Tom Schilling, Katharina Schüttler in "Ich und die Anderen".

Foto: Sky / Superfilm

Spiele "Wer ist Ich? Und wenn ja

Foto: Sky / Superfilm

Wer ist hier der Boss? Lars Eidinger.

Foto: Sky / Superfilm

Was wäre, wenn wir alles durch die rosa Brille sehen würden?

Foto: Sky / Superfilm

Rittmeisterin Sophie Roiss.

Foto: Sky / Superfilm

Autor und Regisseur David Schalko.

Foto: Sky / Ingo Pertramer

Oh Gott", antwortet David Schalko auf die Frage, worum es in Ich und die Anderen gehe. Das sei gar nicht so einfach zu erklären, sagt der Autor und Regisseur der Serie, die am 29. Juli bei Sky startet. Schalko schickt seine Hauptfigur Tristan in sechs Folgen auf einen faszinierenden Selbstfindungstrip, der allerlei überraschende und schräge Situationen und Begegnungen beinhaltet – und alles ist, nur kein klassischer Serienplot.

STANDARD: Wie ist die Idee zu "Ich und die Anderen" entstanden?

Schalko: Die Idee war kein Urknall. Die Idee ist über lange Zeit in mir gewachsen, dann habe ich mal eine Folge nur für mich geschrieben, die dann jahrelang liegenblieb. Durch ein zufälliges Gespräch mit Sky ergab sich dann schließlich die Möglichkeit.

STANDARD: Sie sprechen von "einem Trip in erzählerisches Neuland". Sky nennt es "ein neues Narrativ im Dschungel der Serienvielfalt". Was ist damit gemeint?

Filmtoast

Schalko: Ich fürchte, man muss es sich anschauen. Die Geschichte funktioniert nicht nach der klassischen Struktur, die wir von Serien kennen – dass es zum Beispiel in jeder Szene eine Wendung gibt, die die Serie vorantreibt – also jene Erzählform, die mit der Serie "Twin Peaks" begann und bis heute die Rezeptur für jeden Serienerfolg ist. Diese Geschichten folgen einer Binge-Watch-Struktur, sind aber im Prinzip szenisches Erzählen. Mir ging es darum, verschränkter, assoziativer zu erzählen. Das Zeitgefüge ist außer Kraft gesetzt, die Dinge sind alle gleichzeitig da und kommunizieren miteinander. Es ist eine Serie, in der man zumindest nie weiß, was in den nächsten drei Minuten passiert.

STANDARD: Aber es gibt sie ja, die Regeln des guten Erzählens, und die funktionieren ziemlich gut. Antike, Tragödie, Komödie, Heldenreise. Wie kann man, wenn es um das Brechen dieser alten Regeln geht, trotzdem eine Geschichte erzählen?

Schalko: Ich glaube, es gibt diese Rezeptur des Erzählens gar nicht per se, sondern wir haben uns auf eine Erzählsprache geeinigt, die besonders bei Serien sehr stark nach dem I-save-the-cat-Prinzip funktioniert: Wenn der Protagonist in den ersten fünf Minuten eine Katze rettet, kann ich mit ihm machen, was ich will, man wird immer Empathie mit ihm empfinden.

STANDARD: Die marketingtauglichen Regeln des High-Concept.

Schalko: Die aber sehr banal sind. Wenn man Autoren wie Charlie Kaufman hernimmt, der sehr postmodern erzählt und versucht, die Prinzipien des Erzählens formal zu durchbrechen, finde ich das weitaus spannender.

STANDARD: Wo sind denn nun aber die Brüche in der Serie? Wir haben eine Hauptfigur, die bestimmten experimentellen Situationen ausgesetzt wird. Klingt fürs erste ja noch gar nicht so ungewöhnlich.

