Eine Nonne, die sich wie eine Vorläuferin eines Populisten geriert: Virginie Efira in Paul Verhoevens "Benedetta".

Foto: Cannes

Noch ist es dem Kino auf dem Festival von Cannes nicht richtig gelungen, das dominante Thema des letzten Jahres zu überflügeln. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat für Montagabend neue Restriktionen angekündigt, um dem jüngsten Anstieg an Covid-19-Fällen der Delta-Variante entgegenzuwirken. Auf dem Festival machen seitdem Gerüchte die Runde, die vom vorzeitigen Abbruch bis zu Einschränkungen der Saalkapazitäten reichen. Nichts davon wurde von offizieller Seite bestätigt, im Gegenteil: Weiterhin gelangt man ohne Drei-G-Nachweis in die meisten Kinos.

Das führt dann auch dazu, dass ein Film wie Benedetta plötzlich in einem anderen Licht erscheint. Paul Verhoevens Wiederbelebung des "Nunsploitation"-Fachs, wie man diese grelle Trashvariation des Nonnenfilms in den 1970er-Jahren nannte, spielt im Italien des 17. Jahrhunderts. Zum Höhepunkt des Geschehens geht es auch darum, wie man die Pest am effektivsten bekämpft. Die von Virginie Efira verkörperte neue Äbtissin lässt die Stadt Pescia verriegeln. Sie setzt damit auch einen Akt der Selbstermächtigung: Sie nutzt die Not, um sich als direktes Sprachrohr Jesu die Ergebenheit ihres Volkes zu sichern. Und ironischerweise behält sie mit ihrer Maßnahme noch recht.

Volle Klosterkasse

Damit ist man bereits im fröhlich-ketzerischen Herzen dieses Films, der als angekündigter Skandal an die Croisette gereist ist. Die Äbtissin mit bronzenem Teint gleicht bei Verhoeven dem Prototyp einer Populistin, die geschickt mit Emotionen zu manipulieren weiß. Damit erscheint sie trotzdem noch ehrenhafter als all jene kirchlichen Würdenträger, die nur auf ihren Machterhalt aus sind. Bei der von Charlotte Rampling verkörperten Vorgängerin im Amt ist der Glaube etwa ganz profan auf die volle Klosterkasse gerichtet.

Verhoeven erzählt Benedettas Aufstieg im Kloster als libidinöse Himmelfahrt in satten Farben. Als junger Nonne begegnet ihr bereits Jesus als schwertschwingender Retter in Visionen; in einer Form von Übertragung ist es dann aber die Novizin Bartolomea (Daphné Patakia), mit der sie die Liebe um eine körperliche Seite ergänzt. Der eigens zurechtgeschnitzte Dildo mit Marienantlitz wurde beim Screening spontan, aber auch recht erwartbar beklatscht.

Wuschelbärtige Trinker

Verhoeven versteht es seit jeher wie kaum ein anderer Regisseur, moralische Mehrdeutigkeiten in populäre Genreformate zu streuen. Dennoch gewinnt man bei Benedetta anders als bei seinem Vergewaltigungsdrama Elle (2016) nur selten den Eindruck von der Triftigkeit dieses Unterfangens. Selbst der Autor eines Buches über Jesus als einen Politikertypus scheint er mit dieser Katholizismustravestie seinen Glauben an die Kraft inkorrekten Humors mit uns teilen zu wollen.

Wie stark das Kino vom Rückgriff auf Legenden lebt, die sich immer noch ein Stück weiter dichten lassen, zeigt indes eines der bemerkenswertesten Spielfilmdebüts in Cannes, The Tale of King Crab (Re Cranchio) von Matteo Zoppi and Alessio Rigo de Righi. Wie Alice Rohrwacher oder Pietro Marcello beleben sie mit ihrem Drama über einen wuschelbärtigen Trinker und Außenseiter (Gabriele Silli), der sich Ende des 18. Jahrhunderts einem Fürsten widersetzt, die pastorale Tradition des italienischen Kinos.

Kraftvoll, lyrisch ist der ins Archetypische neigende Realismus des ersten Teils, der die Klassengefälle der Alten Welt behandelt. Im zweiten Teil wechselt der Film an den "Arsch der Welt", aufs Feuerland von Argentinien. Schroffe, grandiose Landschaftsbilder bilden die Bühne für einen mythendurchtränkten Western, in dem die Gier nach Gold für ein neues Zeitalter steht, in das justament eine Königskrabbe als Kompass geleiten soll.