Chile könnte bald zum Vorreiter werden, wenn es um die Regulierung von Neurodaten geht.

Foto: Getty Images/iStockphoto

Es soll die Fernsteuerung von Geräten mittels Gedankenkraft ermöglichen, aber auch ein Werkzeug zur Heilung von Depressionen werden – und noch viel mehr können. Elon Musks Projekt Neuralink verspricht großes Potenzial, wirft als "Gedankenlese-Gadget" aber auch eine Reihe von Fragen auf.

Beispielsweise, welche Rechte und Schutzansprüche man im Bezug auf jene Daten hat, die das eigene Gehirn etwa in Form elektromagnetischer Wellen ausgibt, auf deren Messung und Beeinflussung Neuralink und ähnliche Technologien basieren. In Chile könnte es darauf bald eine gesetzliche Antwort geben. Zwei Gesetzesentwürfe könnten den lateinamerikanischen Staat bald zum Vorreiter in der Festschreibung von "Neurorechten" machen, berichtet "Rest of World".

Zwei Gesetze sind in Vorbereitung. Eines davon soll in die laufende Verfassungsreform einfließen und wartet bereits auf seine Bestätigung in der Abgeordnetenkammer des Parlaments. Chile will sich nachhaltig vom Überwachungsregime der Pinochet-Ära lösen und neben dem Recht auf persönliche Identität auch das Recht auf freien Willen, mentale Freiheit, fairen Zugang zu Technologien, die "kognitiven Verbesserungen" dienen, und den Schutz vor algorithmischem Bias festschreiben.

Ein Affe spielt mittels Neuralink "Pong".
Neuralink

Neurale Daten als Organ

Mentale Privatsphäre beschreibt man als die Kontrolle zum Zugang zu neuralen Daten und Information über neurale Vorgänge und Zustände, die sich durch ihre Analyse gewinnen lassen. "Neurale Daten" sollen als eine besondere Klasse von Informationen eingestuft werden, die eng damit verbunden sind, wer wir sind, und die teilweise unsere Identität bestimmen.

Um nicht versehentlich eine übermäßig breite Definition oder – im Gegenteil – eine lückenhafte Umschreibung zu schaffen, bedient man sich eines Tricks. Gemäß Beschreibung sollen diese Daten eingestuft werden wie organisches Gewebe, und so fielen sie unter bereits bestehende, strenge Schutzvorgaben.

Die Sammlung von Neurodaten würde damit explizite Zustimmung (Opt-in) bedingen. Und selbst wenn eine Person der Sammlung und Analyse zustimmt, dürften sie nicht verkauft werden. Lediglich das Spenden für "altruistische Zwecke" ist erlaubt. Chile wäre damit eines der ersten Länder, die eine Regulierung für die Technologie einführen, noch bevor sie wirklich zur Reife gelangt ist.

Junge Technologie, großes Potenzial

Dem Messen, Auswerten und Beeinflussen von Hirnströmen wird großes Potenzial zugeschrieben. Erste kommerzielle Anwendungen gibt es bereits, etwa in Form von Baseballkappen mit Elektrodenbändern, wie sie der Hersteller Smart Caps anbietet. Eingesetzt werden diese, um Müdigkeit am Arbeitsplatz zu messen und somit Unfälle zu vermeiden. Auch das Bedienen von Computern mittels "Gedankenkraft" wurde auf experimenteller Ebene schon realisiert. Gearbeitet wird auch an der Auswertung von Hirnströmen in visueller Form, was auch langfristig die Sorge vor Gedankenlese-Technologien schürt.

An den chilenischen Gesetzesentwürfen gibt es aber auch Kritik. Sie seien zu restriktiv, lautet etwa ein Vorwurf. Weil es sich inhärent um unsere eigenen Daten handle, über die wir die Gewalt haben, sollte es keine Begrenzungen für ihre Nutzung geben, sofern diese freiwillig erfolgt. Das gelte auch für die Möglichkeit des Verkaufs.

Unterschiedliche Regulierungen in verschiedenen Ländern könnten freilich einen potenziell problematischen Wettlauf anheizen, indem Firmen, die in diesem Bereich tätig sind, dorthin gelockt werden, wo die wenigsten Einschränkungen gelten – vergleichbar mit sogenannten Steueroasen.

Experten fordern UN-Kommission

Dem könnte die Erarbeitung internationaler Standards Vorschub leisten. Der Forscher Rafael Yuste, Co-Direkter des Neurotechnology Center der Columbia University, und der auf internationales Recht spezialisierte Anwalt Jared Genser richteten erst im März einen Aufruf an die Vereinten Nationen, eine Kommission aus Wissenschaftern und Rechtsexperten einzurichten, die sich mit Neurorechten befassen solle. Dies wäre ein erster Schritt in Richtung weiter reichender Standards. Ein wichtiger Inputgeber sollten dabei Länder sein, die bereits Regulierungen eingeführt haben.

Auch hinsichtlich des Umgangs mit anderen Daten dieser Art wurden auf diesem Wege schon internationale Vereinbarungen getroffen. So nahmen die UN-Mitgliedsstaaten Ende 1997 etwa die Allgemeine Deklaration zu Menschenrechten und dem menschlichen Genom an. 2003 folgte die Internationale Deklaration zu menschlichen Gendaten. (red, 14.7.2021)