Meditierende können das Bewusstsein als solches wahrnehmen. Diesem Zustand des sogenannten "reinen Bewusstseins" steht im Forschungsfokus von Thomas Metzinger und seinem Team.

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Versierte Meditierende kennen den Zustand des sogenannten reinen Bewusstseins. Ein solcher Bewusstseinszustand kann zwar unterschiedlich erlebt werden, dennoch existieren entsprechende sehr spezifische Empfindungen. Darüber hinaus gibt es auch Wahrnehmungen, Gefühle und Gedanken, die als solche unspezifisch sind und lediglich begleitend auftreten können.

Das ergab die bisher umfangreichste Untersuchung zum Erleben des reinen Bewusstseins, die bisher vorgenommen wurde und deren Ergebnisse nun im Fachjournal "Plos One" erschienen sind. Für die Studie hat ein Team um Thomas Metzinger von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) einen Online-Fragebogen mit mehr als hundert Fragen entworfen und ihn von tausenden Meditierenden weltweit beantworten lassen.

Minimalmodell des menschlichen Bewusstseins

"Forschungsziel war für uns aber nicht, mehr über Meditation zu erfahren, sondern mehr über das menschliche Bewusstsein", sagt Metzinger. "Unsere Arbeitshypothese war, dass das reine Bewusstsein die einfachste Form des bewussten Erlebens ist. Und unser Ziel war es, von dieser Hypothese ausgehend ein Minimalmodell des menschlichen Bewusstseins zu entwickeln." Die Studie ist Teil des internationalen "Minimal Phenomenal Experience Project", das von Metzinger geleitet wird.

Der Online-Fragebogen in den fünf Sprachen Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch und Italienisch wurde im vergangenen Jahr von rund 3.600 Meditierenden ausgefüllt. Neben Fragen nach Informationen zu den Teilnehmerinnen und Teilnehmern selbst enthielt das Formular 92 Fragen zum Erleben von reinem Bewusstsein oder "reinem Gewahrsein", wie es auch genannt wird. Diese Fragen lauteten zum Beispiel "Hatten Sie Temperaturempfindungen?", "War Ihre Stimmung positiv?" oder "Hatten Sie Gedanken?".

Zwölf Faktoren

Sie konnten jeweils mit einer Art virtuellem Schieberegler von "nein" bis "ja, sehr stark" beantwortet werden. 1.400 der Fragebögen wurden vollständig ausgefüllt, sodass Metzinger und Gamma sie für eine sogenannte Faktoranalyse verwenden konnten. Mit dieser Art der statistischen Auswertung suchten sie nach Gruppen von Fragen, die häufig ähnlich beantwortet wurden.

"Im Ergebnis fanden wir zwölf Gruppen, wodurch wir wiederum zwölf Faktoren benennen konnten, mit denen sich das reine Bewusstsein beschreiben lässt", sagt Metzinger. "Typisch für das reine Bewusstsein scheint demnach beispielsweise ein Empfinden von Stille, Klarheit und eines wachen Gewahrseins ohne Ich-Gefühl zu sein." Eher unspezifisch sei das Erleben von Zeit, Anstrengung oder Verlangen, das durchaus begleitend auftreten könne.

Jenseits der Meditation

"Mit diesen zwölf Faktoren haben wir nun die Möglichkeit, prototypisch ein Minimalmodell des menschlichen Bewusstseins zu entwickeln", sagt Metzinger. Außerdem biete die Studie zahlreiche Ansatzpunkte für weitere Forschungen. So will Metzinger etwa herausfinden, ob reines Bewusstsein – also die Qualität der Bewusstheit selbst – auch in anderen Situationen als bei der Meditation erlebt wird.

"Durch Berichte, die wir ebenfalls als Antworten bekamen, haben wir Hinweise darauf erhalten, dass reines Bewusstsein auch in anderen Situationen erlebt wird", meint Metzinger. "Zum Beispiel bei Unfällen, bei schweren Krankheiten, im Grenzbereich zwischen Schlafen und Wachen oder auch beim versunkenen Spielen als Kind." (red, 17.7.2021)