Wien – Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) gibt sich weiter unbeeindruckt vom Gegenwind des Koalitionspartners ÖVP und den Bundesländern wegen der Evaluierung der Asfinag-Bauprojekte. Nach offener Kritik der ÖVP zeigte sich Gewessler am Sonntag in der "Presse" eher "überrascht" über die "Überraschung" bei den Türkisen. Die Koalition sieht sie aber nicht gefährdet. Die Neos reagierten unterdessen "mit null Verständnis" auf das türkis-grüne Hickhack.
Man habe ein gemeinsames Regierungsprogramm, in dem der Klimaschutz eine zentrale Rolle spiele, bekräftigte Gewessler. "Bei Infrastrukturprojekten sitzen immer sehr viele Interessen am Tisch – regionale, überregionale, die Interessen der Wirtschaft. Und mit mir sitzen jetzt auch der Klimaschutz und der Umweltschutz am Tisch", meinte Gewessler im "Kurier". Dass die Straßenbauprojekte evaluiert werden sollen, was eine "gemeinsame Entscheidung" mit der Asfinag gewesen sei, habe sie schon im Dezember in einer parlamentarischen Anfrage transparent gemacht. "Insofern überrascht mich eher die Überraschung", sagte die Ministerin in der "Presse am Sonntag".
Bundesländer und ÖVP gegen Gewessler
Seit das Umwelt- und Verkehrsministerium die Prüfung der Neubauprojekte ankündigt hat, was unter anderem auch den Umfahrungsring im Nordosten Wiens inklusive Lobautunnel betrifft, gibt es heftigen Widerstand aus den Bundesländern. Am Freitag hatte sich Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) an die Seite der Länder gestellt und erklärt, er sei "sehr optimistisch, dass sich der Hausverstand durchsetzen wird". Umwelt-Staatssekretär Magnus Brunner (ÖVP) legte dann am Samstag nach: Er kritisierte "Alleingänge" von Gewessler und warf ihr "Verunsicherung" der Bevölkerung vor". Der Grüne Energiesprecher Lukas Hammer riet der ÖVP daraufhin, "auf die Wissenschaft zu hören", denn diese sei wie schon in der Pandemie auch in der Klimakrise "die bessere Ratgeberin".
Mit "null Verständnis" reagierte am Sonntag Neos-Umweltsprecher Michael Bernhard auf den Koalitionsstreit rund um den Lobautunnel. "Klimaschutz ist neben der Bewältigung der Coronakrise die dringlichste Aufgabe der Politik, Klimaschutz eignet sich daher nicht für politische Spielchen, vielmehr braucht es auch hier einen Schulterschluss", mahnte er in einer Aussendung. "Mich interessiert herzlich wenig, was der 'Hausverstand' des Herrn Kurz sagt, mich interessiert, was die Wissenschaft sagt. Und die ist sich einig: Der Lobautunnel würde zu mehr Autos und damit zu mehr Umweltbelastung führen – und es gibt keine Strategie, wie und wo man diese zusätzlichen Emissionen kompensieren würde." Es sei daher nur logisch und längst überfällig, dass Verkehrsprojekte, die vor 20 oder 30 Jahren begonnen wurden, noch einmal evaluiert werden.
FPÖ-Verkehrssprecher Christian Hafenecker dagegen hatte bereits am Samstag ein "Machtwort" des Kanzlers angeregt, um Gewessler "auf den Boden der Vernunft" zurückzuholen, denn diese "entpuppt sich immer mehr als 'unguided missile'". (red, APA, 11.7.2021)