Im Gastkommentar geht der Politikwissenschafter Laurenz Ennser-Jedenastik auf die Frage ein, wie stark die Bundespolitik bei Landeswahlen schlagend wird.

Wer gut im Bundestrend liegt, schlägt sich auch gut bei Landeswahlen. Im Herbst wählt Oberösterreich: Landesparteichef Thomas Stelzer mit Parteichef Sebastian Kurz.
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Als Beobachter der österreichischen Politik kann man sich bisweilen des Eindrucks nicht erwehren, im Verhältnis zwischen Bund und Ländern stünden die Dinge kopf. Auf dem Papier ist alles klar: Die für die Politikgestaltung relevanten Kompetenzen sind überwiegend auf Bundesebene angesiedelt. Auch der Großteil an Staatseinnahmen und -ausgaben wird durch den Bund erledigt. Das gesetzgeberische Gewicht von Bundesrat und Landtagen ist demgegenüber gering.

Die politische Praxis funktioniert jedoch oft umgekehrt. Gegen den vereinten Widerstand der Länder setzen Bundespolitiker sich selten durch – selbst wenn sie formal dazu in der Lage wären (schlag nach bei Rudolf Anschober). Und wehe der Parteichefin, die von den eigenen Landesparteien torpediert wird!

Höher im Kurs

Auch wenn man beobachtet, wohin es karrierebewusste Persönlichkeiten in der Politik zieht, so steht ein Job an der Landesspitze klar über dem inhaltlich bedeutsameren Ministeramt. Als beste Beispiele seien hier nur Günther Platter (Tirol), Johanna Mikl-Leitner (Niederösterreich) oder Hans Peter Doskozil (Burgenland) genannt. Der einzige Wechsel in die Gegenrichtung war jener des Salzburger Landeshauptmanns Josef Klaus, der 1961 Finanzminister und 1964 Bundeskanzler wurde.

Man könnte also zu dem Schluss kommen, bei den politischen Akteuren stünde die Landesebene höher im Kurs als die Bundesebene. Dabei ist es beim Wahlverhalten genau andersrum: Hier sind die Landesparteien von der Performance ihrer Bundesparteien abhängig, nicht umgekehrt.

Umfragen und Erwartungen

Nehmen wir die kommende Landtagswahl in Oberösterreich als Beispiel. Zum Zeitpunkt des letzten Wahlgangs im Herbst 2015 bot sich in der bundesweiten Sonntagsfrage folgendes Bild: Die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP lagen in den niedrigen Zwanzigern, die FPÖ war mit über 30 Prozent auf Höhenflug, die Grünen kamen auf rund 14 Prozent, die Neos auf rund sechs. Heute hingegen liegt die FPÖ unter 20 Prozent, die ÖVP über 30. Grüne und SPÖ sind nicht allzu weit von ihren damaligen Werten entfernt, die Neos liegen mit rund zwölf Prozent deutlich darüber.

Der Bundestrend (also die Differenz zwischen Bundesumfragewerten heute und jenen zum Zeitpunkt der letzten Landtagswahl) ließe also Zuwächse für ÖVP und Neos, Verluste für die FPÖ und etwa gleichbleibende Ergebnisse für SPÖ und Grüne erwarten – die spärlich vorhandenen Umfragen entsprechen dieser Erwartung einigermaßen. Das allerdings nur unter der Annahme, dass sich Bundesumfragewerte in Ergebnissen von Landtagswahlen niederschlagen.

"Landtagswahl-Performance = Bundestrend + Bundesregierungs-Malus"

Überprüft man diese Annahme für sämtliche 38 Landtagswahlen zwischen 2000 und 2020, so kommt man zu einem eindeutigen Ergebnis: Die Korrelation zwischen Bundestrend und Landtagswahl-Performance ist positiv und robust. Für jeden Prozentpunkt Gewinn oder Verlust im Bundestrend gibt es im Schnitt einen halben Prozentpunkt Gewinn oder Verlust bei der Landtagswahl. Dazu kommt noch ein Landtagswahl-Malus von durchschnittlich zwei Prozentpunkten für Parteien, die im Bund regieren.

Die simple Formel Landtagswahl-Performance = Bundestrend + Bundesregierungs-Malus lässt sich empirisch also gut belegen. Natürlich lassen sich damit Landtagswahlen nicht zu hundert Prozent erklären oder gar vorhersagen. Für die untersuchten 38 Landtagswahlen haben die beiden Bundesfaktoren (Umfragetrend und Regierungsbeteiligung) zusammen eine Erklärungskraft von rund 50 Prozent. Das bedeutet, dass Landtagswahlergebnisse zur Hälfte durch Einflüsse der Bundesebene erklärt werden können.

Regionale Spezifika

Das lässt viel Platz für regionale Spezifika. Die auffälligsten Ausreißer aus dem eben geschilderten Muster bestätigen das: So fuhren die Freiheitlichen in Kärnten 2013 infolge des Hypo-Alpe-Adria-Skandals trotz neutralen Bundestrends den größten Verlust bei Landtagswahlen in der Zweiten Republik ein (minus 28 Prozentpunkte). Nur etwas besser erging es im selben Jahr der Salzburger SPÖ, die infolge des Spekulationsskandals 16 Punkte verlor (bei leicht negativem Bundestrend).

Umgekehrt können sich regional populäre Spitzenkandidaten erfolgreich vom Bundestrend entkoppeln: So geschehen bei der Kärntner FPÖ 2004 (Jörg Haider) und der SPÖ Burgenland 2020 (Hans Peter Doskozil), die beide weit bessere Ergebnisse einfuhren, als der bundesweite Umfragetrend es hätte vermuten lassen.

Gerade die beiden letzten Fälle lassen sich bis zu einem gewissen Grad verallgemeinern: Die Parteien amtierender Landeshauptleute sind dem Bundestrend im Mittel etwas weniger stark ausgeliefert (rund ein Viertelprozentpunkt auf oder ab pro Punkt Gewinn oder Verlust im Bundestrend) als andere Landesparteien (rund 0,6 Punkte auf oder ab pro Punkt Gewinn oder Verlust im Bundestrend).

Denkzettel für Bund

Warum aber schlagen Bundesfaktoren überhaupt so deutlich auf Landeswahlen durch? Dazu gibt es einige Hypothesen aus der Politikwissenschaft. Wir wissen aus zahlreichen Studien zu "Wahlen zweiter Ordnung" (etwa zum Europäischen Parlament oder Midterm-Elections in den USA), dass die Wählerschaft oft über weniger Information zum Geschehen auf diesen Ebenen verfügt. Zudem dominieren diese häufig nationale Themen. Folglich ziehen Wählerinnen und Wähler auch dort bundespolitische Faktoren in ihre Wahlentscheidung mit ein – etwa in Form eines Denkzettels für die Regierenden im Bund.

Auch für die Oberösterreich-Wahl im Herbst gilt also: Je weniger regionale Themen oder Persönlichkeiten in Diskussion stehen, desto mehr Niederschlag werden bundespolitische Faktoren am Wahltag finden. (Laurenz Ennser-Jedenastik, 7.7.2021)