Verdiente Aluhutträger besitzen epistemische Laster, sind Hamburger Wissenschafter überzeugt.
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Im Schnitt rund 20 Prozent der US-Bevölkerung nehmen Verschwörungstheorien oder Fehlinformationen über den Corona-Erreger für bare Münze. Eine Umfrage in Deutschland ergab sogar über 30 Prozent. Dazu zählt auch blanker Unsinn, wie etwa, dass das Virus durch Stubenfliegen übertragen oder von Händetrocknern unschädlich gemacht wird. Die Frage, wer besonders anfällig für solche Mythen ist, lässt sich aufgrund bisher bekannter Faktoren wie der politischen Identität, dem Bildungsgrad, der Intelligenz, der Persönlichkeit oder demografischen Faktoren allerdings kaum beantworten.

Vielmehr dürfte der generelle Umgang einer Person mit Informationen eine wichtige Rolle spielen. Eine Studie zeigt nun, dass ein entsprechender Test sogar Vorhersagen darüber erlaubt, wie anfällig man tatsächlich für Corona-Mythen ist. Wie das internationale Forscherteam um Marco Meyer von der Universität Hamburg herausfand, dürften sogenannte epistemische Laster dafür einen entscheidenden Einfluss haben. Im Online-Selbsttest (der Test ist in englischer Sprache), der auf den im Fachjournal "Episteme" veröffentlichten Forschungsergebnissen beruht, kann jede und jeder sich in dieser Hinsicht selbst überprüfen.

Gleichgültigkeit und Starrheit

Epistemische Laster sind Charaktereigenschaften, die den Erwerb, die Erhaltung und die Weitergabe von Wissen behindern können. Dazu gehören zum Beispiel Gleichgültigkeit gegenüber der Wahrheit oder Starrheit in Bezug auf die eigenen Glaubensgrundsätze. In der Philosophie spielt die Vorstellung der epistemischen Laster eine große Rolle. Doch bisher wurde erst selten versucht, empirische Bestätigungen für deren Bedeutung im Umgang mit Wissen zu erbringen.

Die Grafik belegt einen Zusammenhang zwischen epistemischen Lastern und der Fähigkeit, Verschwörungstheorien und Fake News zu identifizieren.
Grafik: Uni Hamburg/Meyer et al.

Corona-Pandemie als Gelegenheit

"Eine Motivation zu unserer Studie war es, die Rolle epistemischer Laster bei der Bewertung von Informationen generell zu untersuchen. Dazu bietet die Corona-Pandemie eine einzigartige Gelegenheit", erklärt Meyer, der einen Doktorgrad in Philosophie und einen Doktorgrad in Wirtschaftswissenschaften hält. Die Wissenschafter haben ihre These an 998 US-Amerikanerinnen und Amerikanern überprüft. Dazu ließen sie die Teilnehmenden einerseits ihre Neigung zu epistemischen Lastern selbst einschätzen.

Zum anderen führten sie eine Beobachtungsstudie durch, in der sie den Grad der epistemischen Lasterhaftigkeit mithilfe einer neu entwickelten Skala maßen. In einem dritten Schritt fragten sie die Probandinnen und Probanden gezielt nach ihrem Glauben an Mythen und Fehlinformationen über Covid-19.

Neugier und Flexibilität

"Wir haben herausgefunden, dass Menschen, die nicht auf Corona-Fehlinformationen hereinfallen, zwei Eigenschaften gemeinsam haben: Sie sind erstens neugierig und zweitens in der Lage, ihre Ansichten zu ändern, wenn sie auf vertrauenswürdige Quellen stoßen, die ihren bisherigen Annahmen widersprechen", so Meyer.

Betrachtet man die Neigung zu epistemischen Lastern, lässt sich doppelt so gut vorhersagen, ob eine Person an Corona-Mythen glaubt als dies aufgrund von Faktoren wie der politischen Identität, dem Bildungsgrad, der Persönlichkeit oder demografischen Aspekten wie beispielswiese Alter, Geschlecht oder ethnische Zugehörigkeit möglich wäre.

Ansatz gegen Verschwörungsmythen

Die Studie stützt also die These, dass epistemische Laster generell die Aneignung von Wissen behindern. "Aus den Erkenntnissen könnte man individuellere Ansprachen und Methoden entwickelt, wie Menschen ihre epistemische Starrheit oder Gleichgültigkeit überwinden können, zum Beispiel durch pädagogische Interventionen", erklärt Mayer. Dies biete einen Ansatz, dem Glauben an Fehlinformation und Verschwörungsmythen langfristig entgegenzuwirken. (red, 15.7.2021)