Theoretisches Wissen in die Praxis umzusetzen, um den eigenen Lebensstil nachhaltig zu verändern, ist eine Herausforderung für chronisch Kranke.

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Mehr als zwei Drittel aller weltweiten Todesfälle sind laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf sogenannte nicht übertragbare Krankheiten zurückzuführen. Dazu zählen unter anderem chronische Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Lungenkrankheiten, Krebs, Schlaganfall, Diabetes und Rheuma. Durch eine an die jeweilige Krankheit angepasste Lebensweise ließen sich Lebensdauer und -qualität oft deutlich erhöhen.

Theorie und Praxis

Das erfordert einerseits eine Verringerung von gesundheitsschädlichem Verhalten und andererseits eine Erhöhung von gesundheitsförderlichen Maßnahmen. Das dafür nötige Wissen ist bei den Betroffenen allerdings oft nicht vorhanden oder zumindest nicht so stark verinnerlicht, dass sie es im täglichen Leben umsetzen können. In einem Forschungsprojekt an der Fachhochschule Gesundheitsberufe Oberösterreich werden derzeit Möglichkeiten untersucht, diesen Mangel zu beheben. Ziel ist die Entwicklung eines didaktischen Konzepts, das kranken Menschen die nötige Gesundheitskompetenz vermitteln soll, um ihren Alltag besser zu meistern. Der Fokus liegt dabei vorerst auf Rheuma. "Medizinisch gibt es in Österreich eine sehr gute Versorgung von Rheumapatienten", sagt Projektleiterin Renate Ruckser-Scherb. "Aber beim Leben mit der Erkrankung im Alltag, zu Hause – da werden sie oft allein gelassen."

Häufig sind es ganz praktische, scheinbar banale Schwierigkeiten, mit denen Betroffene zu kämpfen haben – Schmerzen beim Anziehen, Essen oder Greifen. Oder der Umgang mit Müdigkeit und Erschöpfung. Das nötige Wissen, um mit diesen Problemen umzugehen, wäre im Grunde vorhanden. So kann man beispielsweise seine Greiftechniken verändern, spezielles Rheumabesteck benutzen oder Kleidung mit Klettverschlüssen statt Knöpfen wählen. In dem Projekt soll dieses Wissen gesammelt und in strukturierter Form in ein Lehrkonzept eingebunden werden. "Es geht um die Vermittlung von Wissen, aber auch um das Vermitteln von Fertigkeiten", sagt Ruckser-Scherb.

Didaktisches Konzept

Ein weiterer Punkt ist das Lehren von Techniken, wie man Probleme löst. "Wenn man ein Problem im Alltag nicht lösen kann, dann lässt man es oft ganz bleiben. Aber es gibt Techniken, um sich selber anzuleiten, ein Problem zu lösen." Das zu entwickelnde didaktische Konzept wird sich nicht an die Patienten selbst richten, sondern an das Gesundheitspersonal.

Methodisch basiert die Entwicklung neben einer Recherche der Fachliteratur vor allem auf Leitfadeninterviews mit Betroffenen. Diese wurden befragt, welche Bedürfnisse sie im Hinblick auf Schulungen haben, welches Wissen sie konkret benötigen und wie sie bevorzugt lernen. Aus ihren Antworten wurden mehrere Kernanforderungen an ein Didaktikkonzept abgeleitet.

Weiters wurden Studienteilnehmer aufgefordert, diese Anforderungen nach individueller Wichtigkeit zu bewerten. Generelle Bedürfnisse betreffen vor allem Wissen über die Krankheit selbst und über medizinische Behandlungsmöglichkeiten, aber auch Wissen und Fertigkeiten zur Selbstbehandlung. Einige Studienteilnehmer nannten auch einen Mangel an Wissen darüber, bei welchen Stellen man finanzielle Unterstützung oder Beratung bekommen kann.

Daneben stehen Bedürfnisse, die das Selbstmanagement sowie allgemein die persönliche Gesundheitskompetenz betreffen. So findet man im Internet zwar viele Informationen, bleibt ohne die Kompetenz, seriöse von fragwürdigen Quellen unterscheiden zu können, aber trotzdem oft ratlos zurück.

Lebensstil ändern

Abgefragt wurde auch, welche didaktischen Methoden die Teilnehmer bevorzugen und wie technikaffin sie sind. Hier zeigte sich zur Überraschung des Projektteams, dass niemand die am Markt vorhandenen Apps zur Unterstützung von Rheumapatienten benutzt.

Auch wenn die bisherigen Erkenntnisse auf Befragungen von Rheumapatienten beruhen, ist Ruckser-Scherb überzeugt, dass sie für andere nicht übertragbare Krankheiten generalisierbar sind: "Gesundheitskompetenz braucht jeder. Und auch die Unterstützung bei der Anpassung des Lebensstils ist etwas, das alle chronisch kranken Menschen betrifft." (Raimund Lang, 20.7.2021)