Schalko: Es geht gar nicht so sehr um das Brechen. Das Brechen denunziert meistens nur ein Erzählprinzip, führt aber nicht zu einer neuen Art des Erzählens. In "Ich und die Anderen" kann man es an der Hauptfigur festmachen. Zu Beginn hat man das Gefühl, man hat es mit einem Mann ohne Eigenschaften zu tun. Dieser Charakter setzt sich immer mehr zusammen, je mehr ihm passiert. Es werden andere Gesetzmäßigkeiten verwendet, was sehr viel damit zu tun hat, was erzählt werden will. Es geht um die Frage, was ist ein Ich, definiert sich das über die anderen? Was ist das für eine Lebensgeschichte, die wir uns ständig selber erzählen? Was steckt hinter dem Begriff Selbstentfaltung, Individualität? Es geht nicht darum, eine künstliche Erzählform zu erfinden, sondern die geeignete Erzählform zu finden, die all diese diskursiven Fragen in der fiktionalen Form am besten abbilden.

STANDARD: Tom Schilling ist Tristan. Wieso er?

Schalko: Ich hatte Tom schon beim Schreiben im Kopf, weil er für mich diese Figur, in die man sehr viel hineinprojizieren muss, ideal repräsentiert. Er ist ein akribischer Schauspieler, was für diese Rolle sehr wichtig ist. Weil er in fast jedem Bild vorkommt und man ihm gerne bei der Arbeit zusehen soll.

STANDARD: Und dann gibt es einige weitere Planeten, die um ihn kreisen. Besonders verhaltensauffällig sind dabei Sophie Rois und Martin Wuttke als Tristans penisfixierte Eltern. Wie würden Sie sie beschreiben?

Schalko: Alle Figuren entsprechen gewissen Klischees mit einer Funktion, die sich verändert, je nachdem, welche Situation erzählt wird. Die Geschichte der Eltern und auch der Schwester ist eine klassische Ödipusgeschichte, was auch seinen Grund hat. Den verrate ich hier nicht, weil er sich in Staffel zwei auflöst. Es geht jedenfalls nicht um den reinen Penis-Witz. Gleichzeitig sind die Eltern-Szenen eine Persiflage auf den Typus eines mediokren Alt-68er-Künstlers, der sich mehr über die Exzentrik definiert – als über die Qualität seiner Arbeit.

STANDARD: Wie schaut Ihre Arbeit des Schreibens aus? Mit einer weißen Schautafel und Post-its, Skizzen?

Schalko: Nein. So eine Tafel würde mich wahnsinnig machen. Ich versuche mich in den Büchern selber zu bewegen und im Kopf zu bleiben. Es ist wie ein gespeichertes Zimmer, das wächst und sich verändert. Das war bei diesem Projekt tatsächlich schwierig, weil die Szenen ständig miteinander korrespondieren und ich deshalb nicht einfach losschreiben konnte.

STANDARD: Die Ordnung passiert im Kopf?

Schalko: Schreiben ist eine ständige Organisationsarbeit von Gedanken, bei der man sich überlegen muss, was mache ich damit? Es gibt keine Ordnungsrezeptur, aber es gibt in gewisser Weise Schubladen, in denen Dinge landen.

STANDARD: Wie heißen Ihre momentanen Schubladen?

Schalko: Eine heißt zum Beispiel "The Last Nazi Movie", eine andere heißt "Kafka.

STANDARD: Unter Filmschaffenden, die fürs Fernsehen arbeiten, gibt es immer wieder Beschwerden über störende Einmischungsversuche von Seiten der Redaktionen. Ist Ihnen dergleichen bekannt?

Schalko: Natürlich ist mir das bekannt, ich erlebe das immer wieder. Die Frage ist, wie man selbst damit umgeht. Ich mache relativ schnell klar, wie ich arbeiten will, trotzdem streitet man ganz oft. Bei "M" habe ich zum Beispiel sehr viel gestritten. Ich mache auch immer klar, dass ich bereit bin, hinauszugehen und die Tür hinter mir zu schließen und dass es mir wichtiger ist, ein Projekt unkorrumpiert über die Bühne zu bringen, als korrumpiert und dass ich sonst lieber gehe. Ich bin schon sehr oft bei einer Tür rausgegangen und habe sie hinter mir zugeknallt. Eigentlich bei fast jeder Serie.

STANDARD: Aber dann wieder zurückgekommen?

