Die Feuer in Nordirland feiern den Sieg des protestantischen Königs Wilhelm von Oranien über die Truppen des entthronten Katholiken James II.

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In Dublin gedachten führende Politiker am Sonntag der Waffenruhe, die vor 100 Jahren den Weg zur irischen Republik geebnet und damit die Teilung der Grünen Insel besiegelt hatte. An der Geste der Versöhnung nahm auch der britische Botschafter teil. Im weiterhin zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland bleibt die politische Lage äußerst angespannt.

Dort hielten die Verantwortlichen bei Polizei und Politik die Luft an: Würde es in der Nacht zum Montag, einem Feiertag zur Erinnerung an einen viel weiter zurückliegenden Krieg, rund um die protestantischen Jubelfeuer wieder einmal zu gewalttätigen Krawallen kommen?

Der 12. Juli, vor Ort kurz Twelfth genannt, bezieht sich auf die Schlacht am Boyne-Fluss, wo 1690 die Armee des neuen protestantischen Königs Wilhelm von Oranien die Truppen des entthronten Katholiken James II besiegte. Traditionell dient das Datum als Höhepunkt der Triumphmärsche des Oranierordens. Was lange Jahre äußeres Zeichen der protestantischen Hegemonie Nordirlands repräsentierte und bei Katholiken dementsprechend verhasst war, wurde seit Unterzeichnung des Karfreitagsabkommens 1998 schrittweise befriedet und zur harmlosen Folklore umgedeutet.

Hunderte Scheiterhaufen

Diesmal herrscht eine gefährlich gereizte Atmosphäre. Hunderte gewaltige Scheiterhaufen wurden am Sonntagabend entzündet, am Montag sind hundert lokale Paraden geplant. Vorab warnte die Belfaster Vizeregierungschefin Michelle O'Neill von der katholisch-republikanischen Partei Sinn Féin die protestantischen Unionisten und Loyalisten ("loyal zur britischen Krone") vor Provokationen.

Zwei Kolleginnen der Allparteienregierung, ebenfalls irische Nationalistinnen, hatten sogar eine einstweilige Verfügung erwirken wollen, um ein besonders umstrittenes Freudenfeuer im Belfaster Norden zu verhindern, wo ein katholisches und ein protestantisches Wohnviertel aneinandergrenzen. Das Duo blitzte bei Gericht ab.

Monatelange Querelen

Die Machtdemonstration der Unionisten soll deren Ohnmacht und Frustration über die politische Lage verdecken. Ihre größte Partei, die DUP, stellt zwar bis zur nächsten Wahl im kommenden Frühjahr noch den Belfaster Regierungschef, derzeit Paul Givan. Doch monatelange Querelen haben dazu geführt, dass der Vorsitz binnen sechs Wochen zweimal wechselte. Jetzt führt der Londoner Unterhausabgeordnete Jeffrey Donaldson die total zerstrittene Partei. "Nordirlands Zukunft steht auf dem Spiel", warnt der 58-Jährige melodramatisch und fordert eine "bedeutende Reform" des umstrittenen Nordirland-Protokolls.

Das Dokument war Teil des britischen EU-Austrittsvertrages. Es sollte der besonderen politischen und geografischen Lage Nordirlands gerecht werden, nämlich einerseits die kaum noch vorhandene innerirische Grenze offen halten und andererseits die territoriale Integrität des Königreiches wahren. Weil die Brexit-Regierung von Premierminister Boris Johnson einen harten Bruch mit Binnenmarkt und Zollunion herbeiführte, musste für Nordirland eine Sonderlösung gefunden werden. Diese macht begrenzte Zoll- und Warenkontrollen zwischen der einstigen Bürgerkriegsprovinz auf der Grünen Insel und der britischen Hauptinsel nötig.

"Töricht und rücksichtslos"

Hingegen hatte Johnson den Nordiren stets versichert, solche Kontrollen kämen gar nicht infrage. Da habe es der Regierungschef wieder einmal mit der Wahrheit nicht so genau genommen, kritisierte Labour-Oppositionsführer Keir Starmer vergangene Woche bei einem Pandemie-bedingt lange verschobenen ersten Besuch in Belfast.

"Töricht und rücksichtslos" sei das Vorgehen des Konservativen, glaubt Starmer: "Für den Brexit gefährdet Johnson den Frieden in Nordirland." Die andauernde Kritik der Londoner Regierung am Nordirland-Protokoll vertusche die eigene Verantwortlichkeit und mache die weiterhin notwendigen Gespräche mit der EU unnötig schwierig.

Leere Regale im Supermarkt

Tatsächlich muss sich Johnsons Chefunterhändler David Frost schon bald wieder mit seinem EU-Pendant Maroš Šefčovič an einen Tisch setzen, um für die kürzlich gewährten Übergangsfristen eine dauerhafte Lösung zu finden. Dabei geht es vor allem um die Importe von Fleischprodukten von der britischen auf die irische Insel. Für die dabei notwendigen Kontrollen stehen viel zu wenige Tierärzte bereit, weshalb es immer wieder zu leeren Supermarktregalen kommt – sichtbare Brexit-Folgen, für die weder Johnson noch Donaldson Verantwortung übernehmen wollen, obwohl die DUP als einzige große Partei Nordirlands für den EU-Austritt geworben hatte.

Die Angst, dass es am Twelfth wieder zu schweren Krawallen kommen würde – wie schon zu Ostern –, war im Vorfeld groß. Damals brachte der Karikaturist der Londoner "Times" den Sachverhalt auf den Punkt: Jugendliche Chaoten bewerfen einen feuerroten Bus mit Molotowcocktails, auf der anderen Seite flieht Premier Boris Johnson aus der Fahrerkabine. Der Bus trägt das Logo der erfolgreichen Brexit-Lobby "Vote Leave" und den Slogan: "Keine Grenze in der Irischen See". Über Peter Brookes' Zeichnung ein lapidarer Kommentar: "Versprechungen, Versprechungen …" (Sebastian Borger aus London, 12.7.2021)