Foto: Amazon Games
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Amazon Games (vormals: Amazon Game Studios) hatte mit seinen Werken für PC und Konsole bisher nicht das glücklichste Händchen. 2019 landete das offizielle Spiel zu The Grand Tour und fiel bei Spielern und Presse durch. Mit Crucible, einem Mix aus Shooter und Moba, hoffte man ein Jahr später, im Becken von Overwatch fischen zu können. Doch infolge eklatanter Erfolglosigkeit und negativer Feedbacks wurde das Game nach seiner Veröffentlichung zurück in die Closed-Beta-Phase geschickt und schließlich beerdigt. Und Berichten zufolge gingen für ein in Arbeit befindliches Herr der Ringe-MMO nach Streitigkeiten mit dem chinesischen Spielegiganten Tencent vorzeitig die Lichter aus.

Dazu kommen zwei weitere Projekte, die dem Vernehmen nach ein frühes Ende fanden. Mit dem Free2Play-MMORPG New World, an dem man seit mindestens 2016 werkt, soll die durchwachsene Bilanz zum Besseren gewendet werden. Das Online-Rollenspiel steht kurz vor der Fertigstellung. Von 20. Juli bis 2. August läuft ein geschlossener Betatest mit öffentlicher Einsicht – Teilnehmer dürfen etwa ihr Spielerlebnis streamen. Der offizielle Launch wurde auf den 31. August datiert.

Im Vorfeld bot Amazon Medienvertretern die Gelegenheit, in das beinahe fertiggestellte Game hineinzuspielen. Auch DER STANDARD nahm die Gelegenheit wahr. Es folgen die Eindrücke aus rund 2,5 Stunden Gameplay.

Play New World

Drei Fraktionen in unfreundlichen Landen

New World entführt Spieler auf den Kontinent Aeternum in einem parallelgeschichtlichen Szenario des 17. Jahrhunderts. Der Versuch, diesen zu kolonialisieren, um das mächtige Mineral Azoth abzubauen, ist nicht nach Plan verlaufen. Azoth hat sich als zweischneidiges Schwert entpuppt, das einerseits gute Dinge fördern, andererseits auch sehr Schlechtes bewirken kann. So mancher Schatzsucher wurde durch Azoth zur traurigen Unsterblichkeit als Zombie (Lost) verdammt. Andere gar haben sich in Monster verschiedener Art und zu einer permanenten Bedrohung für die Menschen und ihre Siedlungen entwickelt (Corrupted). Dann zeigt sich auch noch die Natur (Angry Earth) von den menschlichen Eindringlingen wenig begeistert, und zu guter Letzt soll auch noch eine verlorene Zivilisation (Ancient) eine Rolle als Feindfraktion spielen.

In typisch menschlicher Tradition haben sich natürlich auch die Kolonialisten aufgeteilt, weswegen Spieler die Möglichkeit haben, sich einer von drei Gruppen – den militaristischen Maraudern, der Forschergilde Syndicate oder den ausgeprägt religiösen Covenants – anzuschließen. Die Mitgliedschaft ist für den jeweiligen Charakter exklusiv und permanent. Wer sich einer anderen Fraktion anschließen möchte, muss das mit einem neuen Helden tun. Die Fraktionen vergeben eigene Aufträge und bieten die Möglichkeit, an bestimmte Ausrüstung zu kommen, sollen aber keinen bestimmten Spielstil bevorzugen.

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Unsanfte Landung

Doch zurück zum Anfang. Man landet unsanft auf Aeternum, denn das Schiff, auf dem man die Überfahrt gewagt hat, schloss auf den letzten Metern Bekanntschaft mit einem ausgesprochen schlecht gelaunten Seeungeheuer cthulhuesken Größenformats. Man beginnt das Spiel auf einem durchaus beeindruckend inszenierten Schiffsfriedhof, indem man die grundlegende Steuerung erlernt und die ersten, bereits zombifizierten Mitpassagiere unter Einsatz eines Schwertes erlöst.

Es folgt ein kurzer Trip ins Grünland und durch eine Grotte, ehe man schließlich im ersten Ort und beim Ernst der Sache landet. Hier gibt es eine Reihe von Quests, über die man das Progressionssystem und Crafting kennenlernt und sich sein erstes Set einer grundlegenden Ausrüstung verdient. Positiv zu bemerken ist, dass sich im Rahmen der "Story-Quests" 08/15-Aufträge wie "Töte x Gegner des Typs Y und bringe mir ihre Überreste" in Grenzen halten. Der Spieler wird hier bereits in der näheren Umgebung herumgeschickt und erkundet dabei Höhlen, Wracks und andere Locations in Strandnähe. Dabei gewinnt man freilich ein paar Levels und erweitert damit auch das eigene Repertoire in Kämpfen, ehe man nach rund einer Stunde Spielzeit bereit ist, sich in die erste Siedlung zu begeben.

