Mit dem Hund an der Donau zu joggen, das war 2018 für den Sportarzt Stefan Hainzl undenkbar. Jetzt kann er das wieder machen.

Foto: Gregor Hartl

Olympische Winterspiele Pyeongchang, Südkorea, 2018: Diese Spiele werden mir mein Leben lang in Erinnerung bleiben. Es waren meine vierten Olympischen Spiele als ÖSV-Teamarzt. Wir hatten bis zu minus 30 Grad und versuchten, die gesamten Spiele über in unserer heimischen Zeitzone zu bleiben. Wir gingen erst um vier Uhr Ortszeit ins Bett, schliefen bis mittags, um am späten Nachmittag oder Abend zu unseren Wettkampfstätten aufzubrechen.

Schon Wochen zuvor ging es mir nicht gut, mein Bein reagierte nicht richtig, mein Auge war wieder schlechter, und mein Schwindel begleitete mich ständig. In Pyeongchang wurde mir mein Zustand erstmals tatsächlich bewusst. Ich betrat den riesigen Speisesaal im olympischen Dorf, und mein Bein tat nicht das, was ich wollte. Ich musste den Fuß immer bewusst heben, nichts lief mit diesem Bein automatisch. Wenn mein Fokus nicht aktiv auf der Ansteuerung dieses Beines lag, knickte ich immer wieder um, und sobald die Strecken länger wurden und meine Konzentration aufs Gehen nachließ, stieß meine Fußspitze unkontrolliert in den Boden. Trotzdem versuchte ich, nach dem Aufstehen in den Fitnessraum zu gehen, zumindest ein bisschen Rad fahren sollte möglich sein. Doch sobald ich auf dem Fahrrad saß, wurde mir schwindelig. Ich konnte in der Bewegung meine Linsen nicht scharfstellen, dazu dieses künstliche, diffuse Licht. Mein ganzer Körper wollte raus aus dieser Situation, aber mein Verstand wollte bleiben, wollte mir beweisen, dass ich nicht aufgab. Ich versuchte es auf dem Laufband. Nur zehn Minuten. Das musste doch gehen. Sechs Stundenkilometer, das war lächerlich. Für mich, der ich in meinen Glanzzeiten 400 Meter in 48 Sekunden gelaufen bin. Aber dieser Mensch war ich schon lange nicht mehr. Ich war kein junger Leichtathlet, sondern ein 42- jähriger Mediziner, der seit zehn Jahren an Multipler Sklerose litt.

ÖSV-Teamarzt Stefan Hainzl, Clemens Derganc, Pressesprecher Nordische Kombination, Ernst Vettori, damaliger Nordischer Direktor, und Karl-Heinz Holzer, Physiotherapeut, in Südkorea 2018.
Foto: Stefan Hainzl

Ein Zehn-Minuten-Spaziergang im leichten Trabschritt. Das musste möglich sein. Ich habe durchgehalten, doch es fühlte sich nicht an wie ein Triumph. In dem Moment, in dem ich vom Laufband stieg, konnte ich fast nicht mehr stehen. Mein linker Unterschenkel kippte ständig weg und pendelte nach vorn. Einige Jahre später werde ich in der Definition meines MS-bedingten Schwindels das Wort "überschießend" lesen. Das trifft es genau, mein Bein schoss immer wieder unkontrolliert nach vorn, ein entsetzliches Gefühl. Ich hatte die Kontrolle über mein Bein verloren.

Ich versuchte, diesen Zustand zu vertuschen, setzte mich auf den Boden und dehnte. Nach 15 Minuten machte ich den ersten Versuch, wieder aufzustehen, mein Bein gehorchte wieder, langsam fing ich an, wieder normal zu gehen.

Wanken und vertuschen

Wir waren meist bis spätabends an der Schanze. Bei den Trainings und im Wettkampf absolvierte ich viele kleine Wege. Mein Bein funktionierte nur unter höchster Anstrengung, ich geriet bei jedem Schritt ins Wanken.

Es kam der erste Ruhetag, den ich für Ruhe hätte nutzen sollen. Die anderen Teammitglieder fragten mich, ob ich sie zum Langlaufen begleitete. Sie wussten, dass ich, der ehrgeizige Teamarzt, der immer versuchte, selbst mit den Athleten mitzuhalten, der liebend gern Skier testete, das Langlaufen liebte. Sie bemerkten mein Zögern und versprachen, langsam zu laufen. Sie würden sich freuen, wenn ich dabei wäre.

