Was macht gute Werbung aus, Herr Séguelá? Berechtigte Frage, wenn man schon einmal einer Werbelegende gegenübersitzt wie Jacques Séguelá (87). Er hat in mehr als sechzig Jahren in der Werbung den Citroën AX "revolutionär" gemacht, für Evian geworben, für Carte Noire und für viele, viele Politiker vieler Länder.

Mitterand und Vranitzky

Zu Wahlerfolgen von François Mitterrand etwa, dem französischen Staatspräsidenten von 1981 bis 1995, hat er mit seinen Kampagnen wesentlich beigetragen. Mit "Generation Mitterrand" nahm er für den Sozialisten in den 1980ern Anleihen bei der "Generation Pepsi".

In Österreich ließ Séguelá SPÖ-Chef Franz Vranitzky "Zu neuen Qualitäten" aufbrechen, zwei sehr auf die Persönlichkeit des Spitzenkandidaten zugeschnittene Kampagnen gab die SPÖ bei dem französischen Werbeguru in Auftrag.

Weniger Marktforschung, mehr Gespür! Werbelegende Jaques Séguelá im Hotel Le Méridien Wien.
Andy Urban

Warum nicht Kurz?

Würde Séguelá auch für ÖVP-Chef Sebastian Kurz werben? "Ich weiß es nicht. Ich müsste ihn treffen, zwei Wochen die Atmosphäre aufnehmen, sehen, ob ich mit seinen Ideen etwas anfangen kann." Dass Kurz einer konservativen Partei vorsteht, würde nicht stören.

Séguelá hat Emmanuel Macron nicht beworben, aber unterstützt. Macron verbinde konservative mit progressiven Zugängen.

Nur für "Extremisten" würde er nicht werben. Der libysche Diktator Muammar al-Gaddafi habe einmal anfragen lassen, ob Séguelá ihm ein neues, positives Image verpassen könnte. Eine Million Euro habe er geboten. Séguelá winkte ab.

"Man muss an das Produkt glauben, für das man wirbt", sagt er. Das habe er in seinen vielen Jahrzehnten in der Werbung stets gelebt, "vor allem bei meinen politischen Kampagnen". Das könnte ein Puzzlestein sein für gute Werbung. Aber das allein kann’s ja nicht sein, oder?

Die richtige Idee und das Spermatozoon.
Andy Urban

Spermatozoen

"Ich bin seit mehr als 60 Jahren in der Werbung. Und alle zehn Jahre musste ich mich neu erfinden. Aber eines ist immer gleich geblieben. Die Werbung wird immer eine Idee brauchen. Eine Idee ist wie ein Spermatozoon. Es gibt Milliarden davon, aber nur eines schafft es, in die Eizelle einzudringen und ein kleines Baby zu werden."

Wenn es auf der Welt ist, muss der Kreative mit ihm die Hürde der Marketingleute nehmen, die das hübsche Baby nicht interessiert und die immer nur nach Strategie und Konzept fragten. Dann geht er mit dem Neugeborenen zum Kunden, der das Baby hässlich findet. "Und dann sagt der Kunde das hässlichste Wort der Werbung: Wir müssen das abtesten." Marktforschung also. Séguelá hat dafür eine Lieblingsformel, die auf Französisch oder Englisch besser funktioniert: "Less tests, more testicles." Also weniger testen, mehr, sagen wir: Gespür.

Journalismus und Gespür

Und wie bekommt man dieses Gespür für die richtige, die gute Idee in der Werbung? "Wenn es in diesem Metier etwas braucht, dann ist es das Gefühl, was funktioniert und was nicht." Séguelá hat das im Journalismus gelernt, sagt er, in den 1960ern als Reporter und dann Chefredakteur der großen Tageszeitung France Soir, vom Generaldirektor und Journalisten Pierre Lazareff.

France Soir erschien täglich in mehreren Auflagen. Und Lazareff rief jeden Tag gegen zehn Uhr bei einigen Zeitungskiosken an, wie sich das Blatt verkauft. War die Nachfrage mau, hat er die Schlagzeile für die nächste geändert.

Keine Nachrichten? Dann müssen wir welche machen.
Andy Urban

Brrrrrrrrrrr

Séguelá erinnert sich an einen eiskalten, ereignislosen Tag als Chefredakteur. "Es gibt keine Neuigkeiten, habe ich geklagt. Er darauf: Wenn es keine Neuigkeiten gibt, müssen wir welche machen. Und er hat ein Blatt Papier genommen und darauf ‚Brrrrrrrrrrrrrrrr‘ geschrieben. Das wurde die Headline, über acht Spalten."

"Man muss das Produkt wirklich spüren und lieben", sagt Séguelá über gute Werbung. "Man muss die Gesellschaft, die Politik, die Kultur, die Menschen wirklich kennen, um zu spüren, was funktioniert."

Oder man hat, wie heute, ihre Daten, die sie in der digitalen Welt auf Schritt und Tritt hinterlassen.

"Man muss das Internet akzeptieren. Man kann auch nicht gegen die Wissenschaft sein", sagt Séguelá, und natürlich müsse man alle technologischen Möglichkeiten nutzen, um die Menschen zu erreichen, Werbung gezielt und personalisiert auszuspielen.

Revolver ohne Patrone

"Aber wir dürfen das Menschliche in der Kommunikation nicht vergessen. Technologie ohne Ziel und Zweck ruiniert die Menschheit. Technologie ohne Idee ruiniert die Werbung", sagt er. Und: "Daten ohne Idee sind wie ein Revolver ohne Patrone."

"Journalisten erzählen Fakten. Ich erzähle Träume."
Andy Urban

"Was es in diesem Metier braucht, ist das Gespür, was funktioniert – und was nicht.""Journalisten erzählen Fakten. Ich erzähle Träume. Wir dürfen Konsumenten nicht täuschen."nd wie macht man nun gute Werbung? "Wir haben zwei Aufgaben", sagt Séguelá: Einerseits soll sich das Produkt natürlich verkaufen. Aber noch wichtiger ist, die Marke unsterblich zu machen. Wie wird man unsterblich? Man gibt einem Produkt eine Seele. Nur die Seele ist unsterblich. Die verschwindet nicht. Werber können Ewigkeit schaffen."

Nicht oft gelingt das, räumt er ein: 80 Prozent der Marken, die im 20. Jahrhundert geläufig und bekannt waren, haben es nicht ins 21. geschafft. Und so werde es auch vielen heutigen Marken gehen.

"Ich erzähle Träume"

Séguelá hat die Agentur RSCG gegründet, längst Teil des Werberiesen Havas, und Séguelá ist mit seinen 87 noch immer als kreatives Gewissen in der Agentur präsent.

Havas wiederum gehört zum Medien- und Unterhaltungskonzern Vivendi. Im Zusammenspiel von Werbung, Medien, Entertainment sieht er eine Zukunft seiner Branche mit allen Möglichkeiten im Konzern. "Warum soll eine Kampagne nicht eine TV-Serie sein?" So hat es einst im US-Fernsehen angefangen, mit Seifenopern, Soap-Operas.

Und wo bleibt da die Trennung von Inhalten, vor allem journalistischen, und Werbung? "Man darf die Konsumenten nicht täuschen", räumt Séguelá ein: " Journalisten erzählen Fakten. Ich erzähle Träume." (Harald Fidler, 16.7.2021)