Schalko: Ich glaube, dass im Fernsehen die Leute oft nicht gewohnt sind, dass man rausgeht und sagt: Ich geh‘ jetzt aufs Klo und wenn ich zurückkomme, dann sagt ihr mir, ob ich Urlaub habe oder ob ich drehe. Das ist ein sehr ungewohnter Prozess beim Fernsehen, weil alle voneinander abhängig sind und jeder Angst hat, dass man zu weit geht. Und wenn man diese Angst nicht hat, und sagt, dann halt nicht, hat man die Chance, ein Projekt in einer sehr großen Klarheit durchziehen zu können. Ich bin aber eigentlich ein sehr ruhiger, sanftmütiger Mensch, das klingt jetzt fast als wäre ich ein Choleriker.

STANDARD: Gute Kritiken sind Sie gewohnt, was am ehesten bemängelt wird, ist ein gewisses Defizit in der weiblichen Figurenentwicklung. Die kämen über bloße Klischees kaum hinaus und hätten auch sonst nicht viel Handlungsanteile. Was sagen Sie dazu?

Schalko: Das ist auch bei männlichen Figuren so. Klar, es stimmt, dass zum Beispiel "Braunschlag" in einer sehr männlichen Welt erzählt wird, weil das politische Landleben eben eine sehr männliche Welt ist. Ich glaube aber nicht, dass die männlichen Figuren komplexer sind, als die weiblichen. Der nächste Roman, den ich schreibe, wird aus einer weiblichen Perspektive erzählt – und dann wird es ganz schlechte Kritiken hageln.

STANDARD: Das macht Ihnen nichts aus?

Schalko: Wenn ich befetzt werde? Nein. Ich unterscheide auch gar nicht so sehr zwischen schlechten und guten Kritiken. Ich kann mit einer gut geschriebenen schlechten Kritik mehr anfangen als mit einer schlecht geschriebenen guten Kritik. Ich mache diesen Beruf nicht, um von 15 Journalisten geliebt zu werden und auch nicht von drei Millionen Leuten, sondern in erster Linie für mich selbst. Wenn das dann jemand anderem auch gefällt, freue ich mich,.

STANDARD: Wir bleiben bei den heiklen Themen. Wie geht’s der österreichischen Serie?

Schalko: Es ist ein allgemeiner Zustand, den ich beobachte. Dass man bei uns sehr bieder ist, vielleicht aus der Spekulation heraus, dass man das ältere, ländliche Publikum halten will. In Deutschland ist man bei den öffentlich-rechtlichen schon weiter, weil man die Mediatheken mit Budget ausgestattet hat, um eine neue Sprache für den öffentlich-rechtlichen Sektor zu entwickeln, der auch für junge Leute interessant ist. Ich sehe aber auch eine ähnliche Art des Konservatismus bei Streamingplattformen, weil die sich oft nur auf ihre Rezeptur verlassen. Weil Marktanteile immer wichtiger werden und immer mehr Anbieter da sind. Die Menge der Anbieter wird in den nächsten Jahren noch mehr vom Gleichen hervorbringen und Diversifikation verhindern. Und es wird ganz viel Eskapismus erzählt werden, weg von der Dystopie, mehr Komödie. Romantic-Comedys sind stark im Kommen. Die Virus-Geschichte ist für die nächsten paar Jahre tot. Die historische Pestserie hat im Moment wahrscheinlich auch nicht die allerbesten Chancen.

STANDARD: Apropos Eskapismus: Sie schreiben mit Jan Böhmermann an einem Projekt über das Ibiza-Video. "Der Film geht in eine ganz Richtung, es wird eine völlig andere Geschichte erzählt", war zu lesen. Und dass es unklar ist, ob das Projekt überhaupt verwirklicht wird. Wie jetzt?

Schalko: Wir befinden uns in der Buchphase. Unser gemeinsames Ziel ist es, etwas zu erzählen, das zeitlos ist und nicht das Erwartbare beinhaltet. Es geht nicht darum, das Ibiza-Video nachzuerzählen, sondern zu fragen, worum es in der Substanz geht und was davon in zehn Jahren noch interessant ist. Wir fühlen uns auch nicht dem Realismus verpflichtet, weil Satire eine andere Wahrheit herausschält. Es geht nicht darum, das, was ohnehin schon bizarr ist, zu toppen. (Doris Priesching, 11.7.2021)

Das Gespräch zum Hören im STANDARD-Podcast Serienreif: