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Die Gaspipeline von Russland nach Deutschland durch die Ostsee ist fast fertig – und weiter umstritten.

Foto: Reuters / Maxim Shemetov

Der Einspruch des Senators aus Texas ließ nicht lange auf sich warten. Kaum hatte das Oval Office entschieden, auf Sanktionen gegen die Betreibergesellschaft der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 zu verzichten, sprach Ted Cruz von einem schweren geopolitischen Fehler, der Russland auf Kosten des Westens stärken werde. Eine Gasleitung, die nicht fertiggestellt sei, könne nicht in Betrieb gehen, egal ob die Röhren nun zu 95 oder 99 Prozent verlegt seien. Joe Biden, beschwerte sich der Republikaner kürzlich im Sender Fox News, mache Wladimir Putin ein milliardenschweres Geschenk, wenn er behaupte, die Leitung sei eine Tatsache, an der er nichts ändern könne.

Am Donnerstag, wenn der US-Präsident die deutsche Kanzlerin Angela Merkel im Weißen Haus empfängt, wird die Pipeline ein zentrales Thema sein. Nach ursprünglichen, optimistischen Fahrplänen sollte der Streit eigentlich geregelt, zumindest entschärft sein, bevor Merkel zu ihrem Abschiedsbesuch in Washington eintrifft.

Angst vor "Erpressung"

An welchen Lösungen hinter den Kulissen gefeilt wird, dazu verraten die Beteiligten vorerst keine Details. Außenminister Antony Blinken hat neulich bei einer Anhörung im Repräsentantenhaus aber das Ziel der US-Regierung umrissen. Man wolle sicherstellen, dass der Kreml Erdgas weder gegen die Ukraine noch gegen irgendwen sonst als "Erpressungswaffe" einsetzen könne. Die Rohre im Meer, betonen die Amerikaner, dürften es Moskau nicht ermöglichen, die Ukraine als Gas-Transitland zu umgehen.

Klar ist, dass sich Biden mit seiner Politik der Zurückhaltung im eigenen Land auf relativ dünnem Eis bewegt. Im Kongress wird heftig gerungen um die Frage, ob man versuchen soll, das Projekt in seiner Endphase doch noch zu stoppen. Mitte Mai hatte der Präsident verfügt, auf Sanktionen gegen die im schweizerischen Zug ansässige Nord Stream 2 AG zu verzichten. Mitte August, vor Ablauf einer 90-Tage-Frist, muss er das Parlament wissen lassen, ob er den Verzicht verlängert oder nicht. Cruz, der Initiator der Strafmaßnahmen, bedient sich indes sämtlicher parlamentarischer Werkzeuge, um eine Rückkehr zum Sanktionsregime durchzusetzen.

Es ist nicht so, dass der Texaner keine Verbündeten hätte. Ein Ausschuss des Abgeordnetenhauses forderte Anfang Juli, auch mit den Stimmen von Demokraten, eine Änderung des Prozederes. Demnach soll Bidens Kabinett die Pipelinesanktionen des Kongresses künftig nicht mehr auf Eis legen können, sondern an sie gebunden sein.

Es dürften Wochen vergehen, bis ein entsprechender Gesetzentwurf die Legislative passiert. Für den Moment haben sie lediglich die Wirkung von Nadelstichen, die Störmanöver, mit denen die Gegner von Nord Stream 2 Biden unter Druck setzen wollen. Klar scheint aber auch: In der Ostsee läuft es auf ein Rennen gegen die Uhr hinaus. Sollten die Röhren am Ende des Sommers nicht komplett verlegt sein, könnten die kompromisslosesten Gegner des Vorhabens in Washington erneut die Oberhand gewinnen.

Skepsis bei Demokraten

Biden steckt in einem Dilemma, auch in seiner eigenen Partei. Dort sind viele noch immer davon überzeugt, dass der russische Präsident Wladimir Putin 2016 zum Wahlsieg Donald Trumps beitrug, mit welchen Mitteln auch immer. Russland-Hardliner sind keineswegs nur bei den Republikanern zu finden, oft sind es Demokraten, die die schärfste Kritik an Putin üben. Einer ihrer erfahrensten Außenpolitiker, Robert Menendez, lehnt Bidens Weichenstellung zugunsten von Nord Stream 2 rundheraus ab. "Diese Entscheidung hat in vielen Ecken Europas Verunsicherung erzeugt", protestiert der Vorsitzende des Senatsausschusses für Auswärtiges.

Der Präsident selbst hält die Pipeline, so sagt er es, wann immer er danach gefragt wird, nach wie vor für einen "schlechten Deal". Doch in der Abwägung von Pro und Kontra ist ihm ein gutes Verhältnis zu Deutschland zu wichtig, als dass er es durch einen erzwungenen Baustopp einer Belastungsprobe aussetzen würde. Er braucht Berlin, will er die Europäer für eine härtere Linie gegenüber China gewinnen.

Im Kreis seiner engsten Berater haben das freilich nicht alle so gesehen. Nach einem Bericht der "Washington Post" soll vor allem Blinken darauf gedrängt haben, die Fertigstellung zu blockieren, indem man der Betreibergesellschaft weiterhin Strafen androht. Jake Sullivan, der Nationale Sicherheitsberater, soll dagegen für Kompromisse plädiert haben – nicht nur mit Blick auf Berlin, sondern auch um gegenüber Moskau Flexibilität zu signalisieren. (Frank Herrmann aus Washington, 14.7.2021)