Am Sonntag soll auf der Piazza del Popolo in Rom nicht wie zuletzt der Bär steppen. Ein Massenandrang soll vermieden werden, 2.500 Fans sind zugelassen.

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Euro-Ticker, das Finale: Italien vs. England, So., 21 Uhr

Rom – Ettore Panna, Zeitungsverkäufer an der Römer Piazza Balduina am Monte Mario oberhalb des Vatikans, ist kategorisch: "Ob wir am Sonntag verlieren oder gewinnen werden – darüber sage ich kein Wort. Das bringt Unglück." Dabei wäre Panna durchaus prädestiniert für Prognosen: Er hatte laut eigener Aussage vor längerer Zeit einmal mit einem Zwölfer beim "Toto-Calcio" 52 Millionen Lire gewonnen – umgerechnet 26.000 Euro. Er sagt es zwar nicht, aber insgeheim – das lässt sich an seinem hoffnungsvollen Lächeln leicht ablesen – rechnet Panna fest mit einem Sieg der Azzurri. Gefühlten 60 Millionen Italienern geht es aber wie ihm. Um offen eine Prognose zu wagen, sind die Tifosi viel zu abergläubisch.

Schicksalsgemeinschaft

Das bedeutet freilich nicht, dass die Italiener Angst hätten vor den Engländern. Das ganze Land befindet sich in Euphorie und schwärmt von Trainer Roberto Mancinis Mannschaft, die mit erfrischendem Angriffsfußball und beeindruckendem Teamgeist überzeugt hat. Die Zuversicht im Hinblick auf die "Finalissima" ist jedenfalls groß. "Die Azzurri sind eine eingeschworene Gemeinschaft, in der jeder für jeden kämpft. Das macht uns sehr stark", sagt der Römer Anwalt Francesco Rossi. Die Pandemie habe die Italiener daran erinnert, eine Schicksalsgemeinschaft zu sein. "der Fußball ist auch in diesem Fall ein Spiegel unserer Gesellschaft und unserer Gemütsverfassung."

Dass die Azzurri in der Höhle der Löwen spielen müssen, beeindruckt die Tifosi nicht. Das Finale vor dem Publikum des Gegners sei sogar ein psychologische Vorteil. Die Engländer, so die vorherrschende Meinung, werden unter einem enormen Druck stehen. Der Publizist Beppe Severgnini beschrieb es im Corriere della Sera so: "Wir Italiener wissen, dass wir auch verlieren können. Die Engländer dagegen glauben immer, dass sie gewinnen müssen. Das ist der Grund, warum wir es dann meistens besser machen als sie."

Virus feiert mit

Die Behörden richten sich jedenfalls auf ausgelassene Feiern ein. Sorge bereiten der Regierung aber vor allem der unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen zirkulierende Coronavirus. Die Infektionszahlen sind bereits nach den bisherigen Spielen angestiegen, also erinnerte Gesundheitsminister Roberto Speranza an die nach wie vor geltenden Spielregeln: "In Menschenansammlungen müssen auch im Freien Masken getragen und ein Sicherheitsabstand von einem Meter eingehalten werden." Man kann nicht behaupten, dass das bisher funktioniert hätte – in überquellenden Fanzonen unter den Augen machtloser und selbst enthusiasmierter Ordnungskräfte.

Als oberster und mit Sicherheit ruhigster Tifoso der Nation wird am Sonntag Staatspräsident Sergio Mattarella im Wembley sitzen. Die Präsenz des Staatsoberhaupts weckt bei den älteren Tifosi schöne Erinnerungen an den Jubel des greisen Staatspräsidenten Sandro Pertini beim WM-Finalsieg Italiens gegen die Deutschen 1982 im Bernabeu-Stadion zu Madrid. Vielleicht wird für die abergläubischen Tifosi auch Mattarella zum Glücksbringer. (Dominik Straub aus Rom, 10.7.2021)