Schon die Straße ist ein Statement. Rund 17 Kilometer lang zieht sie eine tiefe Schneise durch eine einst dicht bewaldete Landschaft. Ganze Hügel wurden abgetragen, die Hänge sind jetzt kahl und müssen durch aufwendige Stützmauern vor dem Abrutschen geschützt werden. Rund 50.000 Bäume sollen nach Angaben von Naturschutzorganisationen für den Bau der Straße abgeholzt worden sein, doch gebraucht wird sie offenbar nur sehr selten. Drei kleine Dörfer passiert der Reisende auf der leeren Straße, dann ist plötzlich Schluss. Die kilometerlange Schneise endet vor einer großen Sperre der Gendarmerie. "Bitte wenden Sie umgehend und fahren Sie zurück" ist alles, was der mit einer MP bewaffnete Wachhabende zu sagen hat.

Dank der oppositionellen Zeitungen "Cumhuriyet" und "Sözcü" weiß man seit Neuestem, was am Ende der aufwendig gebauten Straße wartet: die pompöse neue Sommerresidenz des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Lange war der Bau der Sommerresidenz eine Art geheime Staatsaktion, kaum jemand wusste, was da am Ufer der Okluk-Bucht am Gökova-Golf etwas nördlich der Tourismusmetropole Marmaris wirklich gebaut wurde.

Dann machte der Hofarchitekt von Erdoğan, Sefik Birkiye, den Fehler, Pläne und Skizzen des Sommerpalasts auf seiner Website zu veröffentlichen. "Sözcü" entwickelte daraus animierte Fotos und stellte sie ins Netz, dazu Satellitenaufnahmen, die das Ausmaß der Anlage zeigen. Jetzt kann man sich den 300-Zimmer-Palast virtuell von innen und außen anschauen. Es sieht aus wie ein Luxushotel mit Pools, einem künstlich angelegten weißen Sandstrand und einem Hafen für Luxusyachten.

Pünktlich zum fünften Jahrestag des Putschversuchs gegen den Präsidenten am 15. Juli 2016 ist die Sommerresidenz nun fertig geworden – unweit des Orts, wo vor fünf Jahren ein von Ankara entsandtes Kommando der Putschisten Erdoğan in einem Hotel festnehmen sollte. Damals verpasste das Kommando Erdoğan um Stunden – er hatte das Hotel in Marmaris längst verlassen, als die Putschisten ankamen.

Heute, angesichts seiner neuen Sommerresidenz, käme ein Kommando noch nicht einmal mehr in seine Nähe. Für seinen persönlichen Schutz hat Erdoğan mittlerweile in vielfältiger Weise gesorgt, doch es geht ihm nicht nur um Sicherheit. Der türkische Präsident, der aus ärmlichen Verhältnissen stammt, liebt den Luxus und gefällt sich darin, Protz auszustellen. Der Mann, der in einer in Istanbul verrufenen Hafengegend am Goldenen Horn aufgewachsen ist, bewegt sich heute nur noch von einem Palast zum anderen.

Umbau des politischen Systems

Fünf Jahre nach dem Putsch scheint es, dass Erdoğan alles erreicht hat, was ein autokratischer Alleinherrscher erreichen kann. Ein Jahr nach dem Putsch wurde durch eine Verfassungsänderung das parlamentarische System der Türkei in ein Präsidialsystem geändert, und ein weiteres Jahr später, im Sommer 2018, setzte Erdoğan das System mit seiner Wahl zum dann fast allmächtigen Präsidenten in Kraft. Seitdem geht es Erdoğan persönlich immer besser und dem Land immer schlechter.

Kurz nach der Wahl 2018 ließ der Präsident die Bauarbeiten am Sommerpalast bei Marmaris beginnen. Gleichzeitig wurde ganz im Osten des Landes, nahe der iranischen Grenze am Van-See, mit dem Bau eines sogenannten Winterpalasts begonnen. Hoch symbolisch wird dieser nun an der Stelle gebaut, wo angeblich das Zelt des Seldschuken-Sultans Alp Arslan gestanden haben soll, als dieser 1071 in der Schlacht von Manzikert das Heer der Byzantiner besiegte und so für die Türken den Weg nach Anatolien freimachte.

