Bei der vorgezogenen Parlamentswahl in der Republik Moldau holte die Partei der amtierenden Präsidentin Maia Sandu PAS die absolute Mehrheit. Mit diesem Sieg besteht die Möglichkeit die andauernde politische Krise im Land zu beenden.

Große Proteste

Rückblick: Ein nasskalter Oktobertag in Chișinău 2015: An verschiedenen Orten in der Stadt wurden vier Wochen zuvor Protestcamps errichtet. Es ist nicht so leicht herauszufinden, wer hier die Zelte, Feldküchen und sanitären Anlagen zur Verfügung gestellt hat. Manche sind besser ausgerüstet, teilweise sind die provisorischen Unterkünfte sogar beheizt. Was die Leute auf die Straße bringt, ist dafür umso klarer: Der größte Skandal in der Geschichte des jungen Landes, bei dem unter Beteiligung von drei Banken ungedeckte Kredite im Ausmaß von einer Milliarde Dollar vergeben wurden, ist bis heute nicht vollständig aufgeklärt. Beginnt hier ein zweiter Euromaidan? Aber irgendetwas fehlt. Es ist grau, und das liegt nicht nur an der Jahreszeit. Vorwiegend ältere Menschen haben sich versammelt. Die Proteste richten sich auch nicht primär gegen die Regierung, sondern gegen das korrupte System. Die Demonstrationen verschwinden, die Korruption bleibt bestehen, aber es bilden sich neue Parteien aus den Bürgerbewegungen mit dem klaren Ziel die Politik und die Gesellschaft zu ändern.

Kampf gegen Korruption

Knapp sechs Jahre später: Die Logos der Parteien auf der Website der zentralen Wahlkommission (Comisia Electorală Centrală) sind alle in schwarz/weiß gehalten, die Auszählung der Stimmen lässt sich in Echtzeit verfolgen. Relativ bald wird klar, dass aber zukünftig eine Farbe das Parlament prägen wird, wie keine andere: das Gelb der Partei Aktion und Solidarität (PAS).

Sie gewinnt mit 52,8 Prozent der abgegebenen Stimmen und verfügt damit über die absolute Mehrheit. Maia Sandu, frühere Vorsitzende der PAS und amtierende Präsidentin der Republik Moldau, hat damit ein weiteres, für ihre Politik wichtiges Ziel erreicht. Der deutliche Wahlsieg ermöglicht das ambitionierte politische Programm umzusetzen. An erster Stelle steht die Bekämpfung der Korruption, die sich auf allen Ebenen der Gesellschaft und des Staates ausgebreitet hat, sei es das Gesundheits- und Bildungssystem, die Justiz oder eben auch direkt die Abgeordneten im moldauischen Parlament betreffend. Aber auch ein Wiederaufbau des Landes nach jahrelanger Misswirtschaft sowie eine Außenpolitik, die nicht bei jedem Regierungswechsel erneut zwischen einer Fixierung auf entweder die EU oder aber Russland schwankt, stehen auf der Liste der Maßnahmen. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes ist mit dieser Wahl die Präsidentschaft, wie auch das Parlament wirklich pro-europäisch ausgerichtet. Zukünftig werden dort nur drei Parteien vertreten sein, alle anderen scheiterten an der Prozenthürde:

Ergebnis der Parlamentswahlen: Wahlbeteiligung 48,4 Prozent (Quelle: Comisia Electorala Centrala).
Grafik: Iris Rehklau, Sebastian Schäffer

In Umfragen war teilweise ein Kopf-an-Kopf Rennen zwischen der PAS und dem Wahlblock BeCS, der aus der Kommunistischen (PCRM) und der Sozialistischen Partei (PSRM) besteht, vorhergesagt worden. In dieser hat der politische Gegenspieler Sandus, Igor Dodon, der als Nummer zwei auf der gemeinsamen Liste antrat, den Vorsitz inne. Erst wenige Wochen vor der Wahl wurde der gemeinsame Block mit Vladimir Voronin (PCRM) als Spitzenkandidat gebildet.

Die Wege Sandus und Dodons haben sich in der Vergangenheit mehrfach gekreuzt, mit unterschiedlichem Ausgang. Zuletzt trafen sie direkt bei der Präsidentschaftswahl im Herbst 2020 aufeinander, die Sandu gewann und Igor Dodon an der Spitze des Staates ablöste.

Wahlsiegerin Sandu.
Foto: imago images/ZUMA Wire/Diego Herrera

Aussicht auf Wandel treibt auch die Diaspora an die Wahlurnen

Wie so viele Wahlen in den letzten eineinhalb Jahren stand auch diese unter dem Einfluss der weiterhin anhaltenden Covid-19-Pandemie, welche die kleine Republik zwischen Rumänien und Ukraine heftig trifft. Die öffentliche Gesundheitsversorgung, der Zustand der staatlichen Schulen, Universitäten und anderer Bildungseinrichtungen, die Infrastruktur, alles zeigt nun Mängel in aller Deutlichkeit, mit fatalen Folgen für die Menschen. Der Durchschnittslohn liegt bei 280 Euro pro Monat und die Anzahl der vor allem jungen und gebildeten Moldauerinnen und Moldauer, die ihrer Heimat den Rücken kehren, wird immer größer. Inzwischen geht man davon aus, dass circa eine Million dauerhaft oder über den Zeitraum von mehreren Monaten im Ausland leben und arbeiten.

