Heinz Ferlesch: "Die Konzertserie mit der h-Moll-Messe war vor zwei Jahren fertiggeplant, nicht wissend, was 2020 auf uns zukommen würde."

Nini Tschavoll

All Klangkörper hatte es schwer in den letzten 14 Monaten. Besonders heikel aber war die Chorarbeit. Dirigent Heinz Ferlesch, künstlerischer Leiter der Wiener Singakademie und auch Chef des Chors Ad Libitum, musste so seine Erfahrungen machen. Nun aber suchen er und die seinen wieder Kontakt zu Klang und Publikum. Ferlesch wird mit dem Chor Ad Libitum, dem Originalklangorchester Barucco und Solisten Bachs "h-Moll Messe" aufführen – am 17. Juli in Sankt Valentin und am 18. Juli im Stift Herzogenburg.

Standard: Die Chorarbeit war ja besonders erschwert in den letzte 14 Monaten. Welche Phasen haben Sie und die ihren durchgemacht?

Ferlesch: Ich habe das große Glück, dass Teams sich von Anfang an für die Wiederaufnahme der Probentätigkeit eingesetzt haben. So war der erste Lockdown geprägt von der Erarbeitung eines Präventionskonzepts für die Wiederaufnahme der Proben – gemeinsam mit dem Wiener Singverein. So konnten wir schlussendlich auch dem Gesundheitsministerium und der damaligen Kunststaatssekretärin ein Konzept übermitteln. Die Wiener Singakademie hat beispielsweise von September 2020 – mit der Ausnahme von zwei Wochen im November – durchgeprobt. Dies allerdings mit einem strengen Covid-Konzept: Testung direkt vor der Probe, Singen mit FFP2-Maske, Abstände etc. Selbiges macht auch mein Chor Ad Libitum – insbesondere für die Erarbeitung der h-Moll-Messe

Standard: Wurden sie zum Aerosol-Spezialisten? An der Volksoper sang man teilweise mit Maske... was denke Sie?

Ferlesch: Spezialist würde ich nicht sagen, das muss man immer den Profis überlassen. Dennoch musste ich mich mit vielen Bereichen beschäftigen, von denen ich niemals gedacht hätte, dass sie zu meinem beruflichen Tätigkeitsfeld als Musiker gehören. Wir haben sogar an einer Aerosolmessung beim Singen teilgenommen.

Das Singen mit Maske haben meine beiden Chöre rund sechs Monate lang praktiziert. Schon die erste Probe hat gezeigt, dass die Angst und Scheu, die man als Chorleiter hat, wenn man an Singen mit Maske denkt, vollkommen unbegründet ist. Das Singen mit FFP2-Maske hat uns geschützt und unseren Probenbetrieb ermöglicht. Die Sängerinnen und Sänger haben diese Maßnahme mitgetragen. Die einhellige Meinung beider Chöre war: lieber mit Maske singen als ohne. Auch wenn wir froh sind, dass wir sie mittlerweile dank PCR-Tests wieder los sind.

Standard: Wie ist es jetzt im Zusammenhang mit den Proben zur h-Moll-Messe?

Ferlesch: Die Probenphase der h-Moll-Messe inklusive einem 3-tägigen Probenwochenende haben wir mit Testungen und FFP2-Maske bestritten. Das Abnehmen der Maske wurde mit PCR-Tests abgesichert und war mit Sicherheit für uns alle ein schöner und befreiender Moment.

Standard: Ihr Orchester Barucco wird mit dem Begriff Originalklang in Zusammenhang gebracht. Wie wirkt sich das konkret aus – auf Instrumente, Orchestergröße, Klang, Phrasierung, Vibrato, Agogik und so weiter...?

Ferlesch: Wir versuchen, der Klangwelt des Komponisten der jeweiligen Epoche so nahe wie möglich zu kommen. Die Grundvoraussetzung dafür ist, dass Instrumente und Stimmungen der jeweiligen Epoche verwendet werden. Ein wenig schwarzweiß gezeichnet, kann man sagen, dass die Realisierung eines Werks wie der h-Moll-Messe mit Originalinstrumenten farbenreicher und schillernder ist, als in der Umsetzung mit modernen Instrumenten. Zudem – und das ist eine entscheidender Unterschied – kommt mit der Verwendung der Originalinstrumente und der Temporierung die Tonartencharakteristik erst richtig zur Geltung.

Standard: Und wenn man den Begriff Originalklang oder "historisch informiert" auf Chor oder Solostimmen ausdehnt, was ist da zu beachten?

Ferlesch: Diese Frage hat vielerlei Dimensionen. Eine davon ist, dass man darüber nachdenken muss, in welcher Stärke ein Chor z.B. von Johann Sebastian Bach besetzt wurde. Wir wissen, dass Bach zur Gestaltung der Gottesdienste ein Ensemble von acht bis zwölf Sänger und Sängerinnen zur Verfügung hatte, die Soli wurden von Teilen dieser Ensembles gesungen. Die Altstimme wurde noch bis ins 19. Jahrhundert hinein auch mit Männerstimmen besetzt – sie ist ja "die höhere" Stimme.

Standard: Oder ist das alles im Moment des Musizierens egal und man lässt es fließen?

Ferlesch: Ich denke, es ist wichtig, die Quellen und die Musizierpraxis der jeweiligen Zeit zu kennen. Diese Kenntnis soll aber keine Fessel sein, sie formt eine Klangvorstellung und hilft und zu verstehen, warum Komponisten in der Art und Weise den Text interpretiert haben, wie sie das eben getan haben. Ich finde, dass in jedem hochromantischen Werk ein wenig Barock vorhanden sein darf, und in jedem Werk des 17. und 18. Jahrhunderts ein wenig Horizontalklang der Romantik. Und wenn dann Ruhe einkehrt, hört man das Werk aus sich heraus atmen.

Standard: Warum h-Moll-Messe, warum jetzt?

Ferlesch: Die Konzertserie mit der h-Moll-Messe war vor zwei Jahren fertiggeplant, nicht wissend, was 2020 auf uns zukommen würde. Der Zufall wollte es, dass die Wiederaufnahme der Probentätigkeit des Chores Ad Libitum mit den Proben für die h-Moll-Messe einsetzt. Die Pandemie hat unser gewohntes Selbstverständnis vollkommen auf den Kopf gestellt und speziell in der Kultur sind Fragen nach der Daseinsberechtigung besonders hart.

Ist Kultur systemrelevant? Und dann die Beschäftigung mit diesem Meisterwerk...Was wäre die Menschheit ohne Kultur? Gerade jetzt, wo wir wieder das Gefühl haben, dass es aufwärts geht, ist der emotionale und visionäre Wert des Begriffs Auferstehung so wichtig. Und wer das "Et resurrexit" aus der h-Moll Messe hört, der weiß, wie erfüllend und wichtig diese Auferstehung ist. (Ljubisa Tosic,16.7.2021)