Der Ersatz für den Doppelstock-Wieselzug der ÖBB könnte Verspätung aufreißen.

Foto: Matthias Cremer

Wien – Die Aufregung um die geplante Anmietung von Zugmaterial des chinesischen Bahnausrüsters CRRC durch die Westbahn scheint doch einigermaßen aufgebauscht. Denn nicht nur der private Herausforderer der ÖBB will sich bei der Konkurrenz europäischer Hersteller bedienen, sondern auch die Österreichische Bundesbahn höchstselbst.

Anders als die Westbahn, die ihre vier Elektrotriebzüge chinesischer Provenienz von der China Railway Rolling Stock Corporation (CRRC) mieten will, sobald sie von der europäischen Bahnagentur Era die Zulassung erhalten, lässt die ÖBB ihre fünf Güterloks über ihre ungarische Gütertochter RCH bei der Era zulassen. So fallen die blauen Lokomotiven des Typs Bison nicht so auf, wenn sie zu Testzwecken herumkurven.

Aus der Nachbarschaft

Die Westbahnzüge hingegen werden laut Kurier im Versuchszentrum Velim in Tschechien getestet. Ohne Zulassung würde das hochmoderne Rollmaterial mit sechs Wagen und 571 Sitzplätzen pro Zug aus dem Reich der Mitte nicht angemietet.

Die chinesischen Züge für die Westbahn schauen farblich ähnlich aus wie die Kiss-Modelle von Stadler.
Foto: Andy Urban

Die vom Bauindustriellen Hans Peter Haselsteiner kontrollierte Westbahn hat laut STANDARD-Informationen nach der gewaltigen Corona-Delle viel vor: Sie will ihren Aktionsradius vergrößern, und bereits ab dem Fahrplanwechsel am 12. Dezember könnten die blau-grün-weiß lackierten Doppelstockzüge der Westbahn bis München fahren – vorausgesetzt, die EU-Eisenbahnbehörde erteilt die Zulassung (für fünf Länder in der EU) und der Corona-bedingt empfindlich geschrumpfte Personenverkehr springt wieder an. Die bei Stadler Rail in der Schweiz georderten Züge kommen unverändert nach Wien, heißt es.

Subventionierte Billigkonkurrenz

Die Bahn wollte zu den Anschaffungen am Mittwoch keine Stellungnahme abgeben.

Von der österreichischen Bahnindustrie wird nicht nur der Deal der Westbahn als Türöffner für staatlich subventionierte Billigkonkurrenz aus China kritisiert. Tatsächlich bekommen Siemens, Alstom-Bombardier, Stadler mächtig Druck bei Auftragsvergaben der überwiegend staatlichen Bahnen in Europa. Das Treffen von Bundeskanzler Sebastian Kurz in Berlin mit Siemens-Konzernchef Josef Kaeser erscheint vor diesem Hintergrund in einem neuen Licht.

Allein sind ÖBB und Westbahn mit ihren Fahrzeugkäufen in China übrigens nicht: Auch die Deutsche Bahn hat bei CRRC bereits Verschublokomotiven gekauft.

Stadler statt Alstom

Stichwort Doppelstockzüge: Bei den für den Schnell- und Regionalbahntakt in Niederösterreich und Wien unerlässlichen Doppelstock-Elektrotriebzügen spießt es sich gewaltig. Alstom-Bombardier, die in wenigen Wochen nur mehr Alstom Austria heißen wird, hat die von den Gremien beschlossene Auftragsvergabe an Westbahn-Lieferant Stadler Rail per einstweilige Verfügung gestoppt.

Dieser ungewöhnliche Schritt stellt den bisherigen Höhepunkt eines seit Monaten tobenden erbitterten Streits um die Zulassung von 21 Elektrotriebzügen für Vorarlberg dar. Diese Talent-3-Züge haben aufgrund von Softwareproblemen bis dato keine Zulassung und müssen das Prozedere bei der nunmehr zuständigen EU-Eisenbahnbehörde Era erneut durchlaufen.

Rollmaterial für den Nahverkehr macht der Staatsbahn ÖBB seit Monaten Probleme.
Foto: APA / Hans Punz

Infolge dieser massiven Lieferverzögerungen wurde Alstom-Bombardier beim Doppelstock-Auftrag aus dem Vergabeprozess rausgeworfen – DER STANDARD berichtete exklusiv –, obwohl der französisch-kanadische Konzern erstgereiht gewesen war, wie mit der Materie vertraute ÖBB-Insider schildern. Sie bezeichnen den Weg zu Gericht als "Retourkutsche" gegen die nicht ganz faire Behandlung beim Schnellbahndeal. So sei Stadler Rail bei der ÖBB zum Zug gekommen. Bei den S-Bahn-Zügen stoppte die ÖBB im Mai den Auftrag an Bombardier und stellte die Weichen Richtung Siemens – DER STANDARD berichtete exklusiv.

Für die ÖBB ist der Streit höchst unangenehm, sie braucht das Rollmaterial möglichst schnell – die "Wieselzüge" von Siemens kommen bald ans Ende ihrer Lebensdauer. Alstom kämpft freilich auch aus Eigennutz, denn der ursprünglich groß angelegte Rahmenvertrag für Talent-3-S-Bahnen scheint verloren. Die Dostos, wie Doppelstocktriebzüge im Bahnjargon heißen, würden die Auslastung des Bombardier-Werks in Görlitz absichern.(Luise Ungerboeck, 8.7.2021)