Wir fuhren gemeinsam in die Langlaufarena. Nachdem wir die Sicherheitskontrollen im eigens dafür errichteten Zelt durchlaufen hatten, betraten wir das riesige Areal. Der Bereich war unterteilt in das Wettkampfareal und einen Trainingsbereich. Langläufer, Biathleten und Nordische Kombinierer aus 91 Nationen hatten hier ihre Umkleide- und Wachscontainer. Hinzu kamen Container der einzelnen Ausstatter sowie diverse Essenszelte. Ein Container neben dem anderen, und alle sahen gleich aus. Ein Paradies für Menschen ohne Orientierungssinn.

Die Serviceleute gaben mir Skier, und ich folgte den anderen zur Einstiegsstelle der Trainingsloipe. Schon beim Gehen wurde mir bewusst, dass ich diese Entscheidung bereuen würde. Der Boden war uneben und eisig. Ich musste mich auf jeden Schritt konzentrieren, die Bilder vor meinen Augen verschwammen, und die Angst, enttarnt zu werden, aufzufallen, zuzugeben, dass ich körperlich zu absolut nichts in der Lage war, verschlimmerte meinen Zustand zusehends. Ich hatte das Gefühl, mein linkes Auge bewegte sich nicht. Es fühlte sich an, als würde ich mit beiden Augen in verschiedene Richtungen schauen.

Bei "langsamen" Runden gut mitkommen

Mir war von vornherein klar, dass, wenn Olympioniken sagten, sie gingen spazieren, ich trotzdem ein hohes Tempo laufen musste. Ich kannte diese Menschen seit vielen Jahren, ich wusste, dass sie nie langsam liefen, ich wusste aber auch, dass ich in den vergangenen Jahren bei diesen "langsamen" Runden immer gut mitgekommen war.

Alle Warnsignale meines Körpers ignorierend, stand ich mit Athleten und Betreuern an der Einstiegsstelle, ich schnallte meine Skier an, und wir liefen los. Keine fünf Minuten dauerte es, bis mein Körper über meinen Willen siegte. Ich hatte mehr als 30 Meter Rückstand und konnte mich kaum auf meinen Skiern halten. Immense Wut stieg in mir auf.

Die Gruppe vor mir traf einen befreundeten Biathleten. Er ließ sich zurückfallen, um auch mich zu begrüßen, und startete ein wenig Smalltalk. Ich, der froh war, einen Schritt vor den anderen setzen zu können, war zum Sprechen aber absolut nicht in der Lage.

Es folgte ein kleines Stück bergab, auf dem Ende einer Kompression lag ich am Boden. Im wahrsten Sinne des Wortes. Die anderen liefen weiter. Wer fällt, steht auf. So war das immer. Bis jetzt. Ein verdutzter Blick des Biathleten neben mir. Rufe von der Gruppe. Sie wollten mich dabeihaben. Ich solle kommen, sie warteten. Ich gab vor, diese Runde lieber allein zu laufen, und beschloss, auf der Stelle umzukehren. Mühsam begab ich mich zurück zur Einstiegsstelle.

Dort angekommen, dauerte es mehr als eine Stunde, bis ich den richtigen Container fand. Ich steckte in einem Labyrinth fest. Ein Container neben dem anderen. Schleichwege in alle Richtungen. Absperrungen. Unebener Boden. Ich wusste nicht mehr, wo ich hinmusste. Ich konnte mich nicht erinnern. Orientierungslos taumelte ich umher, auf der verzweifelten Suche nach einer österreichischen Flagge. Und ich wusste, dass ich mich nur aufgrund meiner Verfassung nicht zurechtfand. Verzweiflung kam in mir auf. Wie würde das alles weitergehen? Wie würde meine Zukunft aussehen? Was für ein Leben sollte ich so leben?

Als ich endlich beim richtigen Container angekommen war, traf ich meine Langlauftruppe wieder. Sie waren in der Zwischenzeit eine Stunde Langlaufen gewesen. Auf die Frage, wo ich die ganze Zeit gewesen war, antwortete ich, auch ich wäre Langlaufen gewesen, ganz langsam, nur für mich allein. Das war gelogen. Aber die Wahrheit war in diesem Moment unaussprechlich.

