Wer ein Haus bauen will, zeichnet zuerst einen Plan und errichtet das Haus dann präzis gemäß den Vorgaben des Plans. So weit die Theorie. In der Praxis gibt es jedoch immer Abweichungen zwischen Plan und Realität. Das kann viele Gründe haben – Missverständnisse zwischen verschiedenen beteiligten Firmen, unvorhersehbare Schwierigkeiten, die spontan vor Ort gelöst werden müssen, oder kurzfristige Änderungswünsche des Auftraggebers.

Keine Probleme beim Treppensteigen: Der mittlerweile berühmte Roboter kann sich auch auf unwegsamem Terrain fortbewegen, was ihm auf Baustellen zugutekommen dürfte.
The Verge

Gemäß dem Paradigma des "agilen Bauens" werden manche Entscheidungen auch ganz bewusst nicht im Plan festgelegt, sondern den Ausführenden auf der Baustelle überlassen. Und schließlich gibt es zuweilen den ganz banalen Pfusch. Solche Divergenzen zwischen Plan und Ausführung können unliebsame Folgen haben. Etwa, wenn nach einigen Jahren ein Kabel oder eine Rohrleitung erneuert werden muss und die Struktur nicht dort vorgefunden wird, wo sie laut Plan eigentlich sein sollte.

Digitaler Klon

Eine möglichst detaillierte und lückenlose Dokumentation der Bauarbeiten ist da von großem Vorteil. Derzeit erfolgt sie meist mittels Fotos. Bei Großprojekten ist es allerdings fast aussichtslos, unter tausenden Bildern die gesuchte Information zu finden. Timur Uzunoglu, Geschäftsführer des Bauplanungsunternehmens Convex, schwebt für die Zukunft deshalb eine wesentlich elaboriertere Methode der Baustellendokumentation vor.

Sein Ziel ist ein sogenannter digitaler Klon eines Gebäudes. "Das ist ein visueller Bauplan, der die gesamte Baugeschichte zu jedem einzelnen Zeitpunkt dokumentiert", sagt Uzunoglu. Damit wäre es möglich, wie in einem Film gezielt bestimmte Szenen anzuwählen. "Man kann dann zu einem beliebigen Moment zurückgehen und sich genau ansehen, was dort gemacht wurde."

Kameras und Laserscan

Eine Schlüsselrolle beim Erstellen des digitalen Klons soll dem vierbeinigen Laufroboter Spot zukommen. Spot wird von der US-amerikanischen Firma Boston Dynamics produziert und geht für rund 70.000 Dollar über den Ladentisch. Der Roboter hat sechs Kameras installiert, die es ihm erlauben, Hindernisse in der unmittelbaren Umgebung zu erkennen und ihnen auszuweichen. Seine an Hunde angelehnte Bewegungsart bietet außerdem hohe Trittsicherheit auf unterschiedlichen Terrains.

Uzunoglus Idee ist verblüffend simpel: Spot soll autonom über die Baustelle spazieren und mittels eines an der Oberseite angebrachten 360-Grad-Laserscanners permanent seine Umgebung aufnehmen.

Ganz so einfach ist es allerdings doch nicht. Der Laserscanner von Spot erzeugt nämlich sogenannte Punktwolken, also Pixel-Strukturen, die für sich genommen keine Bedeutung haben. Hier kommt das auf Virtual Reality und Visualisierung spezialisierte Wiener Forschungsunternehmen VRVis ins Spiel, das die Technologie gemeinsam mit Uzunoglu entwickelt. Gefördert wird dies im Rahmen des Kompetenzzentrenprogramms Comet mit Mitteln der Bundesministerien für Klimaschutz (BMK) und Wirtschaft (BMDW).

Baustellenreifer Robo-Hund

Auf einer Baustelle in Perchtoldsdorf bei Wien haben die Projektpartner den Laufroboter auf seine grundsätzliche Eignung für das gesteckte Ziel getestet. Jetzt soll die Technologie zur Serienreife gebracht werden. Eine zentrale Anforderung ist dabei, den Unterschied zwischen relevanten und irrelevanten Änderungen auf der Baustelle automatisiert erkennen zu können.

Steht zum Beispiel eine Scheibtruhe oder ein Zementsack herum, spielt das für die Dokumentation keine Rolle. "Der Roboter soll selbst entscheiden können, ob ein Scanschatten vorliegt. Er wird dann zum Beispiel um die Scheibtruhe herumgehen und dahinter noch eine Aufnahme machen", sagt Thomas Ortner, Leiter einer Forschungsgruppe zu raumbezogener Visualisierung und Modellierung bei VRVis. "Er bewertet also schon während der Aufnahme autonom die Qualität des Scans." Auch bereits abgeschlossene Bauarbeiten, etwa eine fertig verputzte Wand, kann Spot bei seinen Streifzügen über die Baustelle ignorieren.

Viele Dinge muss Spot dabei erst noch lernen. Personen, die sich über die Baustelle bewegen, müssen beispielsweise aus seinen Aufnahmen herausgerechnet werden. Und viele Objekte sind bisher nur schwer automatisiert aus der Punktwolke zu extrahieren. Dazu zählen beispielsweise Kabel, kleine Rohre oder flache Bewehrungsgitter.

Autonomer Spazierer

Schließlich soll der digitale Klon nicht nur wie ein Film funktionieren, den man sich passiv ansieht. Es soll darin gezielt nach Begriffen oder Objektgruppen gesucht werden können. Man könnte sich dann alle Elektrokabel anzeigen lassen, kurz bevor die Wand geschlossen wird, oder alle Bewehrungseisen, bevor man den Boden gießt. Dafür soll der digitale Klon in das sogenannte BIM-Modell einfließen.

BIM steht für "Building Information Modeling" und stellt einen De-facto-Standard im Bauwesen dar. Dabei handelt es sich um ein hierarchisches und geometrisches Modell, das semantische Informationen über Objekte (Räume, Träger, Wände, Türen, Steckdosen) und Relationen zwischen ihnen beinhaltet.

Um in der Punktewolke konkrete Objekte geometrisch erkennen und sie korrekt benennen zu können, werden Methoden der künstlichen Intelligenz, aber auch klassische Mustererkennung zum Einsatz kommen. "Wir wollen den Roboter in der Früh auf der Baustelle absetzen und am Nachmittag wieder abholen. Dazwischen hat er autonom den gesamten Baufortschritt dieses Tages dokumentiert", beschreibt Ortner das Fernziel. Vielleicht wird Spot damit sogar zum besten Freund der Bauleitung. (Raimund Lang, 7.7.2021)