Zugegeben: Der Figlmüller ist ein Lokal, in das man sich als Wiener nicht oft verirrt, schon allein der langen Schlange von Touristen wegen, die in der Bäckerstraße vom frühen Mittag bis zum Abend auf Einlass und Schnitzel, dünn wie Pauspapier, hofft. Aber erstens ist gerade touristenfreie Zeit, und zweitens hat das Lokal eine ganze Reihe gebackener Spezialitäten von Kalbsbries über -leber bis Hendl und Emmentaler auf der Karte, die den Weg zum Tisch in durchaus bemerkenswerter Qualität (und entscheidend saftiger als das berühmte Schweinsschnitzel) finden.

Wer den Figlmüller in der Bäckerstraße kennt, sollte sich im frisch renovierten Huth auf ein Déjà-vu einstellen.
Gerhard Wasserbauer

Auch das neue Interieur ist, wie man durch die großen Fenster sieht, nach der Überarbeitung durch die BWM-Architekten im vergangenen Jahr, ziemlich hübsch geworden … lauter Gründe, hier doch einmal einzufallen. Hinweis zur Güte: Der Erdäpfelsalat kann was, Gurkensalat hingegen gerät ein bisserl sehr rahmgeil.

Rahmig bis zum Anschlag ist der Gurkensalat ein paar Gassen weiter in der Gastwirtschaft Huth übrigens auch, nur wird er dort auch noch hart an den Gefrierpunkt gekühlt. Eher kein Zufall ist aber, wie sehr der Huth als Ganzes auf einmal dem Figlmüller nachempfunden wirkt, seit vor ein paar Wochen nach Totalumbau neu eröffnet wurde.

Tatsächlich scheint sich da jemand die Gestaltung bis in absurd wirkende Details abgeschaut zu haben: die extrem markante, den Plafond in gewagtem Schwung mitnehmende Verfliesung des Figlmüller-Schankbereichs in flaschengrün leuchtenden Fliesen? Hat der Huth jetzt auch. Die Lamperie mit prominent vorspringenden Holzleisten? Detto. Raumteiler aus geriffeltem Glas mit abgerundeten Kanten aus Streckstahl an den Lehnen der Doppelbänke? Auch die wirken jenen im Figlmüller ziemlich exakt nachempfunden. Eine elegant geschwungene Brüstung der Galerie? Gibt’s im Figlmüller, ergo hat Huth die jetzt auch. Wandlampen mit schwenkbaren Auslegern? Genau die. Mit Lampenschirmen aus Wiener Geflecht? Bitte, danke.

Gerhard Wasserbauer

Blöd ist nur, dass Huths Gastzimmer trotz der fleißigen Kopierarbeit nicht einmal halb so elegant rüberkommt wie die Speiseräume in der Schnitzelhütte ein paar Gassen weiter. Bekanntlich lassen sich viele Wirte bei der Speisekartengestaltung, auch beim Design, von Vorbildern aus anderswo inspirieren. Es soll auch vorgekommen sein, dass aus Begeisterung über ein erfolgreiches Konzept vor billiger Kopie nicht zurückgeschreckt wird. Aber die zentralen Gestaltungselemente eines Lokals in der unmittelbaren Nachbarschaft – das noch dazu die prominenteste Schnitzelhütte der Schnitzelstadt ist – bis in kleine Details zu kopieren? Das bedingt schon spezielle Dreistigkeit.

Das Schmatzen der Eierschwämme

Es ist, wie es ist: Genierer kennt man – oder eben nicht. Dafür ist, der Vollständigkeit halber, das Essen im Huth wie gehabt in Ordnung. Käferbohnensalat zur Vorspeise gehört trotz Zahnnerv ziehender Eisigkeit gelobt: erstens wegen der cremigen Bohnen, die sonst kaum noch wer auf der Karte hat, zweitens wegen des Dressings mit echt fruchtigem Apfelessig und Kernöl. Auch die Leberknödelsuppe hat jenes Format, dem es bei der Gestaltung mangelt.

Die gerösteten Eierschwammerln vom Tagesangebot erweisen sich dagegen als Niederlage: Riesige, schmatzig feuchte Pletschen, deren Abwasch-Aroma auch durch nachdrückliches Rösten mit Ei nicht besser wird. Merke: Der Sinn tagesfrischen Angebots ist nicht, schnell noch die Ausschussware an die Kundschaft zu bringen. Schnitzel gibt’s natürlich auch, das gerät hier außerordentlich knusprig, fast so, als ob Panko unter die Brösel gemischt worden wäre. Dasselbe trifft aufs Gordon Bleu (sic!) zu, das zwar – wie das Figlmüller-Schnitzel – nicht wirklich souffliert ist, in der De-luxe-Version (siehe Bild) aber ein Spielgelei und Scheibchen von der (leider nicht geschmorten) Sommertrüffel aufgesetzt bekommt. Preiselbeeren werden separat dazugereicht. Wie das schmeckt? Nicht schlecht, nicht gut – eben Huth. (Severin Corti, 16.7.2021)

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