In der Rotenmühlgasse 25 in Wien-Meidling wird die Fassade eines Wohnhauses gerade gelb angestrichen. Nicht in Schönbrunner Gelb, wie es die Nähe zum Schloss vermuten ließe, sondern in einer knalligeren Nuance, die mit grauen Bereichen kombiniert wird.

"Die Leute mögen Gelb, weil es freundlich ist", sagt Michael Hermann vom Bauträger GVG Baden, der das Eckhaus baut. Thema sei die Farbe bei Gesprächen mit Interessenten nicht. Unbewusst spiele sie aber wohl schon eine Rolle.

Echt knallig: "Wohnen mit Scharf" von Superblock, "Haus mit Veranden" von Rüdiger Lainer und "Nord19", ebenfalls von Superblock.
Fotos: Newald, Dimko, Superblock/Pletterbauer

Eine ältere Frau, die auf dem Gehsteig vor dem Haus steht und die Fassade hochblickt, ist sich einer Sache hingegen sehr bewusst: "Das gefällt mir nicht", sagt sie und schüttelt den Kopf: Die Farbe sei zu knallig, zu intensiv – ja, zu gelb.

Das Haus in Meidling zeigt: Farben emotionalisieren. Wohl auch deshalb werden in Wien häufig die Finger vom Farbeimer gelassen. Denn Planerinnen und Bauträger gehen damit ein Risiko ein.

"Menschen nicht zwangsbeglücken"

Der Architekt Erik Testor hat schon rote und grüne Häuser geplant. Heute ist er für einen überlegten Umgang mit Farbe. Etwa, indem nur dort Akzente gesetzt werden, wo es Sinn macht: "Als Gestalter hat man große Verantwortung. Man sollte Menschen nicht zwangsbeglücken."

Der Architekt Rüdiger Lainer wiederum ist bekannt für farbenfrohe Häuser. Im Sonnwendviertel steht ein marillenfarbenes Generationen-Wohnprojekt von ihm. Das "Haus mit Veranden", ebenfalls im zehnten Bezirk, ist in Terrakotta- und Blautöne getaucht.

Die Rückmeldungen von Bewohnerinnen und Bewohnern seien stets positiv gewesen, erzählt der Architekt. Er wünscht sich, dass die Farben seiner Häuser in den Straßenraum ausstrahlen, "und die, die die Gebäude nutzen, dadurch fröhlicher werden".

Wohnen mit Gelb und Pink

Unüberlegt sollte der Griff zum Farbtopf nicht sein. Ist ein Gebäude ein Solitär, könne man mit intensiveren Farben arbeiten, sagt Lainer. In größeren Ensembles müsse man aber koordiniert vorgehen: "Sonst wird das zur Kakofonie."

Beim 2014 fertiggestellten interkulturellen Projekt "Wohnen mit Scharf" am Nordbahnhof hat das Architekturbüro Superblock innen und außen mit der Farbe Pink gearbeitet. Die Nuance sei aus einer Kooperation mit dem Magazin Biber hervorgegangen und habe anfangs für Diskussionen gesorgt, erzählt Architektin Verena Mörkl: "Aber mit den Jahren hat sich gezeigt, dass sich die Bewohnerinnen und Bewohner mit der Farbe identifizieren."

Am Nordbahnhof steht auch ein knallgelbes Gebäude von Superblock. Manche kritisieren, dass das Haus zu sehr auffällt, sagt Mörkl. Für die Menschen, die in dem Viertel wohnen, sei es aber ein Orientierungspunkt geworden, der in keiner Wegbeschreibung fehlt.

Farbe ergibt sich aus dem Kontext

Was auffällt: Häufig wird im geförderten Wohnbau an der Fassade geklotzt. Einerseits, weil im freifinanzierten Segment der Konsens künftiger Käuferinnen und Käufer im Vordergrund steht, wie Mörkl vermutet. Andererseits, weil im geförderten Bereich die Kostengrenzen eng sind und Farbe eine Möglichkeit ist, sich zu unterscheiden: "Farbe ist auch ein Hilfsmittel dabei, die Großstrukturen des Genossenschaftsbaus auf einen menschlichen Maßstab runterzubrechen."

Letztendlich ist Farbe ein Prozess: Nie sei es das Ziel, ein grünes Haus zu bauen. Das ergebe sich vielmehr aus dem Kontext – und liegt einem Konzept zugrunde, bei dem Elemente wie Fenster, Balkongeländer und Regenrinne beachtet werden müssen.

Um sich richtig zu entscheiden, werden bei Superblock meist noch unterschiedliche Farben kleinflächig auf die Fassade aufgetragen, um zu sehen, wie sie wirken. "Das Haus schaut dann aus wie ein Chamäleon", sagt Mörkl.

Helle Farben gegen Überhitzung

Vonseiten der Stadt gibt es in dem Bereich wenige Einschränkungen: Die Farbgestaltung eines Hauses, das nicht in einer Schutzzone liegt, ist nicht bewilligungspflichtig, solange sie das Stadtbild nicht stört, heißt es bei der zuständigen MA 19. Aktuell gehe der Trend ohnehin zu hellen Farben, um sommerlicher Überhitzung entgegenzuwirken.

Für helle, neutrale Farben plädiert auch die Wohnpsychologin Barbara Perfahl. Nicht nur wegen der Nachbarn, sondern auch, weil die Farbe in die Wohnbereiche hineinwirke, etwa bei Fensterlaibungen: "Und ich weiß nicht, ob man im Schlafzimmer einen knallroten Impuls möchte", sagt Perfahl.

Auch Architekt Lainer hat in der Vergangenheit schon farblich unauffälliger geplant. Mit Blick auf die entstandenen Häuser sagt er heute aber: "Ein bisschen mehr Farbe wäre sicher besser gewesen." (Franziska Zoidl, 9.7.2021)