Erdoğan liebt solche Rückgriffe auf die Geschichte: Schon seinen Präsidentenpalast in Ankara, den er bereits im Vorgriff auf seine Präsidentschaft in den Jahren von 2010 bis 2014 in einem Naturschutzgebiet auf den Hügeln vor der Stadt bauen ließ, schmücken vielfältige architektonische Zitate der Seldschuken und Osmanen.

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Erdoğan, der in einer verrufenen Hafengegend aufwuchs, bewegt sich heute nur noch von einem Palast zum anderen. Der Präsidentenpalast in Ankara kostete 400 Millionen Euro.
Foto: AP/HO/Pool

Pompöse Empfänge

Auch in Istanbul ließ es Erdoğan nicht an Prachtentfaltung fehlen. Die Präsidentenresidenz der Republik am Bosporus genügt ihm schon lange nicht mehr. Noch als Ministerpräsident ließ er sich – erstmals, seitdem 1923 die türkische Hauptstadt von Istanbul nach Ankara verlegt worden war – wieder Amtsräume im Dolmabahçe-Palast, dem letzten Regierungssitz der Osmanen, einrichten. Dort und im Yıldız-Sultanspalast empfängt er jetzt gelegentlich Staatsgäste und nötigt sie, auf überdimensionalen vergoldeten Stühlen Platz zu nehmen, wie die deutsche Kanzlerin Angela Merkel erleben musste, deren Füße kaum auf den Boden reichten. Das blieb Ursula von der Leyen dann ja bekanntermaßen erspart, die kürzlich statt auf dem goldenen Stuhl auf dem Sofa Platz nehmen musste.

In Istanbul hat Erdoğan sich noch ein weiteres Kleinod einrichten lassen. Fast in fußläufiger Reichweite zu seiner Privatwohnung auf dem Çamlıca-Hügel ließ er einen verfallenen Sultanspalast in Çengelköy restaurieren, in dem nun bevorzugte Gäste wie der Präsident von Aserbaidschan, Ilham Alijew, bei Besuchen in Istanbul nächtigen können.

Das alles kostet natürlich viel Geld. Der Sommerpalast soll nach Angaben der Opposition rund 63 Millionen Euro verschlungen haben, für den Präsidentenpalast in Ankara sollen insgesamt fast 400 Millionen Euro geflossen sein. Allein die Nebenkosten für den Präsidentenpalast in Ankara (Strom, Wasser etc.) sollen nach Berechnungen der Architektenkammer jeden Monat weit über 100.000 Euro betragen. Das persönliche Budget des Präsidenten wird jedes Jahr kräftig erhöht. Im Haushalt 2021 ist es mit vier Milliarden Lira veranschlagt, das sind 400 Millionen Euro für Repräsentation und sonstige Kleinigkeiten, rund 28 Prozent mehr als im Jahr zuvor.

Tiefe Wirtschaftskrise

Lange hat das Publikum die Prachtentfaltung Erdoğans hingenommen, einige haben darin sogar die angebliche neue Größe der Türkei erblickt, doch das war in der Zeit, als die Türkei hohe Wachstumsraten hatte und es etwas zu verteilen gab. Jetzt liegt die Inflationsrate bei 18 Prozent, Lebensmittel sollen sich innerhalb des letzten Jahres sogar um 60 Prozent verteuert haben, und Millionen Menschen haben keine Arbeit mehr.

Das erzeugt Wut und Ärger. Erdoğan, dessen Wahlkämpfe sich früher einmal dadurch auszeichneten, dass er wusste, was "die einfachen Leute" wollen, scheint in seinen Palästen völlig den Kontakt zu seinen Wählern verloren zu haben. Nach Umfragen verschiedener Institute waren die aktuellen Zustimmungswerte für seine Regierung, für das Präsidialsystem und ihn persönlich seit seiner Ernennung zum Ministerpräsidenten 2003 noch nie so niedrig wie jetzt. Die Diadochenkämpfe im Palast und die immer kleiner werdende Gruppe von Leuten, denen Erdoğan noch vertraut, sind klare Anzeichen des Verfalls.

Das merkt auch die Opposition. Als Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu im Konflikt um den milliardenteuren Bau eines Kanals zwischen dem Schwarzen Meer und dem Marmarameer internationale Investoren forsch warnte, man werde die Kredite nach einem Regierungswechsel nicht mehr bedienen, nahm selbst die Deutsche Bank diese Ankündigung ernst. Vor ein paar Jahren hätte man noch über Kılıçdaroğlu gelacht. (Wolf Wittenfeld aus Marmaris, 15.7.2021)