Ich habe momentan das Vergnügen, an einem Buch mitzuwirken, welches – Griaß eich die Madln, servas die Buam! – zu einer Heinz-Conrads-Ausstellung der Wienbibliothek im Rathaus erscheinen wird. Bei der Arbeit in Conrads’ Nachlass stieß ich auf schüppelweise Fanbriefe, in denen wildfremde Leute den stets leutselig auftretenden Entertainer mit einer Distanzlosigkeit anstrudeln, als wäre er ein Superhaberer oder das liebste Familienmitglied.

Die Schreiber solcher Briefe abstrahieren frohgemut vom Sachverhalt, dass sie zwar Conrads zu kennen glauben, umgekehrt aber der "liebe Heinzi" in 99 Prozent der Fälle keinen Schimmer gehabt haben dürfte, wer da sein Füllhorn an Schmeicheleien und Sympathiebekundungen über ihn ergoss. Eine klassische Art von asymmetrischer Kommunikation also.

Heinz Conrads dürfte keinen Schimmer gehabt haben, wer da sein Füllhorn an Schmeicheleien und Sympathiebekundungen über ihn ergoss.
Foto: ORF

Die Wissenschaft hat dafür den Begriff "parasoziale Aktion" parat, der 1956 von den US-Forschern Donald Horton, einem Anthropologen, und dem Soziologen Richard Wohl ersonnen wurde. Gemeint ist, dass Medienfiguren aller Art eine wichtige Rolle im Gemütsleben von Menschen spielen können, obwohl diesen das wahre Wesen "ihrer" Figur völlig unbekannt ist (natürlich müssen es Stars sein, weil die Huaber-Liesl oder der Müller-Koarl gemeinhin nur wenig emotionale Resonanz im Oberstübchen hervorrufen).

Man mag dieses Fangebaren naiv finden, aber es hat seine Vorteile: Wenn einem das Liebesobjekt irgendwann einmal auf die Nerven geht, kann man es, anders als reale Bezugspersonen, blitzartig aus seinem Leben entfernen. Auch Politiker dienen sich als Projektionsflächen an. Besonders in Wahlkampfzeiten neigen sie dazu, tierisch herumzumenscheln und zu demonstrieren, dass sie auch einmal ein Bier trinken, Nachwuchs zeugen oder im Fasching ein spitzes Hütchen tragen. Man kennt die Typen überhaupt nicht, aber sie tun so, als hätten sie höchstpersönlich mit dir Schweine gehütet. Bei ihnen soll jeder das Gefühl bekommen: Hier bin ich Zoon politikon, hier darf ich’s sein.

Eh nett, weil Menschen sind wir ja alle. Es können aber selbst der charmanteste Stenz und die adretteste Charmebölzin insgeheim nicht davor zurückscheuen, fiese Politik zu betreiben. Daher die Warnung an alle Gemütsmenschen: Achtgeben, mit wem man parasozial interagiert. Etwas Verstand kann dabei nicht schaden. (Christoph Winder, 19.7.2021)