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Ein Anhänger der Terrororganisation "Islamischer Staat" im Jahr 2014 in Syrien – fünf Angeklagte müssen sich in Wien 2021 wegen Unterstützung der Gruppe verantworten.

Foto: Reuters / Stringer

Wien – Können sich Menschen ändern? Ja, versucht Drittangeklagter Bernd T. am zweiten Verhandlungstag dem Geschworenengericht, vor dem er gemeinsam mit zwei weiteren Männern und zwei Frauen sitzt, emotional zu erklären. Er und seine Ehefrau, die Fünftangeklagte, hätten dem islamistischen Terrorismus abgeschworen, beteuert der 32-Jährige. Seine Erlebnisse im Herbst 2013 in dem von terroristischen Gruppen in Syrien kontrollierten Gebiet und vor allem sein Islamstudium in Saudi-Arabien hätten ihm die Augen geöffnet, sagt der Steirer.

Dabei hört sich seine Schilderung des "Islamischen Staates" zunächst gar nicht so abschreckend an. Nachdem der Konvertit und seine Gattin in die radikale Szene im deutschsprachigen Raum abgeglitten waren und auch enge Kontakte zu Hintermännern geknüpft hatten, fasste er den Entschluss, in den Krieg gegen das Assad-Regime zu ziehen. Am 6. September 2013 flogen die beiden mit ihrem neugeborenen Kind in die Türkei – samt einigen zehntausend Euro an Bargeld, die T. zuvor als Kredit aufgenommen hat. Was ihm zusätzlich den Anklagepunkt des Betrugs eingebracht hat. Der Grazer Staatsanwalt ist überzeugt, dass T. das Geld nie zurückzahlen wollte.

"Abschied für immer"

Er sei damals davon ausgegangen, dass er bei den Kämpfen in Syrien sterben würde, sagt der Drittangeklagte heute. "Ich habe mich von meiner Frau und unserem Kind verabschiedet. Für mich war es ein Abschied für immer", erzählt er. Mit dem Taxi fuhr er zur türkisch-syrischen Grenze, nach der Einreise in den Levante-Staat hätten ihn der Erstangeklagte Turpal I. und ein weiterer Bekannter in Empfang genommen.

Zu dritt fuhr man in ein Hauptquartier, T. wurde dort von den Verantwortlichen freundlich aufgenommen. Schlussendlich wurde er mit anderen ausländischen Islamisten in einem Haus mit Pool untergebracht. Im Land bewegte man sich laut T. gerne im silbernen BMW des Erstangeklagten fort, mit dem dieser von Österreich über die Türkei aus angereist sein soll. Der große Kämpfer sei T. aber nicht gewesen – er habe zwar eine AK-47 vulgo Kalaschnikow bekommen, mit der aber nur einmal auf einem bereits zuvor eroberten Flughafen einige Schüsse gegen eine Wand abgefeuert.

"Angst um mein Leben"

Wirklich ungemütlich sei es dann nach Luftangriffen geworden, außerdem hätten ihn die Anführer zu Kampfeinsätzen gedrängt. "Ich hatte einfach Angst um mein Leben", sagt T. heute dazu, warum er unter dem Vorwand, ein Auto zu besorgen, zurück in die Türkei zu Frau und Kind fuhr. "Was haben Sie Ihrer Frau gesagt, als Sie wieder auftauchten?", interessiert den Vorsitzenden. "I hab ihr gsogt, i wü nimma zu denen", antwortet der Drittangeklagte in breitem Steirisch. Die kleine Familie verbrachte noch einige Zeit in der Türkei, am 7. Dezember 2013 kehrte sie nach Österreich zurück.

Die innere Einstellung von T. hatte sich da noch nicht gewandelt. "Ich habe mir gedacht, dass ich ein Versager bin", sagt er vor Gericht. Er blieb auch mit Radikalen wie dem Zweitangeklagten Mirsad O., einem bereits zu 20 Jahren Haft verurteilten radikalen Prediger, in Kontakt. Im August 2014 hörten die Ermittler ein Gespräch zwischen den beiden in einem Auto mit – die beiden Männer unterhielten sich über 14-jährige "Sklavinnen", die man in Syrien für 1.000 Dollar kaufen könne. "Abscheulich aus meiner heutigen Sicht. Ekelhaft", entschuldigt T. sich im Großen Schwurgerichtssaal dafür.

Studium in Saudi-Arabien

Erst als er nach Saudi-Arabien ging, um dort den Koran zu studieren, habe sich seine Einstellung geändert. Zunächst lernte er zwei Jahre lang Arabisch, dann begann er die Fakultät der Einrichtung in Medina zu besuchen. Zuvor sei er auf die Behauptungen von Predigern angewiesen gewesen, nun konnte er die Texte in der Originalsprache lesen und auch Fragen stellen, argumentiert der Drittangeklagte. Interessanterweise habe bei seinem Gesinnungswandel auch eine Rolle gespielt, dass manche religiösen Regeln in Saudi-Arabien weniger strikt ausgelegt wurden, als es in Wiener Moscheen gepredigt wurde.

Ende 2014 habe er von Ermittlungen gegen sich erfahren, er blieb mit seiner Frau und den Kindern aber zunächst noch auf der Arabischen Halbinsel, ehe er 2019 zurückkehrte und festgenommen wurde. Heute sei er kein Moslem mehr, beziehungsweise interessiere Religion ihn nicht mehr. "Ich bin so, wie ich früher war. Ich bin ohne religiöses Bekenntnis", stellt er klar. Noch etwas ist ihm wichtig: "Ich bin nicht bemitleidenswert. Ich bin Abschaum. Ich war damals Abschaum."

Frauen ohne Mitspracherecht

T.s Gattin bekennt sich, so wie die Viertangeklagte, nicht schuldig. Beide sagen, sie hätten nie den Plan gehabt, nach Syrien zu gehen und sich dem "Islamischen Staat" anzuschließen. Sie hätten lediglich ihre Männer in die Türkei begleitet – etwas anderes sei ihnen auch nicht übrig geblieben, da sie nichts zu sagen gehabt hätten, argumentieren sie. Heute sei das anders, antwortet die Fünftangeklagte auf die Frage des Vorsitzenden: Wenn T. sich eine Zweitfrau zulegen oder in einen Krieg ziehen würde, würde sie ihn sofort verlassen.

Der Prozess wird am Mittwoch fortgesetzt. (Michael Möseneder, 13.7.2021)