Ob als DJ hinter dem Plattenteller, als überdimensionaler Pinsel im Video von Deichkind oder als Jedermann vor dem Salzburger Dom: Lars Eidinger mag die Abwechslung.

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Ein Interview reiht sich an diesem heißen Salzburger Sommertag ans nächste. Lars Eidinger spielt erstmals den Jedermann, das ist etwas, das sich kaum ein Medium entgehen lassen will. Ohne sichtbare Müdigkeit beantwortet der 1,90 Meter große Schauspieler aus Berlin-Charlottenburg in einem wahren Marathon die Journalistenfragen. Kommenden Samstag ist Premiere von Michael Sturmingers Neuinszenierung. Nervös, sagt Eidinger, sei er nicht. Eine Videofassung des Gesprächs finden Sie hier.

STANDARD: Der Rummel rund um Ihre Person hat Fahrt aufgenommen. Bereuen Sie bereits, dass Sie die Rolle angenommen haben?

Eidinger: Im Gegenteil. Ich fühle mich bestätigt. Der richtige Rummel hat allerdings noch nicht eingesetzt. Am Wochenende kriegt man manchmal einen Eindruck, wie es ist, wenn sich die Stadt füllt. Ich habe aber das Gefühl, dass man dem gut entkommen kann.

STANDARD: Klaus Maria Brandauer hat den Jedermann den "Faschingsprinzen von Salzburg" genannt.

Eidinger: Ich habe noch nie ein Bierfass angestochen, will das auch nicht vorschnell bewerten. Ich bin ein neugieriger Mensch. Als DJ bin ich oft auf Veranstaltungen, zu denen ich sonst nicht gehen würde. Anstrengend wird das dann, wenn man angehalten ist, den Erwartungen der Menschen zu entsprechen. Diesen Druck spüre ich aber nicht. Ich bin derzeit sehr ruhig.

STANDARD: Es ist ein weiter Weg von Berlin-Charlottenburg auf den Salzburger Domplatz. Wie nahe ist Ihnen die Rolle bereits gekommen?

Eidinger: Auch für mich mutet es seltsam an, dass ich als Berliner den Jedermann gebe, als Nachfolger von Moissi, Brandauer, Voss. Nachdem ich für meinen Beruf viel unterwegs bin, bin ich es allerdings gewohnt, in unterschiedlichen Zusammenhängen zu arbeiten. Mir ist die österreichische Kultur sehr nah und vertraut, ich könnte mir auch vorstellen, in Wien zu leben. Salzburg ist für mich in seiner Fremdartigkeit sehr attraktiv.

STANDARD: Als Sie als neuer Jedermann bekanntgegeben wurden, stand im Standard: "Der Jedermann kriegt jetzt einen Hipster-Anstrich". Können Sie mit dieser Zuschreibung etwas anfangen?

Eidinger: Nein. Das Interessante an Hipstern ist ja, dass kein Hipster je zugeben würde, ein solcher zu sein. Das Missverständnis meiner Person besteht oft darin, dass man nicht sieht, dass ich stark der Tradition verpflichtet bin. Ich bin eher konservativ, auch was meine Vorstellung von Theater anbelangt. Ich bin überhaupt nicht hip. Ich glaube an das Ursprüngliche und Klassische und versuche eher nachzuvollziehen, was Hofmannsthal mit dem Jedermann gemeint hat.

STANDARD: Gleichzeitig sind Sie DJ, designen Taschen oder lassen sich von Deichkind als Pinsel über eine überdimensionale Leinwand ziehen. Wie geht das zusammen?

Eidinger: Ich genieße die Freiheit, in unterschiedlichen Zusammenhängen vorzukommen. Man täuscht sich darin, wenn man glaubt, ich suche meine Rollen selbst aus, das machen andere Menschen. Ich habe nicht bei den Festspielen angerufen und gesagt, ich will den Jedermannspielen. Ich war immer ein Deichkind-Fan, spiele in vier Musikvideos von ihnen mit. Da ist zusammengekommen, was zusammengehört. Ich werde dieses Jahr meinen ersten Film in Hollywood drehen. Auch das hat sich einfach ergeben.

STANDARD: Als Salzburg angerufen hat, haben Sie sofort Ja gesagt?

Eidinger: Bettina Hering (Schauspielchefin der Festspiele, Anm.) hat mir zuerst die Rolle des Todes angeboten. Ich war maßlos enttäuscht, ich wollte ja den Jedermann spielen! Nach einem Jahr kam ein neuerlicher Anruf, und ich sagte sofort Ja.

