"Der Fußball hat gezeigt, dass er imstande ist, die Leute zu begeistern und für Aufbruchstimmung zu sorgen."

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Bei der EM 1984 hatte Dänemark viele Gründe zum Jubeln. Im Halbfinale verlor man allerdings gegen Spanien.

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Josef Emanuel Hubertus Piontek hat die Grundsteine des modernen dänischen Fußballs gelegt und ist mitverantwortlich, dass "Danish Dynamite", wie die Nationalmannschaft der 1980er-Jahre aufgrund ihres Angriffsfußballs genannt wurde, ein weltweit anerkanntes Label wurde. Als "Sepp" Piontek 1979 Teamchef der Dänen wurde, war die Auswahl ein weißer Fleck auf der Landkarte des Fußballs. Es folgten die EM 1984 in Frankreich, wo Dänemark im Halbfinale im Elfmeterkrimi gegen Spanien ausgeschieden ist, und die Teilnahme an der WM 1986, wo die Skandinavier in der Gruppenphase den späteren Finalisten Deutschland 2:0 besiegt hatten, aber im Achtelfinale erneut an den Iberern scheiterten. Heute lebt Piontek, der im Alter von fünf Jahren mit der Familie von Breslau nach Ostfriesland geflohen war, im beschaulichen Blommenslyst nahe Odense.

STANDARD: Dänemark steht zum ersten Mal nach 1992 wieder im Halbfinale einer EM. Ist der Erfolg für Sie mehr als eine willkommene Überraschung?

Piontek: Ich hätte nie erwartet, dass sich die Mannschaft nach dem dramatischen Ereignis um Christian Eriksen so aufrappeln könnte. Sie stand ja regelrecht mit dem Rücken zur Wand, nachdem sie die beiden Gruppenspiele gegen Finnland und Belgien verloren hatte. Da hat Trainer Kasper Hjulmand hervorragende Arbeit im psychologischen Bereich geleistet. Chapeau!

STANDARD: Aus dem Albtraum mit dem Herzstillstand von Eriksen ist ein Sommermärchen entstanden. Wie kam es zu dieser Entwicklung?

Piontek: Dänemark verfügt bekanntlich über hervorragende Märchen. Warum soll da der Fußball ausgenommen werden? Ausschlaggebend war, dass Eriksen nach seiner Reanimierung den Wunsch geäußert hat, dass die Mannschaft das Turnier fortsetzen soll. Von dem Moment an hat sich die Mannschaft, mit der weisen Führung des Trainers, regelrecht zusammengeschweißt und ist über sich hinausgewachsen. Der Trainer betont immer wieder, dass die Mannschaft Eriksen auf ihren Etappen mit sich trage. Jetzt scheint sie einen richtigen Schub bekommen zu haben.

STANDARD: Kann das Team nun mit diesem Schub im Wembley gegen Gastgeber England bestehen? Sie haben dort immerhin im September 1983 mit einem spektakulären 1:0-Erfolg die Teilnahme für die EM 1984 in Frankreich besiegelt.

Piontek: Das war in der Tat ein epischer Sieg im ausverkauften Wembley-Stadion, wo 14.000 dänische Anhänger gefeiert haben. Diesmal werden es leider nicht so viele sein, aber nichtsdestoweniger bin ich optimistisch, dass wir das wiederholen können. Der Druck wird auf den Engländern lasten, die nach 55 Jahren wieder einen Titel holen möchten. Der heilige Rasen scheint ein gutes Pflaster für Dänemark zu sein. Ich freue mich unheimlich aufs Match.

STANDARD: Die EM neigt sich dem Ende zu. Wie haben Sie eigentlich diese paneuropäische Meisterschaft, inmitten einer Pandemie, erlebt?

Piontek: Für mich war das ein Lichtblick in dieser düsteren Periode, in der es so viele Beschränkungen und Entbehrungen gab. Der Fußball hat gezeigt, dass er imstande ist, die Leute zu begeistern und für Aufbruchstimmung zu sorgen. Die Skepsis etlicher vor zu vollen Stadien und einer eventuellen vierten Infektionswelle halte ich hingegen für übertrieben.

STANDARD: Sie leben in der Nähe von Odense. Ist die Fußball-Euphorie momentan omnipräsent?

Piontek: Das kann man sagen. Ich sehe überall Leute, die das rot-weiße Trikot tragen und denen man die Zuversicht vom Gesicht ablesen kann. Man muss ewig zurückblicken, um solch eine breite, positive Stimmung in Bezug auf ein Sportereignis zu finden. Der Zusammenhalt in der Gesellschaft ist gewaltig.

STANDARD: Ihr ehemaliger Spieler Flemming Povlsen sagte in einem Interview mit der "SZ", dass die aktuelle Mannschaft eine Kopie jener sei, die 1992 in Schweden den EM-Titel geholt hat. Teilen Sie seine Meinung?

Piontek: Schwer zu sagen. Solche Vergleiche hinken immer etwas. Was mir bei der aktuellen Mannschaft imponiert, ist die Tatsache, dass etliche junge Spieler wie Maehle oder Dolberg den Sprung ins kalte Wasser mit Bravour gemeistert haben. Da fällt der etatmäßige Stürmer Yussuf Poulsen aus, und sein Ersatzmann Dolberg erzielt gegen Wales einen Doppelpack. Das ist für mich ein Indiz, dass die Mannschaft sehr homogen und intakt ist.

STANDARD: Stimmt die Anekdote, dass bei Ihrem Debüt als dänischer Teamchef die Kabinenansprache entfiel, weil Stürmerstar Preben Elkjaer in der Toilette seine obligatorische Zigarette rauchte und der Schiedsrichter dann den Gang aufs Feld anordnete?

Piontek: Das war wirklich zum Lachen. Ich kannte damals dieses Ritual von Preben nicht. Erst im Nachhinein wurde ich eingeweiht, dass er vor dem Spiel, vor Aufregung, eine Zigarette benötigte. Er war wahrhaftig ein fantastischer Spieler, aber immer an der Grenze zum Rauswurf. Heute ist er TV-Experte, was absolut zu seinem Charakter passt, weil er nie um einen lockeren Spruch verlegen ist. (Dimitrios Dimoulas, 7.7.2021)