Eine Lehrerin gerät in Rechenschaftsnot, als ein Privatporno viral wird: Katia Pascariu in Radu Judes scharfer Satire "Bad Luck Banging Or Loony Porn".

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Der rumänische Regisseur Radu Jude hält seinem Land den Spiegel vor.

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Ein privat aufgenommener Porno einer Schullehrerin tritt seine unheilvolle virale Reise an: Das ist der Ausgangspunkt eines Triptychons, mit dem der Rumäne Radu Jude in Bad Luck Banging or Loony Porn (auf Deutsch in etwa "Unglücksvögeln") sein Land einer erbarmungslosen Gegenwartsdiagnose unterzieht. Zwischen mangelhafter Vergangenheitsbewältigung und einem rezenten Sittenverfall beschreibt er den rauen Alltag unter Covid-19-Bedingungen: Menschen, die sich auf den Straßen Bukarests wegen Lappalien beschimpfen, oder ein Mob aus empörten Eltern, der die kompromittierte Lehrerin an den Pranger stellt.

Auf der Berlinale wurde Jude für seine Filmsatire mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet. Im Gespräch erörtert er seinen "Karneval der menschlichen Dummheit".

STANDARD: Sie beginnen den Film mit einer Amateurpornoszene, die eine moralische Treibjagd in Gang setzt. Wollten Sie Ihr Publikum gleich einmal testen?

Jude: Wenn jemand so rein ist, dass er noch nie auf einer Porno-Webseite war, dann findet er die Szene vielleicht schockierend. Für alle anderen ist sie jedoch eher banal. Ich wollte die Szene so profan und lächerlich wie möglich erscheinen lassen. Milan Kundera hat einmal gesagt, eine Idee, die wir inakzeptabel finden, ist die komische Seite von Sex. Es ging mir darum, die Szene nun in ein Verhältnis zu einer umfassenden Obszönität der Gesellschaft zu setzen.

STANDARD: Nicht der Porno ist so obszön, sondern die Reaktionen, denen die Lehrerin ausgesetzt ist: Im ersten Teil des Films legen sie das Szenario beobachtend an, so als würden sie die ganze Stadt zum Protagonisten machen.

Jude: Es handelt sich um einen Spaziergang aus der Peripherie in das historische Zentrum von Bukarest. Ich habe in der Stadt nach den Verbindungen zur Geschichte gesucht, nicht immer direkt, manchmal schief, manchmal poetisch. Wir sagen ja gerne, die Stadt sei etwas anderes als wir, die Gemeinschaft. Aber mein Eindruck ist, sie ist genau der Ausdruck von dem, was wir tun. Man kann in den urbanen Strukturen entdecken, was dahinter liegt, die Ideologie und die Werte.

Berlinale - Berlin International Film Festival

STANDARD: Was man auch sehen kann, ist, wie sehr die Menschen nur um ihre eigenen Bedürfnisse kreisen: eine eigene Melodie des Getrenntseins. Woher kommt der ganze Frust?

Jude: Wir haben schon immer gesagt, Bukarest sei eine aggressive Stadt. Wir haben mehrere Diktaturen hinter uns, zuerst eine faschistische, dann die kommunistische – und was haben wir an ihre Stelle gesetzt? Eine individualistische, hysterische Konsumgesellschaft. Aber es scheint das zu sein, was wir haben wollen. Obama hat in seinen moralischen Reden gerne einmal gesagt: "So sind wir nicht." Aber es ist genau andersherum: So sind wir.

STANDARD: Wie viel davon ist geschrieben?

Jude: Einige der Episoden sind ganz offensichtlich geschrieben. Manche aber auch nicht. Alle Szenen haben einen dokumentarischen Hintergrund. Wir haben im Vérité-Stil gedreht: Was auch immer im Hintergrund passiert, wurde zu einem Teil des Films. Das sind alles Szenen, die man selbst erleben könnte.

STANDARD: Also keine Kunst der Übertreibung im Sinne von Thomas Bernhard?

Jude: Es ist auch Übertreibung dabei, weil ich diese Teile ja zusammengefügt habe. Es freut mich, dass Sie Bernhard erwähnen, einen meiner Lieblingsautoren. Man hat ihn Nestbeschmutzer genannt, damit kann auch ich gut leben.

STANDARD: Würden Sie sich als Satiriker bezeichnen?

Jude: Vielleicht, obwohl jeder ernsthafte Filmemacher ja der Satire entkommen will. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich versuche nicht auszuweichen. Es ist der Versuch, in Alltagssituationen etwas Groteskes wiederzufinden: eine humoreske, lächerliche, dumme Seite des Menschen. Wir haben dafür in Rumänien auch eine Tradition, eine der bekanntesten Autoren ist Ion Luca Caragiale, er war ein Thomas Bernhard des 19. Jahrhunderts, weniger dunkel, aber genauso treffsicher. Er musste nach einigen Theaterstücken ins Exil gehen. Ionesco hat sich dann auf ihn bezogen.

STANDARD: Der zweite Teil besteht aus Found-Footage-Material und erstellt eine Art Enzyklopädie menschlicher Verfehlungen. Es geht um Umweltschäden, Religion und Krieg ... Wie ist das konzeptuell entstanden?

Jude: Alles sollte auf Montageprinzipien beruhen, auf Gegenüberstellungen. Gemäß dem Titel des zweiten Teils, "Sketches für einen populären Film", der von Malraux inspiriert wurde, ging es mir darum, mich von einer kompakten Geschichte zu befreien. Alles sollte offener und schmutziger erscheinen. Manche theoretischen Überlegungen, Zitate und Bilder kamen mir nützlich vor, passten aber in keine Dramaturgie. Es ist wie ein Wörterbuch, das wie ein kubistisches Gemälde funktioniert. Am liebsten würde ich nur noch so arbeiten. Was natürlich unmöglich ist.

STANDARD: Zuletzt mündet alles in ein theaterhaftes Setting. Man könnte es als dramatisierten Shitstorm bezeichnen. Da kommt auch der Antisemitismus an die Oberfläche.

Jude: Aufgrund meines Namens, der im Deutschen gleichbedeutend mit Jude ist, haben Leute immer gedacht, dass ich jüdisch bin. Ich habe für meine früheren Filme deshalb viele antisemitische Kommentare erhalten, insofern bin ich da besonders empfindlich. Generell ist der rumänische Antisemitismus aber gar nicht mehr so groß, weil kaum mehr Juden übrig sind. Aber wann immer man den Holocaust und die rumänische Rolle darin thematisiert, wird man hunderte antisemitische Kommentare ernten. Das Virus ist immer noch da, es versteckt sich bloß in sozialen Netzwerken. (Dominik Kamalzadeh, 9.7.2021)