STANDARD: Das zentrale Thema des "Jedermann" ist: Was passiert, wenn der Tod mitten ins Leben tritt? Sie sind Mitte 40. Welches Verhältnis hat man da zum Tod?

Eidinger: Für mich war der Tod immer ein zentrales Thema. Es gibt ein Kinderbuch namens Ente, Tod und Tulpe, da sagt die Ente zum Tod: Wer bist du denn? Ich bin der Tod, sagt der Tod. Ich bin da, ich bin immer da. Ich habe früher viel mit dem Tod kokettiert, jetzt weicht diese Koketterie der Angst. Wenn ich mich im Spiegel anschaue, habe ich das Gefühl, ich schaue mir beim Sterben zu. Dieser Verfall ist nicht einfach zu ertragen. Wobei es im Jedermann weniger um den Tod als um das Leben geht. Angesichts der Bedrohung des Todes fragt man sich: Was ist das Leben? Welche Werte kann ich über den Tod hinaus mitnehmen?

STANDARD: Sie haben in Interviews erzählt, dass Sie sich bereits als Kind mit dem Tod beschäftigt haben. Woher kommt das?

Eidinger: Ich habe mir immer schon mit der Endlichkeit des Daseins schwergetan. Irgendwann habe ich verstanden, dass genau darin die Schönheit des Lebens liegt. Vampire sind todunglücklich, obwohl sie nicht sterben. Ich fand, dass die Liedzeile "Who wants to live forever?" eine rein rhetorische Frage ist. Dabei spielt dieses Lied von Queen damit, dass einem genau das Angst machen sollte. Das Festhaltenwollen, das ist etwas, das einen dauerhaft unglücklich macht. Darin liegt auch die Schönheit von Theater: dass es loslässt. Man spielt und man weiß, das Ganze findet nur heute Abend so statt. Und dann ist es wieder vorbei.

STANDARD: Neben dem Tod spielt der Glaube eine zentrale Rolle im Stück.

Eidinger: Als jemand, der nicht an Gott glaubt, lege ich mir das so zurecht, dass es weniger um den Glauben an Gott als um den Glauben an das Sein, an den Menschen geht. Alles andere hat für mich etwas Romantisches, etwas religiös Verklärendes. Mir ist wichtig, damit zu brechen. Das Stück benennt Dinge sehr konkret und fragt: Was ist Freundschaft, was ist Liebe, was ist Glaube? Und inwiefern ist das alles greifbar? Vielleicht geht es darum, mit sich Frieden zu schließen.

STANDARD: In der Inszenierung von Michael Sturminger entschwand Jedermann am Ende mit dem Tod im Dom, geborgen im Schoß der Kirche gewissermaßen. Das hat durchaus etwas Kathartisches.

Eidinger: Es gibt Dinge an der Kirche, die ich immer sehr nachvollziehbar fand. Zum Beispiel, dass Gott die Menschen nach seinem Ebenbild erschaffen hat. Oder dass Gott in uns ist. Damit kann ich etwas anfangen. Womit ich aber nichts anfangen kann, sind Versprechungen von etwas, das nicht erfahrbar ist. Was mich interessiert, ist, was jetzt stattfindet. Im Moment.

STANDARD: Die heurige Inszenierung ist zwar wieder von Sturminger, nennt sich aber Neuinszenierung. Sie haben daran keinen kleinen Anteil …

Eidinger: Es ist alles neu, von den Schauspielern über das Bühnenbild, die Musik und die Kostüme. Ich bin dem Ganzen ziemlich kritisch gegenübergetreten. Nicht aus Bösartigkeit, sondern weil das einfach meine Art ist. Reibung setzt Energie frei, und ich war positiv überrascht, mit welcher Offenheit Michael Sturminger damit umgegangen ist. Er hat es als Herausforderung angenommen. Ein schöpferischer Prozess hat eingesetzt. Man darf nicht vergessen, warum sich Kollektive versammeln, um gemeinschaftlich etwas zu erleben: Weil die Intelligenz einer Gruppe größer ist als die Summe der Einzelnen.

STANDARD: Ob im Theater oder im Club ist egal?

Eidinger: Ich mag die intellektuelle Auseinandersetzung, Clubs empfinde ich als stumpfer. Ich würde die gleiche Erfüllung, die ich als Schauspieler empfinde, als DJ nicht empfinden. (Stephan Hilpold, 10.7.2021)