Der Umsatz des Start-ups PowUnity, das GPS-Tracker für E-Bikes anbietet, wächst laut Mitgründer Stefan Sinnegger (Bild) jährlich um 100 Prozent.
Foto: Florian Lechner Voels

Das Wachstum hält an. Die Zeichen der Zeit spielen der Fahrradbranche in die Hände. Egal ob Corona- oder Klimakrise – das Fahrrad ist immer Teil der Lösung. Das schlägt sich in den Verkaufszahlen nieder. Wer aktuell ein neues Radl sucht, muss mitunter monatelange Wartezeiten in Kauf nehmen. Dieser Boom wirkt sich positiv auf die Branche aus. Nicht nur die Verkaufs-, auch die Mitarbeiterzahlen steigen kontinuierlich. In Zeiten von E-Bikes wird auch das von potenziellen Mitarbeitern verlangte Anforderungsprofil immer komplexer. Der klassische Radlschrauber, der Patschen flickt und Felgen zentriert, ist ein Auslaufmodell. Heute sind Softwareentwickler und Mechatroniker gefragt.

Wie schnell die Branche wächst, zeigt das Beispiel von PowUnity, einem Innsbrucker Start-up, das GPS-Tracker für E-Bikes anbietet. Stefan Sinnegger und seine beiden Kompagnons starteten 2018 als Trio. Heute beschäftigt das Unternehmen 20 Mitarbeiter. Die Tätigkeitsfelder sind vielfältig: Ein- und Verkauf, technische Entwicklung der Soft- und Hardware, Produktion, Lager und Versand. "Wir wachsen, am Umsatz gemessen, derzeit jährlich um 100 Prozent. Daher brauchen wir an allen Ecken und Enden dringend Personal", sagt Sinnegger.

Über klassische Stellenausschreibung werde man selten fündig. Mittlerweile versucht man es über Recruiting-Agenturen, weil die Anforderungen spezielle sind. Zugleich konkurriert man mit Standorten wie München, was die Sache nicht erleichtert, wie Sinnegger erklärt: "Wir müssen gute Leute nach Tirol holen." Denn andererseits wollen immer mehr Hersteller mit dem Start-up kooperieren, das mit seinen GPS-Trackern digitalen Diebstahlschutz für hochwertige E-Bikes verspricht.

Über volle Auftragsbücher freut man sich auch bei Nox Cycles im Zillertal. Der E-Mountainbike-Hersteller ist 2017 von Berlin nach Zell am Ziller umgezogen. Weil Mountainbikes besser in die Berge als in die Großstadt passen. Im ersten Jahr rechnete man noch mit 400 bis 500 Rädern "made in Tirol" – die großteils in Asien gefertigten Rahmen und Komponenten werden im Zillertal zusammengebaut. 2021 werden es bereits an die 2500 sein, im kommenden Jahr rechnet man erneut mit Zuwächsen auf bis zu 4000 Räder.

Im Zillertal werden die E-Mountainbikes von Nox Cycles gebaut und verkauft. Waren es 2017 noch 500 Räder jährlich, rechnet man 2022 bereits mit bis zu 4000 Stück und sucht dementsprechend Personal.
Foto: Nox Cycles

Radaffine Quereinsteiger

Aktuell beschäftigt Nox Cycles insgesamt 25 Mitarbeiter, davon 20 am Standort Zell. Doch die neue Firmenzentrale im Nachbarort Schlitters ist bereits in Bau und wird ab Dezember bezugsfertig sein. Durch die Erweiterung werden in absehbarer Zukunft weitere zehn Jobs geschaffen, erklärt Igor Mlinar, der gewerberechtliche Geschäftsführer. Mangels radlspezifischer Ausbildungen sucht man Arbeitskräfte, die bikeaffin sind. Im Verkauf werden Bewerber mit einschlägiger Erfahrung bevorzugt. In der Produktion – bei Nox Cycles werden die Räder jeweils in Einzelfertigung von einem Techniker zusammengebaut – wird auch angelernt.

"Technisches Grundverständnis und Geschicklichkeit sind Voraussetzung", sagt Mlinar, der selbst jahrelange Erfahrung als Radmechaniker, zum Teil im Downhill-Weltcup, hat. Auch branchenfremde Bewerber seien willkommen, solange sie eine Leidenschaft für das Thema Fahrrad mitbringen. Ein Zuckerl für die Nox-Mitarbeiter ist, dass sie nach dem attraktiven Metaller-Kollektivvertrag entlohnt werden.

Wie bei PowUnity sucht auch Nox Cycles Personal mit sehr unterschiedlichen Qualifikationen. "Das reicht vom Empfang und Kundenbetreuung bis hin zur Produktion und Sales", sagt Mlinar. Wie die Branche selbst ist auch die Belegschaft relativ jung. Die meisten Mitarbeiter des internationalen Teams im Zillertal sind unter 35 Jahren. Doch gerade unlängst habe man zwei neue Kollegen mit langjähriger Raderfahrung eingestellt, die bereits über 50 sind. Der Wachstumsmarkt Fahrrad bietet somit auch älteren Arbeitnehmern Chancen.

Zukunftsmarkt

Überhaupt sind Mlinar wie auch Sinnegger überzeugt, dass die Radbranche ein Zukunftsmarkt ist, der sein Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft hat. Denn die Materie wird in Zeiten von E-Bikes und Internet of Things immer komplexer. Zudem werden immer neue Märkte erschlossen. So arbeitet PowUnity gerade an einer großen Kooperation mit einem niederländischen Lastenrad-Start-up. Nox Cycles wiederum erweitert seine Exportländer, die mittlerweile sogar die USA und Chile umfassen. Tendenz bei beiden stark steigend.

Dem Boom trägt mittlerweile auch der Ausbildungssektor Rechnung, erklärt Helmut Wittmer von der Tiroler Wirtschaftskammer. Seit August 2019 wird der Lehrberuf des Fahrradmechatronikers in Österreich angeboten. Aktuell absolvieren in Tirol 19 Lehrlinge diese Ausbildung, 18 davon sind männlich. Wittmer berichtet von großem Interesse bei der Jugend: "Das ist einer der neuen Lehrberufe, die voll eingeschlagen haben."

Zwar habe es anfangs Bedenken seitens der Arbeitnehmervertreter gegeben, ob der Lehrberuf genug Inhalte hergebe für drei Jahre Lehrzeit. Doch diese Vorbehalte konnten angesichts der durch E-Bikes und Digitalisierung immer spezifischeren Anforderungen der Branche rasch zerstreut werden. Neben den attraktiven Lehrinhalten und einer wachsenden Branche genießen auch die meisten Fahrradmechatronik-Lehrlinge die Vorzüge des Metaller-KV. Je nachdem, ob ihr Lehrbetrieb ein produzierender oder dem Fahrradhandel zugerechnet werde. (Steffen Arora, 20.7.2021)