Der Reporter wurde beim Verlassen eines TV-Studios auf offener Straße niedergeschossen.

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Amsterdam – Schock in den Niederlanden: Ein Mordanschlag auf den prominenten niederländischen Kriminalreporter Peter R. de Vries hat das Land zutiefst entsetzt. Nach der Festnahme von drei Verdächtigen hofft die Polizei auf eine schnelle Aufklärung der Tat. Ministerpräsident Mark Rutte sprach in der Nacht zum Mittwoch von einem "Anschlag auf den freien Journalismus". Es ist nicht der erste Angriff in Zusammenhang mit organisierter Kriminalität, der in den vergangenen Jahren das Land erschüttert.

Der Reporter war beim Verlassen eines TV-Studios beim Leidseplein im Zentrum von Amsterdam auf offener Straße niedergeschossen und lebensgefährlich verletzt worden. Zuvor hatte er dort über den Mordfall in einem Friseurstudio 2019 berichtet. Auf Fotos und Videos in den sozialen Medien ist zu sehen, dass de Vries schwer verletzt am Boden lag. Er sei mit einem Kopfschuss ins Krankenhaus gebracht worden, teilte die Polizei mit. "Peter R. de Vries kämpft um sein Leben", sagte zutiefst bestürzt die Bürgermeisterin von Amsterdam, Femke Halsema. Sie nannte ihn auch einen "Nationalhelden".

Hintergründe unklar

Drei Verdächtige wurden nach Angaben der Polizei festgenommen, darunter auch der vermutliche Schütze. Einer der drei wurde mittlerweile wieder freigelassen. Aber über die Hintergründe der Tat wurde offiziell noch nichts mitgeteilt. Eine Sonderkommission wurde eingesetzt.

De Vries ist auch international bekannt für seine Berichte über spektakuläre Verbrechen. Prominenz erlangte der Reporter 1987 etwa mit seinem Bestseller über die Entführung des Bierbrauers Freddy Heineken. 2008 gewannt er einen Emmy Award für seine Reportagen über den Fall von Natalee Holloway. Die Amerikanerin war 2005 auf Aruba verschwunden und vermutlich von einem Niederländer getötet worden. 2013 war der damalige Entführer verurteilt worden, weil er Drohungen gegen de Vries ausgestoßen hatte. Er sitzt wegen seiner Rolle in der Entführung allerdings lebenslang in Haft.

Mammutprozess gegen Drogenbande

Auch wenn es noch keine offiziellen Mitteilungen zur Person der Verdächtigen und den möglichen Hintergründen gibt, überschlagen sich nicht nur deshalb die Spekulationen. De Vries ist zurzeit auch Vertrauensperson des Kronzeugen in einem großen Prozess gegen das organisierte Verbrechen, im sogenannten Marengo-Fall. In einem der größten und wichtigsten Strafprozesse gegen die organisierte Kriminalität in den Niederlanden stehen 16 mutmaßliche Mitglieder der Marengo-Bande der Rotterdamer Drogenmafia unter anderem wegen sechsfachen Mordes und mehrerer Mordversuche vor Gericht. 2019 war bereits der Anwalt des Kronzeugen und 2018 dessen Bruder erschossen worden. Der in beiden Fällen verdächtige Angeklagte, Ridouan T., hatte bereits 2019 in Abrede gestellt, dass er auch de Vries mit dem Tod bedroht habe. Dieser hatte zuvor berichtet, dass er selbst auf einer Todesliste des Verdächtigen stehe.

De Vries hatte zudem in der vergangenen Woche eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, um ein weiteres Verbrechen aufklären zu lassen, den Fall einer 1993 getöteten Studentin. Spenden von einer Million Euro sollten sicherstellen, dass der Mord noch vor dem Tod ihrer Eltern geklärt werden könne.

Schock in der Staatsspitze

Der Anschlag jedenfalls hat das Land geschockt, TV-Sender berichteten in Sondersendungen über die Tat. Premier Rutte und Justizminister Ferd Grapperhaus waren mit der Antiterrorismusbehörde zusammengekommen. Politiker mehrerer Parteien und die Journalistengewerkschaft reagierten entsetzt. Aus Berlin reagierte auch das Königspaar "tief geschockt". "Journalisten müssen ohne Bedrohung und frei ihre wichtige Arbeit tun können", schreiben König Willem-Alexander und seine Frau Máxima auf Facebook. Das Paar stattet zurzeit Deutschland einen Staatsbesuch ab. Reporter Ohne Grenzen Österreich sprach in einer Aussendung von einem "mörderischen Anschlag auf die Pressefreiheit mitten in Europa. Präsidentin Rubina Möhring forderte verbesserten Schutz für Journalistinnen und Journalisten.

Im Jahr 2018 hatte sich in den Niederlanden ein anderer, allerdings glimpflich abgelaufener Angriff auf die Presse ereignet. Ein Mann hatte einen Lieferwagen in das Redaktionsgebäude der Zeitung "De Telegraaf" gefahren und das Auto anschließend in Brand gesteckt. Verletzt wurde niemand. Auch damals gab es Verbindungen der Tat zum organisierten Verbrechen. Im April 2019 wurden insgesamt zwölf Personen im Zusammenhang mit der Tat verhaftet, die in Verbrechen im Zusammenhang mit dem Verkauf gestohlener Autos verwickelt gewesen sein sollen. Auch ihre mutmaßlichen Taten sollen mit Ridouan T. in Zusammenhang stehen. Eine Verbindung zu Angriffen mit Panzerfäusten auf die beiden Zeitschriftenredaktionen von "Panorama" und "Nieuwe Revu" im gleichen Jahr ist offen. (mesc, APA, 7.7.2021)