Michael Enzinger, Präsident der Wiener Rechtsanwaltskammer, will das Vertrauen in die interne Kontrolle stärken.

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Anwälte sind ihre eigenen Richter: Das Disziplinarrecht ist eine interne Angelegenheit des Berufsstands. Bisher war das auch bei den Ärzten der Fall, ab 2023 liegt die Aufgabe der Qualitätssicherung der Praxen allerdings beim Gesundheitsminister. Verstöße gegen das Berufsrecht, die ohne Konsequenzen blieben, hatten das Vertrauen in die interne Kontrollinstanz der Ärztekammer beschädigt – nun ist der Staat dafür zuständig. Eine solche staatliche Kontrolle will Michael Enzinger, Präsident der Wiener Rechtsanwaltskammer, verhindern. Sie wäre "der Gottseibeiuns für uns Anwälte", sagt er im STANDARD-Gespräch.

Mehr Transparenz

Um einer ähnlichen Reform bei den Anwälten zuvorzukommen, plädiert Enzinger für Veränderungen im anwaltlichen Disziplinarrecht. Das Ziel: Mehr Transparenz soll langfristig das Vertrauen in den Berufsstand stärken.

Aktuell sind Disziplinarverfahren nicht öffentlich. Gibt es einen Anlassfall, entscheidet ein Disziplinarrat, der sich aus Anwälten zusammensetzt. Wird gegen dessen Entscheidung berufen, urteilt in letzter Instanz der Oberste Gerichtshof. Nur Fälle, die beim Höchstgericht landen, werden anonymisiert veröffentlicht. Geht es nach Enzinger, soll das künftig für alle disziplinarrechtlichen Angelegenheiten gelten. Eine besondere Herausforderung dürfte dabei sein, die Geheimhaltungsinteressen der beteiligten Mandanten zu schützen.

Notwendige Pensionsreform

Der größere Reformbrocken ist laut Enzinger allerdings die geplante Umstrukturierung der anwaltlichen Versorgungseinrichtungen. Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte haben eine eigene Pensionskasse, die vom herkömmlichen Sozialversicherungssystem entkoppelt ist. Aktuell gibt es in den Länderkammern jeweils eigene Einrichtungen, die nun zusammengelegt werden sollen.

Allerdings setzen die Standesvertretungen auf teils unterschiedliche Beitragshöhen, was einen Kompromiss schwierig macht. Für Anwälte in Wien werden etwa 11.000 Euro pro Jahr fällig, in den meisten anderen Länderkammern weniger. Ob sich alle Standesvertretungen an der Zusammenlegung beteiligen werden, ist laut Enzinger noch nicht absehbar. Die Reform soll aufgrund der bislang unterschiedlichen Systeme jedenfalls nur für die Zukunft gelten. Bisherige Beitragszahlungen würden davon unberührt bleiben.

Ein "Reförmchen" der Rechtsanwaltsordnung sei schon dieses Jahr geplant, erzählt Enzinger. So werden sowohl Rechtsanwaltsanwärter als auch Rechtsanwälte künftig die Möglichkeit haben, ihre Kammermitgliedschaft für einen bestimmten Zeitraum ruhend zu stellen. Die Maßnahme soll Eltern, die aufgrund der Geburt eines Kindes aus dem Berufsstand ausscheiden, eine leichtere Rückkehr in den Job ermöglichen. Vor allem junge Mütter legen häufig ihre Kammermitgliedschaft zurück, um nicht weiterhin Beiträge bezahlen zu müssen. Danach ist ein neuer Antrag auf Eintragung in die Anwaltsliste notwendig. Die Ruhendstellung soll diese "psychologische Schwelle" für die Rückkehr in den Beruf abbauen.

Gefährdete Unschuldsvermutung

Enzinger will in zwei Jahren wieder als Präsident der Wiener Rechtsanwaltskammer kandidieren und seine Reformprojekte vollenden. Mit politischen Äußerungen ist der Anwalt für Wirtschaftsrecht eher zurückhaltend. In der aktuellen Debatte rund um den Ibiza-Untersuchungsausschuss verweist er allerdings auf die Bedeutung der Unschuldsvermutung – und greift Reformvorschläge auf, die zumeist die ÖVP verlangt hat. So soll die Veröffentlichung von Chatnachrichten in Zukunft verhindert werden. Wie genau, lässt Enzinger offen. Infrage käme für ihn etwa ein System wie in Deutschland, wo die Veröffentlichung direkter Zitate aus Ermittlungsakten verboten ist. (Jakob Pflügl, 19.7.2021)