Zahlreiche Studien belegen, dass Videospiele unser Gehirn in erster Linie positiv beeinflussen – sofern die Dosis stimmt.

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Spiele machen blöd, aggressiv und sind gesundheitsschädigend – ein in der Vergangenheit nicht selten strapaziertes Klischee zur schönsten Nebensache der Welt. Auch die ewige "Killerspiel"-Debatte nach Gewalttaten von Jugendlichen dominierte vor 20 Jahren die Berichterstattung über eine Industrie, die mittlerweile Film- und Musikbranche in allen Umsatzzahlen überflügelt hat. Gut, dass langsam aus Spielern unter anderem Forscher wurden, die sich dem Thema wissenschaftlich widmen. Das Ergebnis vieler Studien seitdem: Spiele machen schlau und kreativ.

Spielend schlau werden

Als begeisterter Videospieler, der in den Spielhallen des italienischen Bibione virtuell sozialisiert wurde, war ich in den späten 1980er-Jahren emotional schon in ein Eck gedrängt. So richtig cool war es nicht, sich mit dem Controller oder der Maus in einem dunklen Zimmer gegen Schildkröten und ähnlich gruselige Widersacher durchzusetzen. Später hatten die Leute sogar Angst vor den "Videospielern", wenn Medien oder ausgewählte Psychologen regelmäßig über die gesteigerte Aggression dieser Menschen berichteten. Der deutsche Ex-Politiker Christian Pfeiffer ist da sicher ein prominentes Beispiel.

Seit etwa 15 Jahren werden allerdings zahlreiche Studien verfasst, die das Gegenteil beweisen. Die aktuellste erschien im Juni 2021, umgesetzt von Wissenschaftern der University Oberta de Catalunya, die zwei Gruppen von Erwachsenen verglichen. Die eine Gruppe spielte seit ihrer Kindheit Videospiele, die andere hatte keinen Kontakt zu digitalen Spielen. In der Studie spielten beide Gruppen pro Tag 1,5 Stunden "Super Mario 64", um danach ihre kognitiven Fähigkeiten zu messen. Während zunächst die Gamer bessere Ergebnisse erzielten, holten die Nicht-Gamer nach jedem Tag ein wenig auf.

Am Ende der Studie ähnelten sich die Ergebnisse der beiden Gruppen, was die Forscher zu dem Fazit bewegte, dass einige Stunden pro Woche an der Konsole oder dem PC die Gehirnfunktionen in Bezug auf Gedächtnis, 3D-Raumverständis und Reaktionszeit verbessern. All das würde wohl auch beim Einsatz von echten Waffen helfen – doch hat einem direkten Zusammenhang bereits 2008 der Psychologe Dietrich Dörner vehement in einem Interview mit "welt.de" widersprochen: "Kein Mensch, der bei 'Doom' mit einer Kettensäge Monster zerlegt, nimmt sich deswegen eine echte Kettensäge aus dem Keller und zersägt seinen Nachbarn. Wer das behauptet, kennt Spiele nicht," sagte er damals.

"Doom" steht seit knapp 30 Jahren in der Kritik, gewaltverherrlichend zu sein. In Wirklichkeit trainiert es in erster Linie die Reaktion der Spieler.
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Ergebnisse bestätigt

Die Studie der katalanischen Forscher bestätigt in jedem Fall, was andere Studien in den letzten Jahren bereits mehrfach aufgezeigt haben. Speziell im ersten Pandemie-Jahr 2020 wurde nicht nur erforscht, dass Videospiele Interesse am Lesen wecken, Kommunikation fördern und Empathie steigern können. Nein, auch in der Isolation haben Videospieler bewiesen, dass sie sich nicht einmal durch eine weltweite Pandemie sozial einschränken lassen. Dank Online-Gaming wurden Freundschaften weiter gepflegt, und laut einer Studie der britischen Wohltätigkeitsorganisation National Literacy Trust gaben 55,6 Prozent der befragten Eltern an, dass ihre Kinder dank Videospielen auch während des Lockdowns viel mit Familie und Freunden geplaudert hätten.

Was das Thema "Killerspiele" betrifft, warf sich 2019 die schweizerische Forscherin Daphne Bavelier ins Sperrfeuer der Kritik. Sie bewies für ihre mit dem Klaus J. Jacobs Research Prize ausgezeichnete Studie, dass Shooter die neuronale Plastizität und das Lernen generell fördern können. Übersetzt heißt das: Gamer können besser dreidimensionale Objekte in Gedanken drehen, und in stressigen Situationen sind sie laut Studie etwa zehn Prozent schneller beim Treffen von Entscheidungen. Wichtig, wenn ein Gegner eine Bazooka auf einen richtet.

In "World of Warcraft" und vielen anderen Online-Rollenspielen muss man sich mit anderen Spielern austauschen, um bestimmte Gegner erledigen zu können.
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Höher, schneller, weiter

Der kleine Junge, der in italienischen Spielhallen Wurfsterne verschossen und grob gezeichnete Polygonhaufen verdroschen hat, kann sich trotz eines Magistertitels selbst nicht wissenschaftlich fundiert zu diesen Ergebnissen äußern. Ich weiß aber, dass ich wegen des Basketballspiels "NBA Jam" auch im realen Leben zum runden Spielgerät gegriffen habe und dank meiner Leidenschaft für "International Karate" fast jeden Kampfsport auch wirklich einmal ausprobiert habe. Einen Nobelpreis habe ich nicht gewonnen, aber vielleicht machen ja auch nicht alle Spiele schlauer.

Wenn nun in Studien behauptet wird, dass Spiele Kinder in allen erdenklichen Arten fördern, nur damit ein paar Jahre später wieder das Gegenteil behauptet wird, dann sollte unter dem Strich klar sein: Es geht, wie so oft im Leben, in erster Linie darum, was man selbst daraus macht und unter welchen Rahmenbedingungen man spielen darf und kann. Ich kenne ehemalige Gildenleiter aus "World of Warcraft", die jetzt bei Firmen ihre zwei Dutzend Mitarbeiter in epische Schlachten schicken, auch wenn statt Drachen jetzt Quartalszahlen als zu bändigende Gegner warten.

Immer geht es um die Dosis, die wir mit einem Hobby verbringen. Nicht umsonst hat die WHO Gaming Disorder, also Spielesucht, vor zwei Jahren als Krankheit anerkannt. Auch die Akzeptanz unserer Umgebung ist ein wesentlicher Faktor, wenn es um die positiven Aspekte von Videospielen geht. Wenn die eigenen Eltern sich nicht für das Tun ihrer Kinder interessieren, dann flüchten diese nicht wegen eines Spiels in virtuelle Welten – sondern weil es ein einfacher Kanal ist, in dem sie sich schneller Anerkennung holen können. Ob sie dabei kreativer und intelligenter werden, geht in solchen Konstellationen dann leider unter. (Alexander Amon, 16.7.2021)