Zurück im Quartier erzählte ich meinem guten Freund und Kollegen Jürgen erstmals, was gerade mit mir passierte. In Bezug auf meine Fußheberschwäche habe ich in diesem Moment begonnen, nicht nur alle anderen, sondern auch mich selbst zu belügen. Ich wusste aus einem MRT meiner Lendenwirbelsäule vom November des Vorjahres, dass ich zusätzlich zu meiner Autoimmunerkrankung ein orthopädisches Problem hatte, welches einen Nervenkanal verengte. Immer wieder versuchte ich mir einzureden, meine Beschwerden hätten nicht unmittelbar mit meiner Multiplen Sklerose zu tun, sondern seien auf diese Verengungen zurückzuführen. Dass die Gesamtheit meiner Symptome mit all dem Schwindel, der Orientierungslosigkeit, der zunehmenden Verschlechterung meiner kognitiven Fähigkeiten und den Beschwerden im Sichtfeld ein Beweis für einen Zusammenhang mit der MS waren, versuchte ich zu verdrängen. Ich wollte nicht wahrhaben, dass es mit mir aufgrund meiner Krankheit so rapide bergab ging.

Ich wollte es nicht wahrhaben

Am 24. Februar 2018 erlangten Willi Denifl, Bernhard Gruber, Lukas Klapfer und Mario Seidl im Mannschaftsbewerb der Nordischen Kombination die Bronzemedaille. Für uns als Team war das ein unglaublicher Erfolg, mit dem nur große Optimisten gerechnet hatten. Wir schafften es, uns gegenüber großen Nationen wie Japan, Finnland und Frankreich durchzusetzen. Die Athleten ließen sich anschließend im Österreichhaus gebührend feiern. Solche Tage gehörten für alle Teammitglieder zu den schönsten Momenten. Diese Momente, in denen Siege begossen wurden, waren für mich aber die schwersten. Die siegreichen Athleten betraten das Österreichhaus, und zu ihren Ehren wurde das Licht zuerst gedimmt, um dann die Athleten wieder in ihrem vollen Glanz erstrahlen zu lassen. In dem Moment, in dem das Licht wieder anging, alle applaudierten und der Raum in grellem Neonlicht erstrahlte, konnte ich mich nicht mehr konzentrieren. Alles verschwamm. Ich versuchte, die Menschen um mich herum zu fixieren und so zu tun, als sei alles in Ordnung. Laute Musik und Stimmengewirr, neben mir Toni Innauer, den ich lange nicht gesehen hatte. Wie es mir ging, wollte er wissen. Ich konnte fast nicht sprechen, meine ganze Konzentration lag darauf, mir nichts anmerken zu lassen.

Kurz darauf stand ich gemeinsam mit Jürgen und unserem Olympia-Pfarrer Jörg an einem Tisch. Auch er wollte wissen, wie es mir ging. Eine Frage, die bei vielen Menschen nur eine Floskel darstellt und bei wenigen wirkliches Interesse. Bei Jörg spürte ich das ernste Interesse, die Ehrlichkeit dieser Frage, und die Wahrheit brach regelrecht aus mir heraus. Ich erzählte ihm von meinem Zustand, endlich gab ich zu, dass es mir nicht gutging.

Zurück in Österreich

Zwei Wochen später ging unser Flieger von Südkorea zurück nach Österreich. Es war ein Samstag, und trotz unserer Taktik, nicht in die dortige Zeitzone überzugehen, fühlte ich mich wie bei einem extremen Jetlag. Zwei Tage später begann ich wieder in meiner Ordination zu behandeln. Alles war zumindest wie in der Zeit unmittelbar vor Südkorea. Ich konnte morgens gut und konzentriert behandeln und wurde von Stunde zu Stunde müder. Es war kein normales Mittagstief, sondern ein Zustand völliger Erschöpfung, ein klassisches für die MS typisches Fatigue-Syndrom. Ich rettete mich in die Mittagspause und machte täglich einen Mittagsschlaf.

Anschließend konnte ich kaum wieder aufstehen. Hatte ich nachmittags frei, wollte ich Zeit mit meinen Kindern verbringen. Ich konzentrierte mich darauf, zu funktionieren, beruflich wie privat. Meist gelang mir das beruflich sogar besser als privat. Vielleicht, weil ich wusste, ich musste. Auch nach schlaflosen Nächten, wenn ich mir nachts wach im Bett nicht vorstellen konnte, wie ich den nächsten Tag überstehen sollte. Zu arbeiten, das ging immer.

