Nicht nur in der Hauptstadt Rom feierten tausende Fans den Sieg ihrer Nationalmannschaft.

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Rom – 53 Jahre nach dem letzten und bis Sonntagabend einzigen EM-Sieg der Italiener war es endlich wieder so weit: "Siamo campiooooni, siamo campiooooni, siamo campiooooni" ("Wir sind Meister"), jubelten und sangen von Turin im Norden bis Palermo im Süden Millionen italienischer Fußballfans kurz vor Mitternacht: Torhüter Donnarumma hatte im Penaltyschießen gerade seinen zweiten Elfmeter gehalten und ist damit definitiv zum Helden der Tifosi und der ganzen Nation geworden.

Die Fußballfans in Rom feierten gestern Nacht den EM-Titel, auf den sie 53 Jahre gewartet hatten.
DER STANDARD

Italien erlebte in der lauen Sommernacht von Sonntag auf Montag eine Explosion der Freude, der Euphorie. Im ganzen Land flogen Knall- und Rauchpetarden in den Himmel, Fans tanzten auf Plätzen und Straßen. "Es ist fast zu schön, um wahr zu sein", jubelte der 45-jährige Heizungstechniker Marco Marrocco, bevor er sich im Römer Balduina-Quartier in seinen Fiat 500 setzte, um sich den mit den italienischen Nationalflaggen bestückten Autokorsos anzuschließen, die noch stundenlang durch die Stadt fahren und hupten sollten. Er habe zwar immer an die Mannschaft geglaubt, aber dass man im legendären Wembley-Stadion die starken Engländer besiegen werde, sei ja keineswegs sicher gewesen, betonte Marco.

Mit 36 Jahren darf sich Publikumsliebling Giorgio Chiellini zum Europameister krönen.
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Verkehr brach zusammen

In Rom brach nach der entscheidenden Parade von Donnarumma umgehend der Verkehr zusammen, nicht nur rund um die von den Behörden festgelegten Fanzonen auf der Piazza del Popolo und auf den Fori Imperiali (Kaiserforen), sondern vor allem auch auf den Straßen entlang des Tibers, der bevorzugten Route für die Autokonvois. Zahlreiche junge Fans sprangen in die barocken Brunnen, selbst die Dächer von Bussen und Straßenbahnen wurden zu Fest- und Tanzbühnen umfunktioniert. Ähnliche Szenen spielten sich in allen Städten des Landes ab: Es schien, als würden sich alle 60 Millionen Italiener auf die Straßen stürzen, um zu feiern.

Der Sieg hatte von den Tifosi erlitten werden müssen: Nach dem 1:0 durch die Engländer schon in der zweiten Minute war es in Italien zunächst einmal totenstill geworden: "Mannaggia la miseria" (frei übersetzt: Verflixt nochmal") stöhnten danach die Fans zu Hause und beim Public Viewing bei jedem fehlgeschlagenen Versuch der Azzurri, das Spiel wieder auszugleichen. Dafür konnten sie später gleich mehrfach jubeln – zuerst beim Ausgleich und dann erst recht bei der Lotterie des Elfmeterschießens: Jeder Treffer der Italiener und jeder Fehlversuch der Engländer wurde von Freudentänzen und Knallpetarden begleitet. Marco hatte am Ende des Spiels praktisch keine Fingernägel mehr.

Schmach vergessen

Die Freude, die Ausgelassenheit und auch der Stolz der italienischen Tifosi auf die eigene Mannschaft haben auch mit der Schmach für die Nichtqualifikation für die WM von 2018 zu tun. "Wir sind wieder da, wo wir als vierfacher Weltmeister hingehören: an der Spitze. Und erreicht haben wir das mit schönem Angriffsfußball", sagte Marco schon vor dem Spiel – und drückte damit aus, was wohl alle im Land dachten.

Bereits die Qualifikation für das EM-Finale war schon fast wie ein Titelgewinn gefeiert worden, unabhängig vom Ausgang des Sonntagspiels. Dass man nun zum zweiten Mal nach 1968 Europameister geworden ist, war somit nur noch die berühmte "ciliegina sulla torta", die Kirsche auf der Torte. Gewonnen hatte Italien schon vor dem Spiel.

Mattarella jubelt

Bemerkenswertes hatte sich an diesem denkwürdigen Sonntagabend auch auf der Tribüne des Wembley-Stadions abgespielt: Staatspräsident Sergio Mattarella, normalerweise die Coolness in Person und eine italienische Variante von britischem Understatement, riss beim Ausgleichstor von Bonucci jubelnd die Arme hoch, und später, bei der Siegerehrung, spendete er den Azzurri eine minutenlange, bewegende Standing Ovation.

Italien hatte während der Pandemie viel durchgemacht, jetzt gibt es endlich wieder Grund zum Feiern: Da konnte selbst der fast 80-jährige Staatspräsident aus Palermo seine Emotionen nicht zurückhalten.

Mit einem zufriedenen Grinser verfolgt der italienische Präsident Sergio Mattarella die Überlegenheit seiner Squadra nach dem Ausgleich.
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Sorge um Infektionsanstieg

Apropos Pandemie: Nach 128.000 Toten und vier Millionen Infizierten in Italien hatten sich die Gesundheitsbehörden vor dem Finale ernsthafte Sorgen wegen eines möglichen Wiederanstiegs der Infektionszahlen gemacht: Die Fanzonen im ganzen Land wurden strengen Platz- und Zugangsbeschränkungen unterworfen; gleichzeitig wurde daran erinnert, dass im Fall von Menschenansammlungen auch im Freien immer noch Maskenpflicht herrsche.

An den ausgelassenen Feiern von waren Gesichtsmasken freilich kaum zu sehen – und halbleere Fanzonen nützen auch nicht viel, wenn sich rund um sie herum Tausende in den Armen liegen. Experten befürchten bereits eine Rückkehr der Pandemie, trotz derzeit tiefer Fallzahlen.

Coronatechnisch nicht ganz optimal -aber wenn Italien Europameister wird, hat das Virus Nachrang, wie hier in Mailand eindrucksvoll zur Schau gestellt wird.
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Doch daran mochten die Tifosi in dieser wunderbaren Sommernacht keine Gedanken verschwenden. Es zählte nur eines: "Viva l'Italia, siamo campiooooni!!!" Und die "campioni" werden Montagnachmittag um 17 Uhr von ihrem obersten Tifoso Mattarella im Quirinalspalast empfangen, dem Sitz des italienischen Staatspräsidenten auf dem Quirinalshügel. (Dominik Straub aus Rom, 12.7.2021)