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Jubelposen sind Gareth Southgate normalerweise fremd. Gegen Deutschland ging Englands Coach leicht aus sich heraus. Und gegen Dänemark?

Foto: REUTERS/SIBLEY

Seine Gedanken kreisen schon um das Endspiel am Sonntag, daraus macht Harry Kane kein Geheimnis. "Natürlich habe ich schon die Bilder vom Finale in meinem Kopf. Ich würde lügen, wenn ich etwas anderes behaupten würde. Es wäre ein Traum", sagt der 27-jährige Kapitän der englischen Nationalmannschaft.

Doch vor dem Traum kommt die Kür. Denn als Pflicht, so beteuern alle Beteiligten brav, wird das Halbfinale gegen den Außenseiter Dänemark im Wohnzimmer Wembley nicht empfunden. Es ist schließlich von historischer Bedeutung: "Was für eine Möglichkeit, was für eine Chance", sagte Kane der BBC: "Das wird eine einmalige Erfahrung."

Kein Platz für Dänen

Beim 2:0 im Achtelfinale gegen Deutschland hatte Teammanager Gareth Southgate das Wembley "so laut wie noch nie" erlebt. Heute sind nicht nur rund 45.000 sondern mehr als 67.000 Fans mit von der Partie. Da keine dänischen Fans wegen der Quarantänebestimmungen spontan angereist sind, werden die Skandinavier kaum Unterstützung genießen. Er erwarte eine "beeindruckende Atmosphäre", sagte Kane vor Englands erst zweitem EM-Halbfinale nach 1996 (5:6 im Elferschießen gegen Deutschland), aber "ich denke auch oft an Russland, da haben wir ein tolles Turnier gespielt – mit einem plötzlichen Ende." Die bittere Erfahrung bei der WM 2018, als England in der Vorschlussrunde an den coolen Kroaten scheiterte, soll als Warnung dienen.

Abwehrchef Harry Maguire glaubt, dass die damalige Niederlage lehrreich, ja für die Entwicklung der englischen Mannschaft sogar hilfreich gewesen ist. "Wir müssen mit einem positiveren Gefühl in das Spiel gehen als gegen Kroatien", sagte der 28-Jährige. "Damals waren wir erstmals seit langer Zeit wieder in einem Halbfinale, jetzt haben wir einen viel größeren Glauben. Das gilt für die Fans, aber natürlich auch für uns als Mannschaft."

Der Druck

Acht Spieler von damals stehen noch in Southgates Kader, sechs von ihnen – Maguire, Kane, John Stones, Kyle Walker, Raheem Sterling und Torhüter Jordan Pickford – werden vermutlich heute beginnen. "Ich bin mir sicher, dass wir uns als Mannschaft weiterentwickelt und ein anderes Level erreicht haben", sagte Maguire.

Der immense Druck könnte England jedoch auch hemmen, das ist zumindest die Hoffnung der Dänen, denen weniger die Offensive mit Kane und Sterling, sondern eher die Defensive der Engländer Sorgen bereiten sollte. Southgates Truppe hat als einzige bei der EM noch kein Gegentor kassiert, Torhüter Pickford und die Innenverteidigung Stones und Maguire sind extrem aufmerksam. Davor sorgen die zweikampfstarken Mittelfeldspieler Declan Rice und Kalvin Phillips dafür, dass viele gegnerische Angriffe schon frühzeitig enden.

"Nation der Helden"

Vor allem gereicht das dem ehemaligen Klasseverteidiger Southgate zur Ehre. Fast vier Jahre hat er gebraucht, um die Fans von seiner Version der Three Lions zu überzeugen. "Unsere Nation der Helden", titelte die Daily Mail zu Fotos von Sterling und Kane sowie Helfern der Gesundheitsbehörde NHS, die von der Queen für ihren Einsatz gegen Corona geehrt wurden.

Southgate selbst wurde zu Beginn der EM noch kritisiert, weil sein Team trotz zahlreicher Offensivstars nicht durch die Vorrunde wirbelte, sondern trockenen Ergebnisfußball ablieferte. Da wurde auch gespottet, dass der 50-jährige Anzugträger aufgrund seiner Eloquenz vielleicht eher für den diplomatischen Dienst als für den Job als Nationalcoach geeignet wäre.

Mode

"Dank Southgate ist England wieder in Mode", schrieb die Tageszeitung The Times vor dem Halbfinale. Der Titel am 11. Juli wäre für den Mann aus Watford, der für Crystal Palace, Aston Villa, Middlesbrough sowie 57-mal für sein Land verteidigte, eine Versöhnung mit der eigenen Vergangenheit. Er hatte als 25-Jähriger im Halbfinale der Heim-EM vor 75.862 Zuschauern im Wembley gegen die Deutschen bei seinem Versuch im Elferschießen versagt. "Das wird mir immer wehtun", sagte er erst vor einer Woche.

"Gareth, du musst dich bei uns nicht für die EM 1996 entschuldigen. Lass los. Wir sind so stolz auf dich", schrieb Sturmlegende Alan Shearer in einer Kolumne. Southgate freute das, aber es reicht ihm nicht. (sid, lü, 6.7.2021)

Mögliche Aufstellungen zum Fußball-EM-Halbfinale am Mittwoch in London:

England – Dänemark (London, Wembley Stadion, 21.00 Uhr/live ORF 1, SR Van Boekel/NED)

England: 1 Pickford – 2 Walker, 5 Stones, 6 Maguire, 3 Shaw – 14 Phillips, 4 Rice – 17 Sancho, 19 Mount, 10 Sterling – 9 Kane

Ersatz: 13 Ramsdale, 23 Johnstone – 12 Trippier, 15 Mings, 21 Chilwell, 24 James, 8 Henderson, 16 Coady, 22 White, 20 Foden, 7 Grealish, 11 Rashford, 25 Saka, 26 Bellingham, 18 Calvert-Lewin

Dänemark: 1 Schmeichel – 6 Christensen, 4 Kjaer, 3 Vestergaard – 17 Stryger Larsen, 23 Höjbjerg, 8 Delaney, 5 Maehle – 9 Braithwaite, 12 Dolberg, 14 Damsgaard

Ersatz: 16 Lössl, 22 Rönnow – 2 Andersen, 13 Jörgensen, 26 Boilesen, 7 Skov, 15 Nörgaard, 18 Wass, 24 Jensen, 25 Christiansen, 11 Skov Olsen, 19 Wind, 20 Poulsen, 21 Cornelius

Fehlt: 10 Eriksen (nach Herz-OP)