Die Kritikpunkte bei der Umsetzung von Kinderrechten in Asylverfahren betreffen sowohl Zuständigkeiten der Justizministerin Alma Zadić (Grüne) als auch die von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP).

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Die Analyse von Asyl- und Bleiberechtsverfahren in Österreich hat zahlreiche Mängel ergeben. Der entsprechende Bericht der Kindeswohlkommission unter der Leitung von Irmgard Griss wurden am Dienstag präsentiert. In der Theorie sind die Kinderrechte in Österreich gut verankert, in der Praxis hapert es aber, wenn es um die Rechte von Kindern mit Fluchthintergrund geht. Nun liegen zahlreiche Empfehlungen des Gremiums in seinem 454-Seiten-Bericht auf dem Tisch. Die Frage ist, wie sie umgesetzt werden beziehungsweise was davon.

Eine der zentralen Forderungen ist, einen Kriterienkatalog für die Prüfung des Kindeswohls einzuführen. Justizministerin Alma Zadić (Grüne) ließ im Ö1-"Journal" anklingen, dass das Sinn mache, "damit es keine Lotterie ist, zu welchem Richter oder welcher Richterin man kommt, zu welchem Sachbearbeiter man kommt. Daher werde ich diesen Ansatz auch in der Justiz verfolgen", sagte Zadić. Die Ministerin kann in Bezug auf das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) sprechen, die Kommission fordert die Kriterien auch für das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ein, für welches aber das Innenministerium zuständig ist. Zadić will diesbezüglich mit Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) Gespräche führen. "Es geht darum, gemeinsam vorzugehen und gemeinsame Verbesserungen zu erzielen."

Schulungen angekündigt

Einige der im Bericht der Griss-Kommission aufgeworfenen Beanstandungen fallen gar nicht in Zadićs Bereich, etwa wenn es um die Auslegung der Obsorgeregelungen in den neun Bundesländern geht. Oder die Zulässigkeit von Schubhaft für Kinder oder die Altersfeststellung, an der die Kommission bemängelte, dass sie in Österreich nach wie vor anhand rein medizinisch-biologischer Kriterien erfolgt.

Zadić kündigte – ihren Bereich betreffend – aufgrund des Berichts nun an, Richterinnen und Richter am BVwG gezielt in Sachen Kinderrechte zu schulen. Außerdem verlangt sie zusätzliches Personal für das BVwG, um 18.000 Altfälle abzuarbeiten. Dafür muss sie allerdings um Geld mit dem türkis-geführten Finanzministerium verhandeln.

Eigener Beirat

Wie sieht man die auch vielfach das Innenministerium betreffenden Vorschläge der Griss-Kommission ebendort? Am Dienstag verwies man, "um die Diskussion zu versachlichen", wie ein Sprecher ausführte, auf einen Bericht eines Beirats, der vom Innenministerium zur gleichen Thematik eingesetzt wurde. Der Bericht, der unter der Leitung des Innsbrucker Rechtsprofessors Walter Obwexer erstellt wurde, liegt dem STANDARD vor. Im Übrigen wusste die Griss-Kommission bis Dienstag selbst nichts von der parallel laufenden Arbeit des Beirats, obwohl sie mehrfach im Kontakt mit dem Innenministerium stand.

Vom Obwexer-Beirat wird Kindeswohl anders eingestuft als bei dem Kommissionsbericht. So heißt es zwar, dass dem Kindeswohl eine besondere Bedeutung bei allen verwaltungsbehördlichen und gerichtlichen Entscheidungen zukomme, es aber "ein übergeordnetes öffentliches Interesse an einem funktionierenden Migrationsmanagement" brauche. Es sei im Einzelfall zu prüfen, "welche Schritte zu setzen sind, um das Wohl jedes einzelnen Kindes gebührend zu wahren".

Einheitliche Regeln gefordert

Einige Empfehlungen der Griss-Kommission finden sich aber auch im Bericht vom Beirat unter Obwexer wieder. Zum Beispiel hält der Bericht fest, dass es an "an einheitlichen Regelungen einer klaren Obsorgezuständigkeit in Bundesgrundversorgung" fehle. Auch die Kommission unter Griss' Leitung hat einen "Fleckerlteppich" in dem Bereich bemängelt.

Außerdem laufe derzeit eine Evaluierung von Bescheiden im Hinblick auf die Berücksichtigung des Kindeswohls. "Sollte sich aus der Evaluierung weiterer operativer Verbesserungsbedarf ergeben, werden Adaptierungen in den Bereichen Führung von Verfahren und Schulungen vorgenommen", heißt es in dem Bericht. Kindeswohl werde auch "als eigenständiger Prüfungstatbestand in den Entscheidungen des BFA etabliert", heißt es weiter.

Vier-Augen-Prinzip per Erlass

Außerdem sei eine Ad-hoc-Maßnahme bereits umgesetzt: So gelte für negative Bescheide, von denen Minderjährige betroffen sind, dass sie "zwingend dem Vier-Augen-Prinzip unterworfen" sind. "Der diesbezügliche Erlass wird entsprechend angepasst", steht in dem Obwexer-Bericht. Die Griss-Kommission hält in ihrem Bericht noch fest, dass ein Vier-Augen-Prinzip nur bei positiven Bescheiden gelte. Die Durchführung eines Vier-Augen-Prinzips bei Familien mit Kindern und Minderjährigen im Asylverfahren, die sich bereits länger als drei Jahre in Österreich aufhalten, sei zudem in Planung, berichtet der Beirat des Innenministeriums weiter. Außerdem werde die Kommunikation zwischen BVwG und BFA im Schwerpunkt Kindeswohl verbessert.

Ernst Berger, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Mitglied der Griss-Kommission, begrüßt diese Ankündigungen im STANDARD-Gespräch. Bei dem angesprochenen Erlass, der entsprechend angepasst werde, müsse man aber "sehr genau darauf achten, ob das tatsächlich passiert", sagt Berger. Der ehemalige Leiter der Menschenrechtskommission der Volksanwaltschaft meint, dass einige Verbesserungen, die in dem Bericht von Obwexer angekündigt sind, sich wohl daran orientiert hätten, welche Fragen die Griss-Kommission bei ihrer Arbeit den Beamten gestellt habe. (Gudrun Springer, 14.7.2021)