Boris Johnson nebst Ehefrau beim Betrachten des Fußball-Finalspiels.

Foto: EPA/John Sibley

London/Wien – Gleich ob aus Frust oder Freude, der Bierdunst war noch nicht verflogen zwischen London und Rom, da gewann schon wieder eine Angst die Oberhand, die inmitten des paneuropäischen Fußballfests in den vergangenen Wochen beinahe in Vergessenheit geraten war: jene vor der Delta-Variante des Coronavirus – einer besonders ansteckenden Mutation, die aktuell etwa im Europameister-Land Italien, aber auch ganz besonders im Ausrichterland des Finales, Großbritannien, zu steigenden Infektionszahlen führt.

Schon Ende vergangener Woche hatte eine Mitteilung der EU-Statistikbehörde Eurostat die Fußballeuphorie gedämpft. Nie zuvor war die Sterberate in der Union so hoch wie 2020, als sich das Coronavirus erstmals in Europa ausbreitete. 5,2 Millionen Menschen sind zwischen Jänner und Dezember gestorben, um elf Prozent mehr als 2019. Die Gesamtbevölkerung der EU sank von 447,3 auf 447 Millionen.

Riskantes Spiel

Die britische Regierung wird, wie am Montag im Unterhaus verkündet wurde, ungeachtet steigender Infektionszahlen in England – aktuell stecken sich mehr als 30.000 Menschen mit dem Virus an – am 19. Juli sämtliche Einschränkungen wie Abstands- und Maskenregeln auslaufen lassen. Das bestätigte Gesundheitsminister Sajid Javid am Montag und Premier Boris Johnson legte bei einer Pressekonferenz am Nachmittag nach.

Aufgrund der vergleichsweise hohen Durchimpfungsrate rechnet man mit einer weit geringeren Zahl an schweren Verläufen, als es im Winter der Fall war. Und doch schickte Johnson seinen Landsleuten vor der Pressekonferenz, auf der er am Montagabend die Lockerungen einer größeren Öffentlichkeit präsentierte, eine Warnung mit auf den Weg: Alle müssten sich nun ihrer Verantwortung bewusst sein, um die Fortschritte nicht wieder zu verspielen. "Diese Pandemie ist noch nicht vorbei. Das Coronavirus birgt Risiken für Sie und Ihre Familien", spricht er die britische Bevölkerung direkt an.

Masken sollen weiterhin getragen werden

Auch wenn der Maskenzwang fällt, sollen die Menschen an stark frequentierten Orten und in den Öffis weiterhin Mund und Nase bedecken. Die Anweisung, dass Menschen von zu Hause arbeiten sollen, ist ebenfalls außer Kraft. Das bedeute aber nicht, dass man in die Büros strömen sollte. An die Nachtclubs appelliert Johnson, vom Covid-Pass Gebrauch zu machen – ähnlich dem grünen Pass in der EU.

Zum Schluss berichtet Johnson, dass kommenden Montag zwei Drittel der erwachsenen Bevölkerung des Vereinigten Königreichs zwei Impfdosen und jeder Erwachsene das Angebot zur ersten Impfdosis erhalten haben wird. "Holen Sie sich diese Dosis", appelliert der Premier an die Bevölkerung.

Experte: Es wird mehr Infektionen geben

Der medizinische Experte der Regierung, Chris Whitty, stellt bei der Pressekonferenz in London klar, dass es "kein ideales Datum für die Öffnung gibt". Es gibt keine wirklichen Hinweise, dass eine Verschiebung des Datums für das Ende der Restriktionen etwas verändern würde.

Man geht in der britischen Regierung davon aus, dass es nach der Öffnung am 19. Juli zu einem Anstieg der Infektionszahlen sowie der Hospitalisierungen und Todesfälle kommen wird. Professor Whitty wirbt ebenfalls für die Impfung und zeigt Graphen, die zeigen, dass die Infektionszahlen nun ähnlich stark ansteigen, wie das während der Herbst-Welle der Fall gewesen ist. Es liegen aber weniger Menschen deshalb im Krankenhaus oder sterben, wie die Daten zeigen.

Kurze Freiheit

Gut möglich, dass Johnsons Appell zur Vorsicht einem Blick auf die andere Seite der Nordsee geschuldet ist. Dort, konkret in den Niederlanden, hat die Regierung von Premierminister Mark Rutte dem Nachtleben nach nur zwei Wochen abermals einen Riegel vorgeschoben. Weil sich die Zahl der Infektionen binnen einer Woche fast versiebenfacht hat, bleiben die Nachtklubs und Diskotheken seit Samstag wieder geschlossen. "Wir müssen die schnelle Verbreitung des Virus bremsen", mahnte der liberale Regierungschef.

In Israel, das als eines der ersten Länder seine Corona-Regeln gelockert hatte und nun die Zügel ebenfalls wieder anzieht, können Erwachsene mit einem geschwächten Immunsystem ab sofort eine Auffrischungsimpfung mit dem Biontech/Pfizer-Impfstoff erhalten. Betroffen davon seien etwa Menschen, die sich einer Organtransplantation unterzogen hätten, sagte Gesundheitsminister Nitzan Horowitz. Die Regierung prüft aber, ob ein derartiger Booster bald für alle Israelis freigegeben werden könnte. (flon, bbl, 12.7.2021)