Der Ansturm in der Praxis war riesig, wie immer, wenn ich länger unterwegs war. In der Ordination war ich in meiner Welt, fühlte mich sicher, da konnte ich mich um andere kümmern, anstatt mich mit mir selbst auseinandersetzen zu müssen. Ich kenne jeden Handgriff, und meine Hände funktionierten. Ich konnte Menschen helfen, und das half mir, mich besser zu fühlen. Mein linkes Bein wurde währenddessen von Tag zu Tag schlechter.

Ich ließ mich von einem Physiotherapeuten aus meiner Praxis behandeln. Dieser bestätigte mir eine Vorfußheberschwäche am linken Fuß. Ein paar Tage später fragte mich auch ein langjähriger Patient, wie es mir ginge. Das kam nicht oft vor. Patienten fragen ihren Arzt selten nach dessen Wohlbefinden. Ich zögerte, war auf diese Frage nicht vorbereitet. Er bemerkte, dass ich nicht gut aussah, und ich erzählte ihm kurz von meinen Beschwerden im linken Bein, verschwieg aber meinen eigentlichen gesundheitlichen Zustand.

Es gibt Menschen, die möchten gern etwas zurückgeben, wenn man ihnen Gutes tut, und so setzte sich dieser Patient vehement dafür ein, dass ich in das orthopädische Spital nach Speising fahren sollte. Er kannte dort den Primar und war der Meinung, ich solle mich neurochirurgisch untersuchen lassen. Am selben Tag vereinbarte er für mich einen Termin in dem Wiener Spital. Wenn mir dort bestätigt würde, dass meine Symptome im linken Bein ihren Ursprung in der Lendenwirbelsäule hatten und nicht von der MS herrührten, wäre das ein lebensverändernder Lichtblick. Kurz darauf fuhr ich hin. Drei Tage sollte ich dortbleiben.

Gleich am ersten Tag wurde ich klinisch untersucht. Meine Vorfußheberschwäche wurde bestätigt und festgestellt, dass ich insgesamt wenig klinische Symptome für eine Bandscheibensymptomatik hatte.

Ich bezog mein Einzelzimmer und hatte, das erste Mal seit Jahren, absolut gar nichts zu tun. Ich warf mich auf mein Bett und fing an, über die vergangenen Wochen nachzudenken, über die Wochen und Tage, die mich hierhergebracht hatten. Ich dachte darüber nach, dass mir in den nächsten Tagen viele Untersuchungen bevorstanden, von denen ich tief in meinem Inneren schon sicher war, dass sie ergebnislos blieben.

Wie soll es weitergehen?

Ich lag auf meinem Bett und wusste mit einer inneren Sicherheit, dass ich hier falsch war. Es war eine ähnliche Sicherheit wie Anfang 2008, als ich die Diagnose bekam. Viel zu viel funktionierte nicht mehr richtig. Am einschneidendsten empfand ich meine Orientierungslosigkeit. Ich fand mich nirgendwo mehr zurecht, fühlte mich verloren, schämte mich und hatte Angst, enttarnt zu werden. Ich hatte schon vorher eine schlechte Orientierung, darauf konnte ich mich ausreden, wenn man mich fragte, wieso ich mich nicht zurechtfand. Mein Gehirn funktionierte nicht richtig, ich konnte keine Wege mehr zuordnen und mich nicht mehr erinnern, wo ich herkam. Was, wenn sich meine Orientierung weiterhin verschlechterte? Wie sollte ich mich in Zukunft zurechtfinden? Wie sollte dieses Leben weitergehen? Was, wenn ich immer mehr vergessen würde?

