Unter dem Auge des Bundesadlers werden im Großen Schwurgerichtssaal sechs von acht angeklagten Polizisten nicht rechtskräftig zu bedingten Strafen zwischen acht und zwölf Monaten verurteilt.

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Wien – Die Generalprävention wird von manchen Juristinnen und Juristen als wesentlicher Teil des Strafrechts gesehen. Die Vorstellung dahinter, vereinfacht gesagt: Wenn delinquentes Fehlverhalten keine spürbaren Konsequenzen hätte, würde jeder zum Dieb, Räuber oder Mörder werden.

Im Amtsmissbrauchsprozess gegen acht Wiener Polizisten sendet das Schöffengericht unter Vorsitz von Sonja Weis diesbezüglich ein interessantes Signal: Sechs Beamte werden verurteilt, Weis konstatiert in ihrer Urteilsbegründung auch "klaren Amtsmissbrauch" und "klare Körperverletzung" – und dennoch können alle weiter Polizisten bleiben.

Es geht um 16 Minuten am 13. Jänner 2019: Ein unbekannter Anrufer alarmierte die Polizei wegen eines Raufhandels in einem illegalen Spielautomatenlokal in Wien-Favoriten. Drei Funkstreifen fahren zu, in der ehemaligen Trafik finden sie aber nur einen 29-jährigen Tschetschenen und einen angeheiterten 30 Jahre alten Slowaken, die an den Automaten spielen.

Exekutiver Kniestoß in Unterleib

Wie Videos aus der Überwachungskamera zeigen, wird der Tschetschene zwischen 00.46 Uhr und 01.02 Uhr vom Erstangeklagten zweimal körperlich attackiert, unter anderem mit einem Kniestoß in die Genitalien. Der Zweitangeklagte versetzt ihm einen Schlag ins Gesicht. Ohne dass der Mann irgendwie auf die Beamten losgeht.

Aufgeflogen ist der Fall eher durch Zufall: Der 29-Jährige wurde im Spital behandelt und erzählte dort, er sei von zwei Polizisten geschlagen worden. Die Gebietskrankenkasse schickte ein Jahr später der Polizei eine Rechnung über die Behandlungskosten – der Name des Tschetschenen schien aber bei keiner Amtshandlung auf.

Die internen Ermittler wurden hellhörig und bohrten nach, zwei der nunmehr angeklagten Polizisten schrieben aber nachträglich in einen Aktenvermerk, dass es damals im Spiellokal zu keinen besonderen Vorkommnissen gekommen sei. Dem Tschetschenen drohte eine Verleumdungsklage – bis er die drei Stummfilme aus der Überwachungskamera vorlegen konnte.

"Euch braucht eh keiner, Hurenkinder!"

Am dritten und letzten Verhandlungstag erzählt der Verletzte, dass es vor den Angriffen zunächst noch zu Beschimpfungen durch den Erstangeklagten gekommen sei: "Nachdem er in meinem Führerschein gesehen hat, dass ich Tschetschene bin, hat er gesagt: 'Ihr Scheißtschetschenen gehört alle abgeschoben. Euch braucht eh keiner, Hurenkinder!'"

Der Erstangeklagte, der die dank Videobeweises nicht zu leugnenden Angriffe zugibt, bestreitet die Beleidigungen. Im Gegenteil, der 29-Jährige sei provokant gewesen, behauptet der Polizist. Der im Lokal anwesende Slowake will von keiner Seite Ausfälliges gehört haben. Einen klaren Grund, warum der Tschetschenen attackiert wurde, kann niemand nennen.

Marcus Januschke, Verteidiger des 37-jährigen Erstangeklagten, schiebt es auf das "sehr dünne Nervenkostüm" seines Mandanten, der damals private Beziehungsprobleme gehabt habe. "Es ist eine Amtshandlung, die aus dem Ruder gelaufen ist", fasst Januschke im Schlussplädoyer lapidar zusammen.

Ab einem Jahr droht automatischer Amtsverlust

Für seinen Klienten geht es um viel: Der Strafrahmen beträgt sechs Monate bis fünf Jahre Haft, wird er zu mehr als zwölf Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, folgt automatisch der Amtsverlust. Dazu kommt es nicht: Er erhält vom Senat genau das eine Jahr bedingte Haft, das ihm weiterhin Karriere bei der Polizei ermöglicht. Die anderen fünf Beamten werden jeweils zu acht bis zehn Monate bedingt verurteilt. Zwei Polizisten, die erst später in das Lokal kamen, werden freigesprochen. Keines der Urteile ist rechtskräftig.

Es sei eine "sehr, sehr unschöne Geschichte" gewesen, hält die Vorsitzende fest. Der Senat folgt mit seinen Urteilen den Geständnissen der Angeklagten – wiewohl Weis festhält, dass die Verantwortung Einzelner "nicht glaubwürdig" sei. (Michael Möseneder, 12.7.2021)