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Am Tatort legen Menschen zur Anteilnahme Blumen nieder.

Foto: Reuters/EVA PLEVIER

Der Tatort im Amsterdamer Grachtengürtel hat sich in ein Blumenmeer verwandelt, dazwischen brennende Kerzen und Karten: "Kämpfe, Peter!", steht auf einer von ihnen. "Einfach schrecklich!", sagt eine fassungslose junge Frau. "Dass so etwas passieren kann – hier bei uns! In Amsterdam!"

Das Attentat auf den bekannten Kriminalreporter Peter R. de Vries hat das Land erschüttert. Gegen 19.30 Uhr am Dienstagabend war er auf offener Straße niedergeschossen worden. Der 64-Jährige schwebte auch am Mittwoch noch in Lebensgefahr.

Noch am Abend des Anschlags nahm die Polizei drei Männer fest, einer wurde inzwischen wieder freigelassen. Bei Hausdurchsuchungen beschlagnahmten die Behörden neben Laptops und PCs auch Munition eines Polen und eines Niederländers. Am Freitag werden beide dem Untersuchungsrichter vorgeführt.

Über das Motiv des Anschlags gibt es bislang nur Spekulationen. Peter R. de Vries ist der bekannteste Kriminalreporter der Niederlande. Daneben hat er sich als eine Art Privatdetektiv auf Cold Cases spezialisiert. So etwa konnte de Vries nach 20 Jahren den Mord an dem damals elfjährigen Nikky Verstappen 1998 lösen. International bekannt wurde de Vries 1987 mit seinem Bestseller über die Entführung des Bierbrauers Freddy Heineken. 2008 gewann er einen Emmy Award mit Reportagen über die Entführung der Amerikanerin Natalee Holloway, vermutlich ermordet von einem Niederländer auf Aruba. Sein Motto: "Alles, was die Bösen brauchen, um zu triumphieren, ist die Tatenlosigkeit der Guten."

Rolle in Drogenprozess

Deshalb hat er sich trotz Warnungen dafür entschieden, als Vertrauensperson des Kronzeugen Nabil B. im sogenannten Marengo-Prozess aufzutreten, einem der spektakulärsten und größten Drogenprozesse der Niederlande. Der erste Anwalt des Kronzeugen wurde 2019 in Amsterdam erschossen. Ein Jahr zuvor wurde bereits der Bruder ermordet.

Ob das Attentat auf Peter R. de Vries in Zusammenhang mit dem Marengo-Prozess steht, ist noch unklar. Bedroht wurde er seit längerem, Personenschutz lehnte er ab. Wie er selbst erfahren haben will, stehe er auf der Todesliste des Hauptverdächtigen Ridouan T. Vorigen Monat noch bezeichnete de Vries in einem Interview Bedrohungen als "part of the job". "Unser schlimmster Albtraum ist Realität geworden", twitterte gestern sein Sohn Royce de Vries.

Rutte: "Anschlag auf den freien Journalismus"

Auch in Den Haag, wo der geschäftsführende Premier Mark Rutte seit den Wahlen vom März nach Koalitionspartnern sucht, ist das Entsetzen groß. Rutte sprach von einem "Anschlag auf den freien Journalismus". In diesem Sinne meldete sich auch König Willem Alexander von seinem Staatsbesuch in Berlin.

Tatsächlich ist das gesellschaftliche Klima in den Niederlanden journalistenfeindlich geworden. Vergangenen Monat noch bezeichnete der rechtspopulistische Politiker Geert Wilders Journalisten als "Abschaum". Die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt der Niederlande, die NOS, hat Ende 2020 das Logo auf allen Einsatz- und Übertragungswagen entfernen lassen, weil sie mit Abfall beworfen werden oder weil vor ihnen abrupt gebremst wird.

Aber wenn der Täter des Anschlags auf Peter R. de Vries tatsächlich ein Auftragskiller ist, geht es hier um mehr als einen Anschlag auf die Pressefreiheit: "Unser Rechtsstaat ist im Herzen getroffen worden", befand Justizminister Grapperhuis. Er verglich das organisierte Verbrechen mit einem "vielköpfigen Monster, das immer gewalttätiger und gewissenloser wird". (Kerstin Schweighöfer aus Den Haag, 7.7.2021)