Der Hauptangeklagte Tschetschene Turpal I. ist zur Verhandlung erschienen, er soll in Syrien Hinrichtungen angeordnet haben.

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Wien – Der Vorsitzende des Geschworenengerichts im Terrorprozess gegen drei Männer und zwei Frauen bemüht sich redlich, seine Contenance zu wahren. Als der in der Steiermark aufgewachsene Drittangeklagte Bernd T. bei der Schilderung seines Lebensweges feststellt: "Tirol war für mich total unbekannt", verfolgt der hörbar aus diesem westlichen Bundesland stammende Vorsitzende das noch mit steinerner Mine. Beim Satz: "Ich hatte furchtbare Angst vor Tirol", kann es sich der Berufsrichter im Großen Schwurgerichtssaal des Landesgerichts für Strafsachen Wien allerdings nicht mehr verkneifen – er muss grinsen, entschuldigt sich beim Drittangeklagten aber gleich dafür.

Begonnen hat der erste von neun geplanten Verhandlungstagen mit einer Dreiviertelstunde Verspätung: Da die Laienrichter offenbar keine Uhrzeit auf ihrer Ladung hatten, dauert es seine Zeit, bis die Geschworenenbank korrekt gefüllt ist. Viel Zeit nimmt sich auch der aus Graz angereiste Staatsanwalt für sein Eröffnungsplädoyer.

Ist der Erstangeklagte "Abu Aische"?

Deutlich über eineinhalb Stunden erklärt er wortreich, warum aus seiner Sicht die fünf Angeklagten zwischen 2011 und 2013 den "Islamischen Staat" unterstützt hätten und daher Mitglieder einer terroristischen Vereinigung seien. Erstangeklagter Turpal I., ein 32-jähriger Tschetschene, soll Ende August 2013 über die Türkei nach Syrien gefahren sein und als Abu Aische bis zu 70 Kämpfer angeführt und Hinrichtungen von Zivilistinnen und Zivilisten angeordnet haben.

Was I.s Verteidiger Florian Kreiner bestreitet. "Das war nicht so. Mein Mandant war mit seiner Frau in Istanbul und ist dreimal nach Syrien gereist", argumentiert Kreiner. Unter anderem, um das Grab eines bei Kämpfen getöteten Tschetschenen zu besuchen. Die Staatsanwaltschaft habe keinerlei Beweise, dass I. tatsächlich Abu Aische (zu Deutsch: "Vater der Aische") sei – sein Mandant habe zwar eine Tochter dieses Namens, das sei aber ein Zufall. Es handle sich vielmehr um einen anderen Mann.

Die 201 Seiten starke Anklageschrift der Staatsanwaltschaft stütze sich primär auf einen Hauptbelastungszeugen, der aber bereits in anderen Prozessen als unglaubwürdig enttarnt worden sei, kritisiert Kreiner. Der Mangel an Beweisen sei umso erstaunlicher, da sein Mandant bereits die höchstmögliche Dauer von zwei Jahren in Untersuchungshaft verbracht habe, aus der er mittlerweile entlassen wurde. I. wird derzeit rund um die Uhr vom Verfassungsschutz überwacht.

Prediger bekennt sich großteils schuldig

Anders verantwortet sich der von Leonhard Kregcjk vertretene Zweitangeklagte Mirsad O., der als Prediger Ebu Tejmar in einer Wiener Moschee Kämpfer für syrische Islamistengruppen angeworben hatte. Der in Graz bereits zu 20 Jahren Haft verurteilte 39-Jährige bekennt sich zu fast allen Anklagepunkten schuldig, lediglich mit Gräueltaten gegen Zivilisten will er nichts zu tun haben. "Ich habe Fehler gemacht, ich gebe es zu", erklärt O. dem Gericht, kündigt aber auch an, nur zu einzelnen Punkten bei Bedarf Stellung nehmen zu wollen und keine umfassende Aussage zu machen.

Die beiden angeklagten Frauen, die Exfrau des Erstangeklagten und die Gattin des Drittangeklagten, bekennen sich nicht schuldig – sie hätten nur ihren Männer gehorcht, ihren Familienwunsch ausgelebt, aber Terrorgruppen nicht aktiv unterstützt, argumentieren ihre Verteidiger Christina Buchleitner und Simon Hagenhofer.

Drittangeklagter T., der in Trachtenjanker und streng gescheitelt auftritt, bekennt sich dagegen großteils schuldig. Und er erzählt, wie er zum Terroristen wurde: Nach einer unbeschwerten Kindheit in der Steiermark besuchte er zunächst eine Fachschule, sein Vater war mit dem Lernerfolg aber nicht zufrieden und verlangte, dass sein Sohn sich einen Job suche. Eine Lehrstelle fand er in Innsbruck – im gefürchteten Land Tirol. "Ich war politisch damals eher im rechten Lager", deklariert sich der Drittangeklagte.

"Ich wäre jeder Ideologie gefolgt"

Dann schlug im übertragenen Sinne der Blitz ein – T. lernte als 17-Jähriger eine knapp 30 Jahre alte Inguschetin kennen und lieben. Die verlangte von ihm, dass er zum Islam konvertieren müsse, "ab da habe ich mich intensiver mit der Religion beschäftigt". Beim Kampfsport lernte er den Bruder des Erstangeklagten kennen, langsam geriet er in den Dunstkreis der Radikalen. "Das passiert nicht von heute auf morgen, das dauert Jahre", erklärt der Drittangeklagte. Der noch etwas anderes zugibt: "Ich wäre jeder Ideologie gefolgt, um Freunde zu finden." Am Ende des Weges stand die Fahrt nach Syrien in das vom "Islamischen Staat" kontrollierte Gebiet.

Das Verfahren wird am 13. Juli fortgesetzt. (Michael Möseneder, 7.7.2021)