Ich war dankbar, dass in dieser schweren Phase meine Hände noch funktionierten. Meine Arbeitsabläufe waren in meinem Unterbewusstsein sicher abgespeichert. Dennoch fühlte es sich an, als würde ich verfallen. Ich, der immer so aktiv war, der den Sport und seine Arbeit liebte. Ich liebte mein Leben, ich liebte mein Zuhause, meine Kinder, meine Familie. Ich wollte noch so viel erleben, und ich bekam mehr und mehr das Gefühl, dass mir das nicht mehr möglich war. Die Angst, dass der Tag, an dem meine Frau Laura mich mit dem Rollstuhl durch die Gegend schieben würde, immer näher rückte, war unerträglich. Meine Kinder sollten mir nicht dabei zusehen, wie ich nicht mehr der Vater sein konnte, der ich so gern war. In diesem Augenblick wurde mir klar, dass, wenn ich jetzt nichts änderte, wenn ich jetzt nicht irgendetwas täte, mein Leben, so wie ich es kannte, bald vorbei sein würde.

Ich nahm zu diesem Zeitpunkt ein relativ neues Medikament gegen Multiple Sklerose, Tecfidera, ein Medikament, von dem ich mir so viel erhoffte, und wieder eines, das ich, wie schon zu Beginn meiner Erkrankung Jahre zuvor Betaferon, nicht vertrug. Es ging mir offen gesagt beschissen, mit oder vielleicht sogar wegen dieses Medikaments. Erstmals stellte ich alles infrage. Das konnte doch nicht meine einzige Option sein – ein Medikament, welches meine MS verzögern sollte und bei dem ich mich selbst verfallen sah.

Ich musste etwas tun

Ich musste etwas tun. Erstmals kam in mir ein Kampfgeist hoch. Ich war auf dem Boden, schlimmer konnte es nicht mehr werden, und wahrscheinlich musste es genau so weit kommen, damit ich mein Leben, meine Krankheit und vor allem meine Zukunft wieder selbst in die Hand nahm. Seit zehn Jahren und zwei Monaten hatte ich meine Diagnose. Das erste Mal in diesen zehn Jahren googelte ich nun die Wörter "Multiple Sklerose". Noch nie zuvor hatte ich diesen Begriff in eine Suchmaschine eingegeben. Die Angst vor den Ergebnissen, den Prognosen, den Horrorgeschichten war immer zu groß. Doch nun hatte ich das Gefühl, schon mitten in einem dieser Horrorszenarien angekommen zu sein. Der Wunsch, eine Alternative zu finden, war stärker als die Angst vor dem, was Google bei der Suche nach Krankheiten für gewöhnlich so auswirft.

In dem Moment, in dem ich den Internetbrowser auf meinem Smartphone öffnete, wurde mir die Bedeutung dieses Augenblicks sofort bewusst. Jeden Tag erzählen mir Patienten von all den schrecklichen Dingen, die ihnen Google antwortet, wenn sie ihre Symptome eingeben. Für mich gab es in den vergangenen Jahren nichts zu googeln. Ich wusste, ich habe MS. Ich wusste, ich lande eines Tages im Rollstuhl. Aber jetzt ging mir das alles zu schnell. In meiner Praxis arbeite ich fast ausschließlich mit alternativmedizinischen Methoden, vieles von meinem Wissen habe ich von Heilpraktikern aus Deutschland. Ich weiß, dass alternative Medizin funktioniert. Ich konnte es mir so manches Mal selbst nicht erklären, aber ich hatte unglaubliche Erfolge damit.

Partnerin im Leben und beim Buchschreiben: seine Frau Laura Hainzl.
Foto: Gregor Hartl

Für mich selbst und meine eigene Krankheit hatte ich aber noch nie einen derartigen Zugang in Betracht gezogen. Ich hatte mich aber auch noch nie ernsthaft damit auseinandergesetzt, hatte mich nur auf das Verdrängen konzentriert. Bis jetzt, wo Verdrängen keine Option mehr war. Ich gab also verschiedene Begriffe ins Suchfeld ein: "MS", "MS behandeln", "MS alternativ behandeln". (...)

So lag ich im Spital in Wien-Speising auf meinem Bett, las mich in die hochdosierte Vitamin-D-Therapie ein. So vergingen die Stunden in meinem Krankenhausbett, und ich hatte endlich wieder Lebensmut geschöpft. Ich hatte einen Plan. Zwei Tage später reiste ich nach mehreren ergebnislosen Untersuchungen und Behandlungen und mit der Empfehlung, weiterhin so zu verfahren wie bisher, aus Speising ab. Ich fuhr zurück von einem Krankenhausaufenthalt, der aus medizinischer Sicht keinerlei Erkenntnisse brachte und trotzdem mein Leben nachhaltig verändern sollte. (Stefan Hainzl, 11.7.2021)