Steuerpolitisch ist Irland keine Insel, sondern Teil des EU-Binnenmarkts. Nun macht es sich zum Außenseiter.

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Venedig ist natürlich immer eine Reise wert. Dem irischen Finanzminister dürfte jedoch ein Stein vom Herzen fallen, dass er beim Treffen der G20-Finanzminister nicht dabei sein muss. Paschal Donohoe fungiert seit dem Vorjahr zusätzlich als Vorsitzender der Eurogruppe – und als solcher hätten ihm die Teilnehmer aus aller Welt gewiss allerlei bohrende Fragen gestellt: Wie will die EU damit umgehen, dass drei Mitgliedsstaaten der geplanten globalen Mindeststeuer für Unternehmen sowie einer gerechteren Besteuerung digitaler Dienstleistungen nicht zustimmen? Warum verweigert sich ausgerechnet Donohoes Herkunftsland?

Eine Woche liegt der Deal zurück, dem jahrelange Verhandlungen bei der OECD in Paris vorausgegangen waren. Am Ende stimmten 130 Staaten weltweit dem mühsam geschnürten Kompromisspaket zu. Es beruhte weitgehend auf der Lösung, den vergangenen Monat der Club der wichtigsten westlichen Industriestaaten G7 (Mitglied: EU) vorgeschlagen hatte. Demnach soll für global tätige Firmen mit einem Jahresumsatz von 750 Millionen Euro ein Mindestsatz von 15 Prozent Körperschaftssteuer gelten. Zudem sollen Digital-Giganten wie Apple und Google ein Fünftel ihrer Gewinne in jenen Staaten versteuern, wo die Firmen ihre lukrativen Umsätze machen. Fällig wird dies ab einer Gewinnmarge von zehn Prozent.

Gewaltige Zugeständnisse

Der Deal gelang OECD-Generalsekretär Mathias Cormann aber nur mit gewaltigen Zugeständnissen an große Länder. Die Schwellenländer China und Indien pochten auf Ausnahmen, vor allem der verarbeitenden Industrie, deren Steuerleistung im Gegenzug für gewaltige Investitionen in Fabriken und Maschinen auf super-niedrigem Niveau liegen.

Der britische Finanzminister Rishi Sunak, vor Monatsfrist noch stolzer G7-Gastgeber des "historischen Deals", focht für das wichtigste internationalen Finanzzentrum City of London. Dass die dort tätigen globalen Banken und Asset Manager von der Regelung ausgenommen bleiben, wird nach Berechnungen von Michael Devereux und Martin Simmle von der Uni Oxford die Summe zusätzlicher Steuereinnahmen halbieren. Die OECD schätzt die Mehreinnahmen auf etwa 106 Milliarden Euro pro Jahr.

Acht Verweigerer

Zu den acht Verweigerern des globalen Konsensus zählen notorische Steueroasen wie die Karibikinseln Barbados sowie St. Vincent, aber auch Kenia und Nigeria. Das westafrikanische Land hatte sich vorab zum Sprecher vieler Entwicklungsländer gemacht, denen die 15-Prozent-Marke viel zu niedrig erscheint. Der Kompromiss werde "Ländern in Afrika wenig bringen", kritisiert Mathew Olusanya Gbonjubola vom nigerianischen Finanzministerium.

Peinlich für Brüssel ist die Absage der EU-Mitglieder Estland, Irland und Ungarn an den mühsam ausgehandelten Deal. Das baltische Land und der notorische Verweigerer im Herzen Europas beziehen sich auf ein EuGH-Urteil von 2006, das die Steuervermeidung multinationaler Unternehmen mittels Tochterfirmen in Niedrigsteuerstaaten nicht als Steuerhinterziehung geißeln mochte. Bei der derzeit geltenden Rechtslage dürfe es deshalb keine Mindeststeuer geben, argumentiert Helen Pahapill vom estnischen Finanzministerium.

Irland, Estland, Ungarn

In Dublin wird die Absage geschmeidig begründet. Die digitale Besteuerung begrüße man, äußert aber Vorbehalte gegen die 15-Prozent-Marke – diese würde eine Anhebung des aktuellen Steuersatzes von 12,5 Prozent nötig machen. Man werde sich aber "konstruktiv" an den Gesprächen beteiligen, die bis zum G20-Gipfel im Oktober in einen Vertrag münden sollen. Schon beginnen EU-Partner, auf die Grüne Insel Druck auszuüben. Es gehe doch auch ums Image, mahnte der französische Europa-Staatssekretär Clément Beaune das Land, in dem er vor 20 Jahren Erasmus-Austauschstudent war. Vor drei Jahren habe Irland darauf gepocht, dass die Steuerverhandlungen im Rahmen der OECD stattfinden sollten. "Nun ist die internationale Vereinbarung da. Irland sollte daran teilhaben."

Stinkefinder für West und Ost

Heftige Kritik kam von einem der prominentesten Kolumnisten des Landes. Die liberal-konservativ-grüne Koalition in Dublin sei offenbar entschlossen, "Irland zum Schurkenstaat zu erklären", ätzte Fintan O’Toole in der Irish Times. Donohoes Haltung sei nicht nur "unmoralisch", weil es Irlands Rolle bei der Steuervermeidung von Unternehmen ignoriere – die Ablehnung des Kompromisses "ist auch dumm: Wir können nicht den USA und der EU gleichermaßen den Stinkefinger zeigen."

Neue Schlupflöcher?

Verwundert über Donohoes Vorgehen zeigt sich auch Ökonomieprofessor Edgar Morgenroth von der Dublin City University. Irland kämpfe ohnehin stets mit dem Vorwurf der Steueroase, "da stelle ich mich doch lieber als einer der Guten dar". Der Unterschied von 12,5 auf 15 Prozent werde "den Kohl nicht fett machen", sagt der gebürtige Rheinländer. Den Kompromiss selbst sieht Morgenroth skeptisch, insbesondere die Gewinnmarge von zehn Prozent, von der ab die Digitalsteuer fällig werden soll: "Ich habe laut gelacht." Firmen wie Amazon oder Google würden bei solch weichen Regelungen ohnehin wieder Schlupflöcher finden. (Sebastian Borger aus London, 9.7.2021)