Den Besuch von US-Finanzministerin Janet Yellen in Brüssel hätte es eigentlich nicht gebraucht. Aber er hat die Entscheidung, die sich vor dem Wochenende bereits abgezeichnet hatte, vermutlich beschleunigt. Die EU-Kommission hat die Digitalabgabe von der Tagesordnung genommen. Sie wird vorerst keine Gafa-Steuer einheben, wie die eigens für amerikanische Tech-Riesen wie Google, Amazon, Facebook und Apple kreierte Digitalabgabe salopp genannt wird.

Dieser Schritt zurück mag bitter sein, ist aber ein richtiger Schritt. Denn Teil des Deals um die Mindeststeuer für global agierende Konzerne war stets, dass diese Mindeststeuer weltweit gilt. Wohl sind wichtige Details zur Art der Berechnung noch offen. Aber zu Verhandlungen gehört, dass man nicht parallel dazu noch einmal zulangt. Das wäre jedenfalls ein unfreundlicher Akt gegen die Amerikaner, die ihrerseits – ganz transatlantisch – die Unterstützung der EU brauchen, weil ebendiese Tech-Giganten auch ihren Steuerbehörden auf der Nase herumtanzen. Fluchtmöglichkeiten in Steueroasen zu schließen ist angesichts der enorm hohen Kosten der Corona-Pandemie das Gebot der Stunde.

Teil des Deals um die Mindeststeuer für global agierende Konzerne war stets, dass diese Mindeststeuer weltweit gilt.
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Der Verzicht der Europäer auf die Digitalsteuer ist natürlich nicht so altruistisch, wie es auf den ersten Blick aussehen mag. Denn es tanzt sich schlecht auf zwei Kirtagen gleichzeitig. Außerdem hätten die EU-Länder den von US-Präsident Joe Biden vorgeschlagenen höheren Mindeststeuersatz von 21 Prozent unterstützen können (statt der 15 Prozent, die es nun werden sollen), wenn ihnen der erwartete Erlös aus der Mindeststeuer zu niedrig ist. Durch die Hintertür eine zweite Einnahmequelle für die monströsen Kosten des EU-Aufbau- und Resilienzplans zu schaffen, während die erste Quelle noch nicht einmal einem regulierten Flussbett zugeleitet wurde – das wäre schlechter Stil.

Placebo

Es ist genug zu tun in Sachen Mindeststeuer, jetzt ist Konzentration auf das Wesentliche angesagt. Denn noch sind nicht einmal alle Widerstände in den eigenen Reihen der Europäer gebrochen – Stichwort Irland, das von Apple und Konsorten profitiert und sich das mit fast unanständig niedrigen Unternehmenssteuern teuer erkauft. Auch ein Sanktionsmechanismus fehlt noch.

Genau darauf kommt es an, wenn die Mindeststeuer nicht zu einem Placebo verkommen soll, weil findige Wirtschaftsanwälte und Steuerberater wieder Schlupflöcher finden, über die sie ihre Klienten in Steueroasen lotsen.

Dass global agierende Konzerne der Automobil-, Chemie- oder Pharmabranche in Zukunft möglicherweise mehr Abgaben in China abführen müssen als in ihren sogenannten Sitzländern, ist die andere Seite der Medaille, quasi Künstlerpech. Auch das ist Globalisierung. Rosinenpicken kann nicht oberste Maxime sein, es geht um einen Stopp im ungesunden und ungerechten Unterbietungswettbewerb. Die EU-Kommission und damit die Mitgliedsländer, insbesondere die eigenen Steueroasen von Irland bis Zypern, werden sich andere Einnahmequellen suchen müssen.

Vermögenssteuern wären diesbezüglich ein heißer Tipp. Diese könnten in Ländern wie Österreich eine Erhöhung vertragen. Das empfiehlt die OECD, also jener Industriestaaten-Klub, der nicht im Verdacht steht, links-linke Umverteilung auf der Agenda zu haben. Auch wenn die USA der größte Nutznießer der Mindeststeuer bleiben: Es ist ein Anfang. (Luise Ungerboeck, 12.7.2021)