Es war der Moment, auf den alle Hoteliers und Gastwirte in Venedig sehnlichst gewartet hatten: Am vergangenen Samstag, um 10.58 Uhr, landete eine Maschine der Delta Airlines mit 214 Passagieren an Bord auf dem Flughafen Venezia Marco Polo. Gestartet war der Jet neun Stunden zuvor in New York: Es war der erste Direktflug aus den USA nach Venedig seit dem Ausbruch der Pandemie im Frühling des vergangenen Jahres. "Die Wiederaufnahme der direkten Verbindungen ist ein wichtiges Zeichen", betonte der regionale Tourismusminister Federico Caner. Und erinnerte daran, "dass wir eine sehr harte Zeit hinter uns haben, die ihre Spuren hinterlassen hat."

In Venedig angekommen sind inzwischen auch die Finanzminister und die Notenbankchefs der G20 mitsamt ihren Delegationen. Die Mächtigen der internationalen öffentlichen Geld- und Budgetpolitik logieren in sieben Luxushotels der Lagunenstadt, die meisten von ihnen am Canal Grande gelegen: eine großartige Kulisse in einer zumindest unter der Woche immer noch halbleeren Stadt, deren Tourismusbranche zu 80 Prozent von ausländischen Gästen abhängt und die zunächst vom verheerenden Hochwasser vom November 2019 und kurz darauf von der Pandemie schwer getroffen wurde. Viele Hotels sind erst seit dem Juni wieder offen, zahlreiche Betriebe, Boutiquen und Handwerksbetriebe haben die Krise nicht überlebt.

1.500 Sicherheitskräfte beschützen die internationalen Delegationen.
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Tagungsort des Gipfeltreffens ist das Arsenale, einst Schiffswerft und Flottenbasis der Seerepublik Venedig. Im Krieg gegen die Türken waren hier im Jahr 1570 innerhalb von zwei Wochen 100 Galeeren gebaut worden; bis zu 30.000 Menschen arbeiteten auf dem damals über 50 Hektar großen Areal im historischen Zentrum der Stadt. Für die Zeit des Gipfels wurde der Stadtteil von den Behörden zur roten Zone erklärt; rund 1.500 Sicherheitskräfte beschützen die Delegationen. Ansonsten sollen die Touristen wenig von dem Gipfel merken: "Wir haben die Beschränkungen auf das absolute Minimum reduziert – der Gipfel soll in einer freundlichen und offenen Atmosphäre stattfinden", erklärte der Polizeichef der Stadt, Vittorio Zappalorto. Nichts wäre jetzt, wo die Tourismusbranche endlich wieder Hoffnung schöpft, unpassender als eine militarisierte Stadt.

Strategischer Tagungsort

Die Regierung von Mario Draghi hat das Arsenale hauptsächlich aus polizeistrategischen Gründen auserkoren: Dank der noch bestehenden dicken Festungsmauern und der Kanäle rund um das Arsenale lässt sich der Tagungsort relativ leicht und undramatisch abriegeln. Gleichzeitig steht Venedig aber auch symbolisch für fast alle Probleme, die auf der Tagesordnung des G20-Gipfels stehen: Zwar wird auch bei diesem Treffen die Einführung einer Mindeststeuer für global tätige Unternehmen sowie eine "Digitalsteuer" für Internetriesen wie Google, Facebook, Apple und Amazon die Diskussionen beherrschen, doch daneben geht es an dem Treffen auch um den Wiederaufbau nach der Pandemie, um nachhaltigen Tourismus, um den grünen Umbau der Wirtschaft und um Klimaschutz.

Der G20-Gipfel wird von Protesten begleitet: "Regierungen haben versagt", steht auf diesem Plakat.
Foto: EPA/Andrea Merola

Pandemie, Klimawandel, Massentourismus: Venedig ist von allen diesen globalen Herausforderungen betroffen, zum Teil ohne eigenes Zutun, zum Teil aber auch als Folge von hausgemachten politischen Fehlern. Zwar ist die unmittelbare Gefahr eines neuen, verheerenden Acqua alta wie jenem vom November 2019 dank der inzwischen erfolgten Inbetriebnahme des milliardenteuren Hochwasserschutzsystems Mose bei den drei Eingängen zur Lagune fürs Erste weitgehend gebannt. Experten warnen aber schon heute davor, dass Mose durch das weitere Ansteigen des Meeresspiegels und immer stärker werdende Stürme und Sturmfluten in absehbarer Zeit an seine Belastungsgrenzen kommen könnte.

Bereits das Maß des Erträglichen überschritten hat die Flut der Touristen, zumindest vor der Pandemie: Im Jahr 2019 hatten über 30 Millionen Gäste die 50.000-Einwohner-Stadt überrannt. Wegen der negativen Auswirkungen des Massentourismus könnte Venedig bereits in der zweiten Hälfte des Juli auf der roten Liste der Unesco landen und damit mittelfristig den Status als Weltkulturerbe verlieren, den die Stadt seit 1987 besitzt. Die UN-Fachleute kritisieren den Schwund der einheimischen Bevölkerung, der zu einem "erheblichen Verlust an historischer Authentizität" geführt habe. Ein besonderer Dorn im Auge sind der Unesco aber auch die gigantischen Kreuzfahrtschiffe, die in die Lagune fahren und sich dabei bis auf wenige Dutzend Meter dem Dogenpalast und der Piazza San Marco nähern.

Protest gegen Kreuzfahrtschiffe

Gegen die Kreuzfahrtschiffe wehrt sich seit Jahren vergeblich die Bürgerbewegung No Grandi Navi, die auch beim G20-Gipfel Protestaktionen durchführen will. Dass bezüglich der Kreuzfahrtschiffe endlich eine Lösung gefunden werden müsse, weiß man auch in Rom: "Würde Venedig auf die rote Liste der Unesco gesetzt, wäre dies eine sehr ernste Sache für unser Land", erklärte Kulturminister Dario Franceschini nach dem Erscheinen des jüngsten Rapports der Uno-Kulturschützer. Gefruchtet hat es bisher noch nichts: Kaum war die Region Venetien im Juni im italienischen Corona-Ampel-System zur weißen Zone erklärt worden, fuhr auch schon wieder das erste Riesenschiff vor die Piazza San Marco.

Nach den dramatischen Umsatzeinbußen während der Pandemie ist es im Moment aber vielleicht auch der falsche Zeitpunkt, um über eine Verbannung der Kreuzfahrtschiffe aus der Lagune zu reden, zumindest aus der Sicht von Venedigs Tourismusbranche: Sie ist um jeden Gast froh, der die Stadt besucht – egal ob er nun mit dem Flugzeug, dem Auto oder eben mit einem Kreuzfahrtschiff ankommt. Trotz der grünen Tagesordnung wird deshalb auch der G20-Gipfel in Venedig eher als Chance gesehen: "Das Treffen kann zur Wiedergeburt Venedigs beitragen", betont der Hotelier Nicola Zane stellvertretend für die meisten seiner seiner Kollegen. (Dominik Straub aus Rom, 8.7.2021)