Ist mit einem ganzseitigen, EU-kritischen Inserat in der "Presse" vertreten: Ungarns Regierungschef Viktor Orbán.

Foto: AFP/OLIVIER MATTHYS

Der rechtsnationale ungarische Regierungschef Viktor Orbán macht erneut im Ausland Stimmung gegen die EU. In einem ganzseitigen Inserat in der Tageszeitung "Die Presse" (am Mittwoch) kritisiert Orbán, dass Brüssel einen "Superstaat" errichten wolle, zu dem niemand die "Ermächtigung" gegeben habe. Belgische Zeitungen haben es laut Berichten abgelehnt, die Anzeige zu veröffentlichen.

Nationale Parlamente müssten gestärkt werden, heißt es in dem Inserat mit dem Titel "Über die Zukunft der Europäischen Union. Ungarns Vorschläge", das von Orbán selbst – nur mit Namen, nicht aber mit seiner Funktion als ungarischer Regierungschef – unterzeichnet ist. Das kommende Jahrzehnt werde das "Zeitalter gefährlicher Herausforderungen" sein, prophezeit der Vorsitzende der rechtsnationalen Fidesz-Partei. "Massenhafte Migration und Pandemien" drohten, "wir müssen die europäischen Menschen schützen", fordert er. Integration sei kein Mittel und kein Selbstzweck. Aus den Grundlagenverträgen der EU müsse deshalb die Zielsetzung der "immer engeren Einheit zwischen den Völkern Europas" gestrichen werden.

Gemeinsame wirtschaftliche Erfolge würden der europäischen Integration Kraft geben, doch "wenn wir gemeinsam nicht erfolgreicher sein können als jeder für sich selbst, dann ist dies das Ende der Europäischen Union", konstatiert Orbán.

"Europäische Demokratie wiederherstellen"

"Wir müssen die europäische Demokratie wiederherstellen", lautet ein weiterer Vorschlag Ungarns. Das EU-Parlament habe sich als "Sackgasse" erwiesen, es vertrete ausschließlich die eigenen ideologischen und institutionellen Interessen. "Man muss die Rolle der nationalen Parlamente vergrößern", so Orbán, der selbst einer "illiberalen Demokratie" das Wort redet.

Auch in Skandinavien hat Orbán solche Inserate geschaltet, in denen er seine Vision einer zukünftigen Europäischen Union darlegt. In Dänemark veröffentlichte die konservative "Jyllandposten" das ganzseitige Inserat des ungarischen Premiers, in Schweden das Wirtschaftsblatt "Dagens Industri". Dessen Chefredakteur Peter Fellmann rechtfertigte die Veröffentlichung mit der liberalen Tradition der Tageszeitung. Die Entscheidung sei aber nicht leichtgefallen, so Fellmann gegenüber dem Sender SVT.

Laut dem schwedischen TV-Bericht haben in Belgien dagegen sämtliche Zeitungen das Orbán-Inserat abgelehnt und zum Teil auch die Anfrage kritisch in eigenen Artikeln kommentiert. So reagierte etwa "De standaard" in einem Leitartikel und mit Blick auf das gegen sexuelle Minderheiten gerichtete, ungarische Gesetz mit einer ganzseitigen Regenbogenflagge und dem Text: "Lieber Viktor Orbán, Gesetze sollten nie einen Unterschied zwischen Liebe und Liebe machen". Laut Karas verweigerten Zeitungen in insgesamt drei Ländern die Inserate des ungarischen Regierungschefs.

Für Karas "skandalös"

Der ÖVP-EU-Parlamentarier Othmar Karas bezeichnete die Medienkampagne Orbáns am Mittwoch gegenüber der APA als "skandalös" und forderte eine "lückenlose Aufklärung" über deren Finanzierung. Die ungarische Regierung habe hier missbräuchlich Gelder der eigenen Steuerzahler gegen den Lissabon-Vertrag verwendet, sagte Karas am Mittwoch in einer Online-Pressekonferenz. Die Aktion trage zur "Spaltung und Polarisierung" bei und beinhalte eine Absage an europäische Werte, insofern erinnere sie ihn an die Brexit-Kampagne, meinte der EU-Mandatar.

Besonders empörend sei für ihn, dass die Inserate eine "bewusste Provokation" anlässlich der derzeit laufenden Debatte über Rechtsstaatlichkeit im EU-Parlament seien. Eine solche "Attacke" gegen europäisches Recht und europäische Werte habe es "in dieser Form seit der Gründung der EU noch nie gegeben", betonte Karas. Die EU könne deshalb nicht zur Tagesordnung übergehen und müsse "sehr klar machen, dass sie gegen diese Vorgangsweise vorgeht".

Monika Vana, Delegationsleiterin der österreichischen Grünen im Europaparlament, bezeichnete das Inserat als "antidemokratische Stimmungsmache" und "Frontalangriff auf den Parlamentarismus in Europa". Es zeige einmal mehr, wie wenig Orbán an den europäischen Grundwerten liege und dass das Europaparlament zu Recht gegen dessen autokratischen Bestrebungen vorgehe. "Orbáns EU-Kritik ist und bleibt ein bloßes Strohmann-Argument, um von Korruption und Demokratierückbau im eigenen Land abzulenken", so Vana. Noch klarer hätte Orbán seine Antipathie gegenüber Demokratie und Rechtsstaat nicht zum Ausdruck bringen können, meinte auch Thomas Waitz, Ko-Vorsitzender der Europäischen Grünen. Die Inserate seien "ein verzweifelter Versuch Orbáns, sich in ganz Europa als Opfer darzustellen, während er mit seiner rechtspopulistischen Partei Fidesz die Demokratie in Ungarn Stück für Stück abbaut".

SPÖ-Europasprecher Jörg Leichtfried verurteilt Inserate

Auch SPÖ-Europasprecher Jörg Leichtfried verurteilte die Inserate, deren "Diktion gegen die Werte Europas gerichtet sind und nur Anti-EU-Propaganda verbreiten sollen", wie er in einer Aussendung mitteilte. Angesichts des Abbaus der Demokratie, der Pressefreiheit und des unabhängigen Rechtsstaates in Ungarn sowie antisemitischer und homophober Äußerungen sei Orban "wahrlich der Falsche, um Vorschläge für eine gute Zukunft Europas zu machen".

Das Verhältnis zwischen Ungarn und der EU ist seit Jahren gestört, vor allem wegen anhaltender Debatten um Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Korruption und Einschränkung der Medienfreiheit unter Orbáns Regierung seit 2010. Jüngst sorgte ein LGBTIQ-feindliches ungarisches Gesetz für scharfe Kritik vieler EU-Staats- und Regierungschefs sowie der EU-Kommission. Seit 2018 läuft ein sogenanntes Rechtsstaatsverfahren nach Artikel sieben des EU-Vertrags gegen Ungarn. (APA, 7.7.2021)