Umkämpft, gehasst, zerstört: Die Regenbogenfahne ist das Symbol der LGBTQI-Bewegung.

foto: apa/hosi/bauer

Wien – Mario Lindner erklärt es mit der zunehmenden Sichtbarkeit sexueller Minderheiten in Österreich. Dies sei einerseits Ausdruck dafür, dass ein Leben als Lesbe, Schwuler, Bisexueller, Transgender-, queere oder intersexuelle Person (LGBTQI) in der Gesellschaft immer selbstverständlicher werde, sagt der SPÖ-Nationalratsabgeordnete und Vorsitzende der parteiinternen Initiative Sozialismus und Homosexualität (Soho).

Andererseits aber mobilisiere genau das die Gegnerinnen und Gegner, was 2021 besonders bemerkbar sei. "Bericht zur steigenden LGBTQI-Feindlichkeit in Österreich" heißt daher ein Bericht, der dem STANDARD exklusiv vorliegt. Er fasst Übergriffe auf LGBTQI-Symbole und -Zeichen, auf Teilnehmerinnen und Teilnehmer der heurigen Pride-Paraden zusammen – sowie auf die Wiener Parade selbst.

Rechten-Störaktion bei der Wiener Pride

Während der Pride-Abschlusskundgebung am 19. Juni, am Beginn der traditionellen Schweigeminute für die Opfer homophober, also LGBTQI-feindlicher, Gewalt, entrollten Unbekannte über der Bühne auf dem Wiener Rathausplatz ein Transparent. Die Aufschrift: "no_pridemonth" wandte sich gegen die zahlreichen Events im Monat Juni über LGBTQI, ihre Communitys und die Rolle der Politik. Auch Flugblätter mit hetzerischen Slogans gegen die sexuellen Minderheiten wurden geworfen.

"Die empörte Menge schrie den Männern ‚Nazis raus‘ zu und streckte ihnen kollektiv die Mittelfinger entgegen – bis sie und ihr Banner schließlich von Sicherheitskräften entfernt wurden", berichtete die Onlinezeitung "ggg.at". Die Wiener Stadtregierung verurteilte die Rechten-Aktion.

Mit Flasche geschlagen

Auch am Rande der Wiener Pride sowie von LGBTQI-Paraden in ganz Österreich kam es zu Übergriffen. Teilnehmende wurden beschimpft, bedroht und sogar körperlich attackiert. Auf dem Wiener Karlsplatz wurde ein junger Mann auf dem Rückweg von der Parade mit einer Flasche geschlagen. Insgesamt, so "ggg.at", habe das Awareness-Team der Pride – Ordnerinnen und Ordner – 400 Gespräche wegen kleinerer Störversuche und anderer Zwischenfälle geführt.

Beschimpft und verfolgt wurden ebenfalls rund 30 Teilnehmende der Klagenfurter Parade am 25. Juni. In Bregenz gab ein 16-Jähriger unweit der dortigen Pride am 25. Juni mehrere Schüsse mit einer Schreckschuss-Faustfeuerwaffe ab. Laut einem ORF-Bericht wurde er gefasst und gestand die Tat.

In der Salzburger Getreidegasse wurde eine Gruppe von als LGBTQI erkennbaren Jugendlichen angegriffen. Laut Aussendung der Polizei fand die Tat im Juni statt. Übergriffe wie diese würden häufig gar nicht gemeldet, sagt Lindner. Er geht von einer beträchtlichen Dunkelziffer aus.

Spur der Flaggenzerstörung

Mit Abstand am meisten Angriffe gab es laut dem SPÖ-Bericht auf die Regenbogenfahnen der LGBTQI-Bewegung – und auf andere regebogenfarbige Orte und Gegenstände im öffentlichen Raum. Die Spur der Flaggenzerstörung zieht sich durch fast alle Bundesländer, Fahnen auf Amtshäusern, Schulen und Kirchen wurden gestohlen, zerschnitten, angezündet.

Zehn solche Zwischenfälle gab es im Frühjahr 2021 allein in Vorarlberg. In Innsbruck wurden regenbogenbunte Sitzbänke in den Inn versenkt, in Linz ein Regenbogenschutzweg übermalt. Angesichts der zunehmenden Zahl von Übergriffen fordert Lindner deren systematische Dokumentierung und eine Erforschung der Ursachen.

Yvon: Gegenreaktion auf LGBTQI-Erfolge

Moritz Yvon, Vereinssekretär der Homosexuellen Initiative (Hosi) Wien bestätigt die Zunahme LGBTQI-feindlicher Zwischenfälle. Als Ursachen vermutet er eine Gegenreaktion auf den "großen Erfolg" der LGBTQI-Bewegung in Österreich. Auch schwappe der in Ungarn und anderen Staaten von den Machthabern inszenierte "Kulturkampf" gegen LGBTQI stellenweise auf Österreich über.

Eine paradoxe Wendung nahm indes der Diebstahl einer Regenbogenfahne in der Salzburger Gemeinde Unken. Der dortige Pfarrer hatte sie auf dem Kirchturm gehisst. In Reaktion darauf wird es in dem Ort am 14. August jetzt noch viel regenbogenbunter werden – im Rahmen der ersten Unkener Pride-Parade. (Irene Brickner, 8.7.2021)