Schatten, Pflanzen und ein bisschen Sprühnebel: Der Esterházypark in Wien soll eine der Vorlagen dafür sein, wie Städte in Zukunft kühl bleiben können.

Foto: Mafalda Rakos

Lange wird es wohl nicht mehr dauern, bis die magische Grenze durchbrochen ist: In Österreich kratzten die Temperaturen in den vergangenen Jahren immer häufiger an der 40-Grad-Marke – im Schatten wohlgemerkt. An einzelnen Flecken der Stadt wurde sie mitunter sogar schon geknackt. Sogenannte Urban Heat Islands entstehen dort, wo viel Hitze auf viel Beton und wenig Grün trifft. Bis 2050 könnte es in Wien sogar noch einmal um bis zu acht Grad heißer werden als heute, haben Forschende der ETH Zürich berechnet. Das entspricht Athener Verhältnissen.

Während Pflanzen und Wiesen in Städten immer öfter verdorren, blüht die Stadtbegrünungsbranche erst so richtig auf. Rund ein Dutzend Initiativen, öffentliche Stellen, Vereine und Unternehmen versuchen Städte mit begrünten Fassaden und Dächern, Bäumen und Wassernebeln etwas kühler zu machen. Den Klimawandel kann man so freilich nicht stoppen, sehr wohl aber seine schlimmsten Auswirkungen.

15 Grad weniger

Bis zu 15 Grad weniger gefühlte Temperatur sei durchaus möglich, sagt Doris Schnepf, Gründerin und CEO von Green4Cities, zum STANDARD. Das Unternehmen war eines der ersten, die sich exklusiv dieses Problems angenommen haben. Seit 2014 gibt es das Planungsbüro, das sich als Kompetenzstelle für urbane grüne Infrastruktur versteht. "Damals wurde das noch als Blümchenthema betrachtet, das eher belächelt wurde", sagt Schnepf. "Wir waren die Nerds, die sich dessen angenommen haben." Heute hat das Unternehmen 18 Mitarbeiter, die Auftragslage sei gut.

Green4Cities-Gründerin Doris Schnepf will Straßen, Grätzel und dann ganze Städte klimafit machen. Auf Dächern, Wänden oder Innenhöfen gibt es noch viele Brachflächen.
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Langsam bilde sich ein Bewusstsein für grüne und blaue Infrastruktur – bei Stadt, aber auch bei Einwohnern, Bauträgerinnen und Investoren. Kaum ein neues Bauprojekt wird ohne Begrünungskonzept geplant, sei es mit vertikalen oder ebenen Grünflächen. Wegen der langen Vorlaufzeit im Wohnbau dauert es aber noch, bis die Veränderung wirklich sichtbar wird. "Deshalb ist vieles, was jetzt fertig gebaut wird, häufig immer noch Asphaltwüste", sagt Schnepf.

Potenzial bei bestehenden Bauten

Bäume sind die absoluten Wollmilchsäue in der grünen Stadtinfrastruktur: Sie sind pflegeleicht, langlebig, kühlen und spenden Schatten. Gerade in Innenstädten ist aber nicht überall Platz für Bäume. Die "größte Brachfläche" ist für die Begrünungsexpertin aber ohnehin die Vertikale. "Die nicht zu nutzen ist geradezu absurd." Vor allem bei bestehenden Bauten gebe es hier großes Potenzial.

Städte nachhaltig kühl zu halten sei komplexer, als es aussieht. "Man muss verstehen, wie das Ökosystem der Stadt funktioniert", sagt Bernhard König, ebenfalls Geschäftsführer bei Green4Cities. Regenwasser, das im Stadtraum auf Dächer und Wege fällt, sollte am besten direkt vor Ort gespeichert und durch Vegetation verdunstet werden. Das kühlt den Stadtraum und trägt zur Biodiversität bei.

Wald an Zuständigkeiten

An Stadtbegrünungsprojekten hängt allerdings ein ganzer Schweif an behördlichen Auflagen: Wenn dank Begrünung mehr Oberflächenwasser verdunstet, ist etwa das Kanalsystem weniger ausgelastet, dazu kommen Vorschriften, etwa was die Mindestbreite von Gehsteigen oder Denkmalschutz angeht. In manche engen Gassen kommt man mit schwerem Gerät hier nicht hinein. Inzwischen weiß das Team, worauf man achten muss. "Aber in unserer Erfahrung steckt viel Lehrgeld drinnen", sagt König.

Auch wenn das Bewusstsein für Grün in der Stadt in den letzten Jahren gestiegen ist, müsse man weg davon, nur Einzelprojekte zu feiern. Stattdessen brauche es Konzepte dafür, ganze Grätzel und Städte klimafit zu machen. Im Auftrag des Bezirks Wien-Neubau arbeitet Green4Cities derzeit an einem solchen Konzept und sucht noch nach einer Straße, die später als Blaupause für den restlichen Bezirk fungieren soll.

Bevölkerung einbinden

Schnepf und ihr Team konzipieren und planen dabei, die Schaufel nehmen dann Landschaftsgärtnereien in die Hand. Ob es bei wachsendem Bedarf das Berufsbild "Stadtgärtner" braucht? "Ich glaube, die Ausbildung ist gut", sagt Schnepf. Vielmehr müsse man überlegen, die Trennlinien zwischen Gewerben etwas aufzuweichen – gerade in der Stadt. Sobald irgendwo ein Stromkabel oder eine Regenrinne verläuft, darf der Gärtner nicht mehr ran und ein Professionist muss her. Das verteuert die Sache derzeit noch enorm.

Wichtig ist bei jedem Projekt jedenfalls, zuerst mit den Bewohnern zu reden. "Am Naschmarkt sieht man gerade, was passiert, wenn man das nicht macht", sagt Schnepf. Nicht nur bei der Konzeption, sondern auch bei der Finanzierung könnte man die Bevölkerung einbinden. Sie träumt von einem Modell, das an Social Impact Bonds angelehnt ist. Dabei wird eine Maßnahme zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderung von einem Investor finanziert. Rückzahlung und Zinsen hängen davon ab, wie gut das Ziel erreicht wird – der Financier hat damit ein Interesse daran, dass sich auch wirklich etwas ändert.

Mit Insekten leben

Derzeit sind Social Impact Bonds vor allem im Vereinigten Königreich und in den USA verbreitet. Einsteigen können allerdings nur Großinvestoren ab Tausenden von Euro. Schnepf schwebt vor, dass sich bald schon jeder Einzelne mit wenigen Euro an einer neuen Stadtbegrünung beteiligen kann – und somit doppelt profitiert. "Das Geld und der Gewinn bleibt im Grätzel", sagt die Stadtbegrünungsexpertin.

Gegenüber Anrainern, die über mehr Insekten wegen Fassadenbegrünung klagen, hat sie hingegen wenig Verständnis übrig: "Wenn man Ja zur grünen Stadt sagt, muss man Ja zu Insekten sagen." Sie empfiehlt ein Fliegengitter. (Philip Pramer, 16.7.2021)