinn anführt, wird bei jemandem anderen als Verlust verbucht. Der Finanzmarkt führt also zu einer Verschiebung des Kapitals – und zwar von denen, die diese Dynamiken weniger gut verstehen, zu denen, die sie besser verstehen und letztlich auch ein Stück weit manipulieren können.

Symptome bekämpft, aber keine Schritte gesetzt

Plakativ gesprochen wandert das Kapital so etwa von einer alleinerziehenden Mutter ohne Ausbildung, die in der Hoffnung auf den schnellen Reichtum, einen Konsumkredit aufnimmt, um ein Hochrisiko Investment zu tätigen, zu einem bestens ausgebildeten Buffet, der den Finanzmarkt nicht nur zu 100 Prozent versteht, sondern durch seine Marktmacht vielleicht sogar manipulieren kann.

So trägt der Kapitalmarkt also zur sozialen Ungleichheit bei und hemmt im schlimmsten Fall auch noch die Finanzierung wichtiger gemeinnütziger Projekte. Dass Buffet und Konsorten ja bereits jetzt viel Geld spenden ist nett – damit werden aber nun doch wieder eher Symptome bekämpft, statt systemische Schritte zu setzen, um soziale Ungleichheit wirklich zu beenden oder endlich den Klimawandel in den Griff zu bekommen.

Aber im Grunde müssen wir ja froh sein, dass heute noch nicht genug passiert. Denn nur deshalb ist morgen das Geld da, um dann noch mehr zu bewegen. Oder übermorgen. (Fabian Scholda, Gregor Ruttner, 12.7.2021)