Gam-hee – eine nachdenkliche Frau in komplizierter Gefühlslage.

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Sie habe die Nase voll davon, Leute zu treffen, meint Gam-hee. Man müsse überflüssig viel reden und Dinge tun, die man nicht tun wolle. Ja, es sei schon anstrengend, stimmt Young-soon zu, aber notwendig. Die etwas ältere Freundin (Seo Young-hwa) ist nach der Scheidung von ihrem Mann erst kürzlich aus der Stadt gezogen, in eine Neubauwohnung mit Blick auf die Berge und Überwachungskameras in alle Himmelsrichtungen.

So hat sie Gam-hee (Kim Min-hee in ihrer siebenten Zusammenarbeit mit Hong Sang-soo), die schon in die falsche Richtung laufen wollte, noch vor dem Haus abgefangen. Die Begrüßung verklemmt sich allerdings ein wenig beim Anblick ihres abgeschnittenen Haars: "Du siehst aus wie eine durchgedrehte Schülerin".

In seinem 24. Film Die Frau, die rannte schickt der Südkoreaner die junge Gamhee in die Vororte von Seoul, wo sie nacheinander zwei Freundinnen besucht, bevor sie einer Bekannten aus schwierigen Tagen über den Weg läuft. Hongs Kino ist eines der Doppelungen, Spiegelungen, Repetitionen und Rekonfigurationen. Doch seit sich mit On the Beach at NightAlone (2017) der Fokus von den selbstmitleidigen schwachen Männern auf Frauen verschob, die nach einer mehr oder weniger verdauten Trennung nach ihren eigenen Wünschen zu leben versuchen, fallen auch die Wiederholungsschlaufen dezenter aus.

Nicht von Herzen

In Die Frau, die rannte ist der prägnanteste Refrain das Geständnis von Gam-hee, sie sei gerade zum ersten Mal seit fünf Jahren von ihrem Ehemann getrennt. Er sei eben der Ansicht, wer sich liebt, müsse immerzu zusammensein, das sei nur natürlich. Was sich anfangs noch ein wenig rührend anhört, klingt nach dem dritten Mal schon eher nach Bedrängnis. "Wiederholungen kommen aus dem Gedächtnis, es kann also nicht von Herzen kommen", wird Woojin (Kim Sae-byeok), die dritte Frau in der Geschichte, einmal über ihren geschwätzigen Künstlerehemann sagen, den sie Gam-hee einst ausspannte. Männer kommen in Die Frau, die rannte nur in Erzählungen vor oder als nervtötende Störenfriede, die von hinten gefilmt werden, um ihre Bedeutung noch ein wenig mehr herabzusetzen.

Filmgarten

Als Gam-hee und Young-soon bei Grillfleisch über die Möglichkeit einer vegetarischen Ernährung sprechen ("unser Bewusstsein könnte locker mit Kühen kommunizieren"), klingelt ein Nachbar: Ob sie bitte aufhören könnten, die herumstreunenden "Räuberkatzen" zu füttern und so anzulocken, seine Frau traue sich nicht mehr in den Garten. Menschen gingen doch vor.

Katzen sind wichtig

"Natürlich sind Menschen wichtig. Aber für Katzen ist Futter ebenso wichtig. Für uns sind sie ehrlich gesagt wie Kinder, also geben wir ihnen jeden Tag zu essen", meint Young-soons Mitbewohnerin mit entwaffnender Logik. In der Episode ist außerdem von einem abartigen Hahn die Rede, der die Hennen von hinten anfalle und ihnen den Nacken kahl picke, nur um zu zeigen, dass er der Stärkste sei. G-amhees Freundin Suyong (Song Seon-mi) ist die nächste Station.

Auch sie ist geschieden und in die Vorstadt gezogen, an den Berg Inwang. Sie verdient ihr Geld mit Pilates, macht kreativen Tanz und hat einen Flirt mit einem Architekten aus der zweiten Etage. Wieder klingelt es an der Tür. Ein lästiger junger Dichter, mit dem sie einmal im Suff geschlafen hat, will sich aussprechen. Suyong wimmelt ihn ab, er sei ein Stalker und solle verschwinden – "Ich bin auch ein Mensch", klagt er.

Hong verwebt die immer etwas verstellten, oftmals sehr komischen Begegnungen zu einer federleichten Konstruktion, deren Kammern sich eher hintergründig mit komplizierten Gefühlslagen und unbeantworteten Fragen füllen. Gam-hee gibt sich dabei immer mehr als eine Frau auf der Flucht aus ihrem Leben zu erkennen. (Esther Buss, 7.7.2021)