Verlässliche Statistiken liegen für diese besondere Art des Pendelns nicht vor, aufgrund des zahlreichen Besitzes der rumänischen Staatsbürgerschaft unterliegen die Personen der Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU. Die Zahl der Auslandsmoldauerinnen und -moldauer, die sich an den Wahlen zum Parlament wie auch zur Präsidentschaft beteiligen, ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Daher ist die Bereitstellung von Wahlurnen im Ausland auch ein Politikum. Die zentrale Wahlkommission ist ein dauerhaftes Gremium, das aus neun Mitgliedern besteht. Ihre Nominierung erfolgt zum größten Teil durch die Fraktionen des Parlamentes, wodurch sich zum jetzigen Zeitpunkt eine Mehrheit der Interessensvertretungen der Sozialistischen Partei ergibt. Die Anzahl der Wahlurnen außerhalb Moldaus, deren Anzahl vom Außenministerium vorgeschlagen wird, wurde auf 150 reduziert. In Deutschland gab es elf Orte, an denen gewählt werden konnte, in Österreich war es sogar nur in Wien möglich.

Nichtsdestotrotz gaben 211.830 Moldauerinnen und Moldauer ihre Stimme außerhalb der Republik ab, wobei 86,23 Prozent für PAS votierten. Keine weiteren Parteien hätten die erforderliche Fünf-Prozent-Hürde für einen Einzug genommen, wenn nur in der Diaspora gewählt worden wäre. Auch ohne diese Wählerschaft hätte die PAS einen komfortablen Vorsprung von 200.000 Stimmen gegenüber BeCS. Dies zeigt den deutlichen Wunsch nach Veränderung, auch der Bevölkerung im Land.

IDM Vienna

Versprechen für die Zukunft

Der sehr hohe Stimmenzuwachs bringt eine große Verantwortung mit sich. Die vielen neuen Parlamentarier der jungen Partei müssen sich schnell mit den legislativen Prozessen vertraut machen, viel Zeit für eine Einarbeitung wird es in der jetzigen Situation aber nicht geben können.

Trotz der absoluten Mehrheit muss die Opposition eingebunden werden, auch deren Vertreter:innen außerhalb des Parlaments. Die Zivilgesellschaft muss Verantwortung übernehmen und aktiv an der Ausgestaltung teilnehmen können. Die Bekämpfung der Korruption fordert viele unbequeme Entscheidungen, die verständlich kommuniziert werden müssen. Ein möglicher wirtschaftlicher Aufschwung wird nicht sofort bei allen in der Bevölkerung ankommen. Zudem wird es Verlierer:innen geben, wenn alte Strukturen aufgebrochen werden.

In der Außenpolitik muss Stabilität gewährleistet werden. Die Konflikte in der Region sowie im eigenen Land können nur mit Konsistenz auch gegenüber der Russischen Föderation begegnet werden. Zudem ist dies auch ein wichtiger Aspekt, der im Interesse der EU sein sollte. Vor allem benötigt Sandu aber die Unterstützung der Mitgliedstaaten, um Versprechen wie die Anhebung der Mindestrente, Erhöhung des Durchschnittslohns sowie Investition in den ländlichen Raum umsetzen zu können.

Einmalige Möglichkeit zur Veränderung

Die innenpolitischen Voraussetzungen für die Umsetzung sind nun auf jeden Fall gegeben. Eine ähnliche Konstellation gibt es aber auch im Nachbarland Ukraine. Dort hatte Wolodymyr Selenskyj 2019 die Präsidentschaftswahl gewonnen und mit seiner Partei „Diener des Volkes“ in vorgezogenen Parlamentswahlen die absolute Mehrheit der Abgeordneten erreicht. Sein Reformerfolg bleibt dennoch bisher überschaubar. Sandu verfügt aber im Gegensatz zu Selenskyj bereits über langjährige Regierungserfahrung. Sie ist eine hochqualifizierte Akademikerin, die nach Tätigkeiten im Ausland in ihr Heimatland zurückgekehrt ist, um vor Ort Veränderungen aktiv mitzugestalten. An diesem Anspruch wird sie sich messen lassen müssen.

Das Wahlergebnis bietet die wahrscheinlich einmalige Möglichkeit notwendige Veränderungen anzustoßen, um die Republik in eine stabile Zukunft zu führen. Letztendlich bleibt die Hoffnung, dass damit nach Jahren des Stillstands Politik für die Bürgerschaft der Republik Moldau gemacht wird. Einer recht jungen Partei wurde ein Vertrauensvorschuss gegeben, jetzt brauchen aber auch die Moldauerinnen und Moldauer Vertrauen in sich selbst. Wie kann das gelingen? Indem das Land und seine Menschen nicht immerzu auf die üblichen Narrative, wie etwa den Gegensatz von Ost gegen West, die große Armut oder den postsowjetischen Konflikt reduziert, sondern ein konstruktiven Dialog unterstützt und souveräne Entscheidungen respektiert werden. Denn das Land ist weder nur grau noch gelb, es ist bunt. (Iris Rehklau, Sebastian Schäffer, 15.7.2021)

Iris Rehklau ist Associate bei SeminarsSimulationsConsulting (SSC) Europe und hat im Rahmen des DAAD-Sprachassistent:innen Programm ein Jahr in Chișinău gelebt. Sie führt seitdem regelmäßig Workshops der politischen Bildung in den Zielländern der Östlichen Partnerschaft durch.

Sebastian Schäffer ist Geschäftsführer des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM) in Wien. Er ist Generalsekretär der Donaurektorenkonferenz (DRC) und Associate Fellow am Center for Global Europe des GLOBSEC Policy Institute in Bratislava.

Literaturhinweis

Iris Rehklau/Sebastian Schäffer - Grey is not a colour and Chișinău’s central square isn’t Maidan, in: Recent Political Changes and their Implications in the Danube Region. Pécs: 2015, S. 151-167.

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