Erst das Kreuz auf dem Dach, jetzt das Boot im Eingangsbereich: Hartmut Dorgerloh muss sich viel Kritik stellen.

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Seit Ende 2020 gilt der Neubau des Berliner Schlosses offiziell als vollendet, wegen der Pandemie wurde die Eröffnung des Humboldt-Forums verschoben. Ab 20. Juli sind nun sechs Ausstellungen zugänglich: Berlin global zeigt Stadtgeschichte, im Keller kann man die Frühgeschichte des Schlosses erforschen, das Humboldt-Labor widmet sich mit Nach der Natur der Wissenschaftsvermittlung, und unter dem Titel schrecklich schön gibt es eine Sonderausstellung über Elfenbein. Dazu eine Schau über die Brüder Humboldt.

STANDARD: Herr Dorgerloh, Sie leiten seit 2018 die umstrittenste deutsche Kulturinstitution. Welche Kontroversen haben Sie übernommen, welche sind neu entstanden seither?

Dorgerloh: Das ist wie ein Reißverschlussprinzip: Die öffentliche Diskussion und das Humboldt-Forum haben sich miteinander verbunden und hochgezogen. Zu Beginn war die Diskussion um Kuppel und Kreuz sehr wichtig. Dabei ist sehr deutlich geworden: Man kann nicht unschuldig rekonstruieren. Es geht nicht nur um Wiederherstellung eines historischen Stadtraums, sondern auch die Rekonstruktion an sich mit allen Details ist ein Zeugnis unserer Gegenwart – und muss sich dieser stellen.

STANDARD: Das Kreuz auf der Kuppel steht zuerst einmal für eine Allianz von Thron und Macht, für ein politisches Christentum. Hätte man darauf nicht verzichten sollen?

Dorgerloh: 2018, als ich berufen wurde, war das schon in Ausführung. Ich persönlich kann das Kreuz als multikulturelles Zeichen lesen. Auch durch den Lernprozess, den ich in der Auseinandersetzung mit der Geschichte des Kolonialismus durchmache. Gerade im Globalen Süden ist die Alltagserfahrung vieler Menschen heute stark vom Christentum bestimmt. Es gibt einen Vormarsch evangelikaler Gruppen nicht nur in Afrika, in Lateinamerika gibt es Befreiungstheologien, das Kreuztragen in der DDR war durchaus ein Zeichen des Widerstandes. Und heute sind die Menschen im damals so benannten Bismarck-Archipel, aus dem zum Beispiel das Luf-Boot stammt, mehrheitlich Christen.

STANDARD: Sie sprechen damit eines der umstrittensten Exponate der Ausstellungen an, die nach der Eröffnung im Juli erst im Herbst zugänglich werden sollen. Ein Boot aus dem heutigen Papua-Neuguinea. Götz Aly hat darüber kürzlich ein Buch veröffentlicht, das für das Humboldt-Forum nur niederschmetternd gewesen sein kann.

Dorgerloh: Ich fand es nicht niederschmetternd, sondern erhellend. Es hilft uns auch, die Vielfalt unserer Themen besser bekanntzumachen. In den letzten Jahren lag der Schwerpunkt der Berichterstattung sehr stark auf Afrika, sicher auch wegen der Benin-Bronzen und der damit einhergehenden Restitutionsfragen. Nun rückt in einer Perspektiverweiterung auch Asien und Ozeanien in den Fokus der öffentlichen Diskussion, auch als Handlungsraum deutscher kolonialer Politik. Mich interessiert häufig der historische Zusammenhang mindestens so wie der Gegenstand selber. Im Luf-Boot sehen wir nun nicht mehr vorrangig ein Beispiel für die Tradition des Bootsbaus und die nautischen Kompetenzen in Polynesien, sondern fragen viel stärker nach dem historischen Erkenntniswert. Das ist der wesentliche Shift seit 2002.

STANDARD: Gerade die Stiftung Preußischer Kulturbesitz steht nach wie vor im Verdacht, dass sie in diesen entscheidenden Bereichen bremst. Müssen Sie da Druck machen?

Dorgerloh: Allen Akteuren im Humboldt-Forum sind die Relevanz und die Komplexität dieser Themen bewusst, und daher ist die Beschäftigung mit dem Kolonialismus und seinen andauernden Folgen für die Welt bis heute ein zentrales Thema für uns. Und das hat Konsequenzen, beispielsweise für die Provenienzforschung. In ethnologischen Sammlungen ist die Provenienz oft anders zu fassen als in der europäischen "Meistererzählung" von Künstler, Auftraggeber oder Sammler. Bei Sammlungen aus kolonialen Kontexten sind andere, soziale Beziehungsgeflechte zu erforschen. Da wird von den Fachleuten gerade in ethnologischen Museen zu Recht mehr erwartet, nicht nur in Berlin übrigens. Die ganze Republik weitet und hinterfragt gerade ihre geschichtspolitischen Koordinaten.

STANDARD: Exponate wie die Benin-Bronzen, deren Rückgabe in Aussicht gestellt wurde, wären Identifikationsfaktoren für die Institution gewesen. Wo könnte denn das Humboldt-Forum bei all seiner Heterogenität, einen gemeinsamen Nenner finden?

Dorgerloh: Es gibt keinen politischen Auftraggeber für das Programm. Das unterscheidet uns wesentlich von der damaligen DDR, wenn ich das als Ossi sagen darf. Die Programmarbeit im Humboldt-Forum basiert auf drei Kernthemen, die sich bei allen Akteuren wiederfinden: die Geschichte des Ortes, die Brüder Humboldt und Kolonialismus und Kolonialität. Und wir stehen vor der großen Aufgabe, viele der Debatten, die schon lange und intensiv unter Fachleuten oder in Aktivistengruppen geführt werden, für viele Menschen zugänglich zu machen, also auf die Straße zu bringen. Wir haben das gerade bei der Fußball-EM gesehen. Nationalmannschaften sehen heute anders aus als vor zwanzig, dreißig Jahren, und das ist die Zukunft Europas. Das muss auch das Humboldt-Forum erreichen: diverser werden und zugleich den sozialen Zusammenhalt stärken.

STANDARD: Das Haus der Kulturen der Welt in Berlin hat mit Bonaventure Ndikung, geboren in Kamerun, gerade einen neuen Leiter bestellt. Ist es auch Ihre Aufgabe beim Humboldt-Forum, diesen zentralen Ort für Deutschland so vorzubereiten, dass er die Vernetztheit, aber auch die Machtgefälle in der globalen Welt auch in seiner Leitungsfunktion abbildet?

Dorgerloh: Ja, das gilt für Medien, die Wirtschaft genauso wie im Sport oder in der Kultur. Was in der Musik passiert ist, hat inzwischen auch schon viele Museen erreicht, auch das Humboldt-Forum. Diversität beginnt im Team – auch auf den Leitungsebenen. (Bert Rebhandl, 16.7.2021)