Alle Sommer sind gleich, alle Sommer sind verschieden. Wenn man das Glück hat, als mitteleuropäischer Wohlstandsbürger geboren zu sein und sein Leben als solcher fristen zu dürfen, dann stehen auch die Chancen gut, dass man irgendwann einmal in seinem Leben auf eine lange Reihe von Sommern zurückblicken kann, welche einander wunderbar ähneln und aus ein und denselben Versatzstücken gefertigt scheinen: der Sonne natürlich, der unangefochtenen Hauptdarstellerin eines jeden Sommers, der diesen Namen verdient, blauen, wolkenlosen Himmeln, Fels- und Kiesstränden, dem kleinen Gestirn des sonnenbestrahlten Sonnenschirms, welches man gelegentlich mehr oder weniger desinteressiert aus der Rückenlage betrachtet, dem Sand zwischen den Zehen (aha, ein großer Kieselstein, eine Muschel, ein Zigarettenstummel), dem rhythmischen Rauschen und dem Verstummen des Meers, dem sich im ganzen Körper ausbreitenden Gefühl einer Wärme, die so wirkt, als wollte sie uns höchstpersönlich etwas Gutes tun, dem Geschrei und Gemurmel der Badegäste, den Werberufen der fliegenden Händler, die ihre Badetücher, Sonnencremen oder Eisbecher feilhalten, dem Geruch des Sonnenöls und so weiter. Summertime, and the living is easy.

Nadine Redlich

EINE SACHE FÜR SICH

Im Zuge des Erinnerns stellt sich heraus, dass sich in diesem amorphen Sommermaterial Strukturen und Unterschiede erkennen lassen, obwohl es auf den ersten Anhieb so gewirkt hat wie ein einziger, endloser Sommer, ein Sommerinbegriff gewissermaßen, in den alle Sommer unterschiedslos ineinander geflossen sind. Dabei sind die Sommer der Jugend zum Beispiel eine Sache für sich, eine Sache, die sich von den Erwachsenensommern klar abhebt.

Sie finden in der scharf konturierten Zäsur zwischen dem lange herbeigewünschten letzten Schultag des alten Schuljahrs und dem verabscheuten, aber zugleich auch ein wenig herbeigesehnten ersten Schultag des neuen statt. Häufig sind sie Schauplatz prägender erotischer Erfahrungen, zu denen typisch sommerliche Umstände freundlich einladen oder geradezu zwingend verführen: lange, intensiv besonnte Nachmittage, die Absenz schulischer Verpflichtungen, Badekleidung, eine allgemeine jugendliche Geneigtheit, sich in dieses oder jenes Abenteuer einzulassen. Natürlich mit oft schmerzlichen Folgen, die sich bis in den Herbst oder Winter oder, bei hartnäckigen Romantikern, auch bis noch weiter in den Lebensverlauf hineinziehen können.

Erwachsenensommer sind, wie gesagt, anders als Jugendsommer. Gewiss haben auch sie ihre unbeschwerten Momente, aber die Ferienzeit ist kürzer geworden – Berufe mit zweimonatigen Sommerurlauben sind rar -, und ihr Ablauf wird mehr von dem bestimmt, was die Kinder wollen und brauchen, als von dem, was man selber will und braucht. Die fotografische Dokumentation des oder der Dreijähringen beim Bau der ersten Sandburg am Meeresstrand ist zwar liebreizend, spart aber die eher unerquicklichenMomente aus, wenn etwa die ungewohnte Hitze den Nachwuchs die ganze Nacht hindurch auf Trab hält oder der Gang zum Strand sich ob der Windeln, Fläschchen und sonstigen für Kleinkinder mitzuführenden Accessoires als eine nicht unbeträchtliche logistische Leistung entpuppt.

MANCHES UNGEWOHNTE

Bei allem, was sie sonst gemeinsam haben – Sonne, wolkenlose blaue Himmel und so fort -, gibt es auch erhebliche Unterschiede zwischen Dorfsommern, Kleinstadt- und Großstadtsommern. Ein bodenseenaher Sommer in Vorarlberg ist etwas anderes als ein Sommer in Wien oder ein Sommer in der Oststeiermark, wo sich in manchen geografischen Lagen die nächsten Badegelegenheiten auf ein kleines Schwimmbad beschränken. Für den Ankömmling aus den Bundesländern hält der Sommer in Wien vielleicht manches Ungewohnte parat. Der Autor wunderte sich anno dazumal nicht schlecht über jenen prächtigen städtischen Sommerservice, mitten im Gänsehäufel ein Kasperltheater einzurichten, vor dem sich die Kinder versammelt hatten, um den Kasperl mit heftigem Johlen vor dem aus den Kulissen hervorkriechenden Krokodil zu warnen.

Und auch die FKK-Abteilung im Gänsehäufel hatte etwas und war, so meine Wahrnehmung, auf eine harmonischere Art ins Gemeinschaftsganze integriert als im sittenstrengeren Vorarlberg. Aber das ist lange her und mag sich inzwischen sehr geändert haben. Leider ändern sich die Sommer auch in der Hinsicht, dass jede früher völlig unbeschwert wahrgenommene Hitzewelle heute zu Recht als Vorzeichen drohendenden Klimaunheils wahrgenommen wird. Darauf hinzuarbeiten, dass unsere Sommererinnerungen auch in Zukunft einen unbeschwerten Charakter bewahren werden, wird eine enorme Aufgabe sein. (Christoph Winder, 13.07.2021)