Play New World

Klassenlose Progression

In New World wird auf Heldenklassen verzichtet. Wer sich auf Magie, Nahkampf, Fernkampf oder Heilung spezialisieren will, sollte seine zwei Aufstiegspunkte pro Level entsprechend vergeben. Gegner zu eliminieren steigert zudem die Fertigkeiten im Umgang mit der jeweiligen Waffe. Bei einem Aufstieg kann man für deren Gruppe eine neue passive oder aktive Fähigkeit erlernen. Schwertkämpfer beherrschen dann etwa Schildstoß und Drehangriff, oder Feuermagier lassen Kometen regnen oder funktionieren ihren Stab zu einem Flammenwerfer um. Es ist aber natürlich sinnvoll, sich auf einen Typ Waffe zu spezialisieren, denn die Entwickler betonen ausdrücklich, dass bei gemeinsamen "Expeditionen" ausgewogene Gruppen die besten Chancen haben.

Das Kampfsystem selbst gefällt und erinnert an Shooter mit Moba-Elementen wie Overwatch, wenn auch in gemächlicherer Form. Es wird nicht automatisch gezielt, bei Fernwaffen gilt es also, den Laufweg eines Widersachers einzuschätzen. Blocks oder Ausweichrollen müssen getimt werden. Drei der erlernten aktiven Fähigkeiten lassen sich zwecks Schnellauswahl auf die Tastatur legen.

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Skilllastiger Kampf

Widersacher reagieren verhältnismäßig intelligent und verfügen oft selbst über "abgestufte" Angriffe – mischen also "normale" Attacken mit Spezialangriffen, auf die anders reagiert werden muss. Wer sich etwa auf Zauberstäbe spezialisiert, muss sich bei Kämpfen darauf einstellen, viel zu laufen und auszuweichen. Letzteres kostet allerdings Stamina, die sich – wie auch Mana – mit der Zeit auflädt. Das es schon früh recht viele Gegner gibt, die unprovoziert von sich aus angreifen, sollte man bei weiteren Wegen durch das Gelände aufpassen, nicht zu viele auf einmal anzulocken. Denn sie verfolgen den Spieler ziemlich weit und attackieren erbarmungslos. Ob sich andere Spezialisierungen beim Alleine-Abenteuern leichter tun, was nicht ganz unlogisch wäre, bleibt abzuwarten.

Es gibt aber auch noch ein paar Baustellen. Im Hands-on wurden manche Fortschritte in Quests mit Verspätung aktualisiert, was kurzzeitig für Verwirrung sorgen kann. Springen fühlt sich außerdem noch etwas zu verzögert an. Und schmerzlich vermisst wurde eine Minimap. Wer sich genauer orientieren will, muss auf den Kartenbildschirm wechseln. Ein Vertreter des Studios erklärte aber, dass es durchaus möglich sei, dass eine Minimap implementiert wird, da dies seitens der Spieler in bisherigen Testläufen bereits oft nachgefragt worden sei.

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Schön inszenierte Welt

In technischer Hinsicht wirkte New World beim Anspielen bereits sehr ausgereift, abgesehen von vereinzelt auftretenden Anzeige- und Soundfehlern wie spät aufpoppenden Strukturen in der Distanz oder fehlender Übergang zwischen der Musik verschiedener Umgebungen. Großes Lob verdient die Gestaltung der Welt, die schon in diesem "Onboarding"-Segment viel Abwechslung und Atmosphäre bietet. Die Landschaften sind liebevoll und glaubwürdig umgesetzt. Auch in Sachen Soundeffekte und Musik gibt sich das Spiel keine Blöße.

Glänzen will New World mit verschiedenen PvE- und PvP-Events. Neben Dungeons (Expeditions) werden Spieler auch gemeinsam ihre Forts gegen anstürmende Wellen von "Corrupted" verteidigen oder bekriegen sich im "War Mode" um die Vorherrschaft über die Lande von Aeternum im Namen ihrer Fraktion. In diesem Belagerungsmodus sollen Angreifer und Verteidiger mit jeweils bis zu 50 Helden antreten. Die Kontrolle über ein Fort bringt aber nicht nur Ruhm, Ehre und Belohnungen für die beteiligten Kämpfer, sondern auch Erfahrungsboni für alle Mitglieder der eigenen Fraktion und globale Handelsboni. Die Entwickler versprechen auch genug Inhalte für ein spannendes "Endgame".

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In Summe zeigte New World in den ersten zweieinhalb Stunden gute Ansätze, ein langfristig spielenswertes MMORPG zu werden. Das Szenario ist unverbraucht, die künstlerische Umsetzung gelungen, und man gibt sich Mühe, den Spieler gut in die Welt von Aeternum zu geleiten. Ob man das vorhandene Potenzial einlöst, wird sich spätestens nach dem offiziellen Launch zeigen.

Ein guter Teil hängt auch davon ab, wie das Spiel monetarisiert werden wird. Die Entwickler ließen sich diesbezüglich nicht tief in die Karten schauen. Zu Beginn sollen jedenfalls nur "Cosmetics", wie etwa Skins, gegen Echtgeld erwerbbar sein, jedoch deuteten sich auch Experimente hinsichtlich der Vermarktung von Erfahrungsboni oder Schnellreiseoptionen an, was bei einigen Beobachtern die "Pay2Win"-Alarmglocken läuten ließ. Wer auf der Suche nach einem neuen MMORPG mit skilllastigem Kampfsystem, klassenloser Progression und originellem Hintergrund ist, sollte aber auf jeden Fall ab 31. August einen Blick auf New World riskieren. (gpi, 19.7.2019)