Die Quantenbewegung rasch gedehnter und gequetschter Nanoteilchen soll nutzbar gemacht werden können, bevor sie wieder verloren geht.

Illustration: Marc Montagut

Ein Atom oder Lichtteilchen, das den Gesetzen der Quantenphysik folgt, kann sich gleichzeitig an mehreren Orten befinden. Wendet man dieses Prinzip der sogenannten Delokalisierung auf größere Objekte an, widerspricht das unserer Alltagserfahrung. Genau das ist das Ziel eines ERC-Projekts österreichischer und Schweizer Physiker. Am Weg dorthin haben die Forscher im Fachblatt "Physical Review Letters" nun gedehnte und gequetschte Quantenteilchen vorgeschlagen.

Im Vorjahr haben Markus Aspelmeyer von der Universität Wien und Oriol Romero-Isart von der Universität Innsbruck – beide sind auch am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) tätig – einen mit 13 Mio. Euro dotierten "Synergy Grant" des Europäischen Forschungsrats (ERC) erhalten. Im Projekt Q-Xtreme wollen sie gemeinsam mit Kollegen von der ETH Zürich das Prinzip der Delokalisierung bis an die äußerste Grenze treiben: Ein größerer, aus Milliarden von Atomen bestehender Festkörper soll an zwei Orten gleichzeitig positioniert werden. Romero-Isart, Aspelmeyer und ihre Teams haben nun einen Vorschlag gemacht, der gemeinsam mit anderen Konzepten eine Grundlage für dieses Vorhaben bildet.

Schwebendes Kügelchen

Der neue theoretische Vorschlag baut auf einer Arbeit auf, die Aspelmeyer und sein Team im Vorjahr im Fachjournal "Science" veröffentlicht haben. Ihnen ist es gelungen, die Bewegung schwebender Nanoteilchen in den quantenmechanischen Grundzustand zu versetzen. Es handelt sich dabei um ein Glaskügelchen, etwa tausendmal kleiner als ein Sandkorn, das aber immer noch aus einigen hundert Millionen Atomen besteht. Um es von seiner Umgebung zu isolieren, wird es im Hochvakuum von einem stark fokussierten Laserstrahl in der Schwebe gehalten und gleichzeitig vom Laserlicht gekühlt – und zwar so tief, dass seine Bewegungsenergie annähernd äquivalent zum absoluten Nullpunkt (minus 273 Grad Celsius) ist. Übrig bleiben Bewegungen – die Physiker sprechen von Quantenfluktuationen, die nicht mehr den Gesetzen der klassischen Physik, sondern jenen der Quantenphysik folgen.

Um in Experimenten diese Quantennatur des Glaskügelchens nutzen und kontrollieren zu können, muss man seine sogenannte Wellenfunktion stark ausdehnen. "Die Wellenfunktion gibt uns die Wahrscheinlichkeit dafür an, ein Teilchen an einem bestimmten Ort zu messen, wenn man dort hinschaut", erklärte Aspelmeyer. Indem sie das Nanoteilchen in einer Falle schweben lassen, haben die Physiker ganz andere Möglichkeiten, die Wellenfunktion zu manipulieren. "Ich kann alles machen, kann das Teilchen zu lustigem Verhalten zwingen, etwa als ob es negative Masse hätte", sagte Aspelmeyer.

Potenzial für Messmethoden

Romero-Isart hat nun vorgeschlagen, durch ein rhythmisches Verändern der Lichtfelder der Falle die Wellenfunktion der Teilchen stark auszudehnen und wieder zu komprimieren. Dadurch sollte es gelingen, das Teilchen kurzzeitig über größere Distanzen zu delokalisieren. Aspelmeyer und sein Team wollen dies nun experimentell umsetzen. Damit sei man zwar noch nicht dort, wo man mit dem Projekt Q-Xtreme hinwolle, betonte der Physiker, es sei aber "ein Schritt in die richtige Richtung".

Durch das Ausdehnen der Wellenfunktion sei der Raum größer, an dem das Teilchen möglicherweise gemessen werden kann, das heißt, es kann an sehr vielen verschiedenen Orten sein. "Wir wollen in dem ERC-Projekt aber das Teilchen wirklich nur auf wenige mögliche Orte beschränken, die weit voneinander entfernt sind, um die Alltagserfahrung tatsächlich auf den Kopf zu stellen", sagte Aspelmeyer.

Der Vorschlag Romero-Isarts würde aber auch ermöglichen, die Quanteneigenschaften des Nanoteilchens nutzbar zu machen und etwa makroskopische Quanteneigenschaften näher zu untersuchen. Weil der so erzeugte Zustand sehr empfindlich auf äußere Einflüsse ist, könnte die Methode auch für hochsensitive Messungen verwendet werden, die Kräfte wie die Gravitation sehr präzise bestimmen. (APA, red, 8.7.2021)