Andreas Hanger hat im Mostviertel als Gemeinde- und Regionalpolitiker begonnen, 2013 erfolgte dann der Wechsel in den Nationalrat. Gefragt, ob er dafür denn nicht kandidieren wolle, habe ihn Wolfgang Sobotka. Hanger war dann für Nischenthemen wie Ehrenamt zuständig – bis er im März 2021 ÖVP-Fraktionsführer im U-Ausschuss wurde.

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Für viele Menschen ist es nur eine Floskel: Angriff ist die beste Verteidigung. Für Andreas Hanger ist es das Motto seiner politischen Karriere – zumindest seit März und bis jetzt. Denn seit der ÖVP-Hinterbänkler zum Fraktionsführer im Ibiza-Untersuchungsausschuss wurde, ist er quasi permanent im Angriffsmodus: Staatsanwälte, Politikerinnen, auch Journalistinnen und Journalisten waren sein Ziel. Seine Message war immer unmissverständlich: Der Ibiza-Untersuchungsausschuss ist eine Verschwendung von Steuergeld. Oder viel mehr noch: Er sei eine einzige "Kurz-muss-weg-Kampagne".

Unverhoffte Rolle

Hanger, der 53-jährige Niederösterreicher mit Igelfrisur, großer Gestik und leicht rotem Kopf, hat vom U-Ausschuss selbst aber auch profitiert, wenn man so will: Er wurde über Nacht bekannt, zu einem der lautesten Kommentatoren der Volkspartei, die ja eigentlich auch den Kanzler und zehn Ministerinnen und Minister stellt. Er ist in eine Rolle gerutscht, die früher meist der ÖVP-Generalsekretär ausgefüllt hatte – wurde zum Kettenhund der Türkisen. Der U-Ausschuss ist vorbei. Blüht ihm nun die große Politkarriere?

Zum Fraktionsführer im U-Ausschuss wurde er eigentlich durch eine Reihe an Zufällen. Ursprünglich hatte Wolfgang Gerstl den Vorsitz über, der erlitt allerdings einen Skiunfall und laborierte lange an den Folgen. Fast zeitgleich fiel die türkise Vize-Generalsekretärin Gaby Schwarz kurzfristig aus. Und der Druck auf die ÖVP stieg: Chats, Ermittlungen, die Opposition, auch die Grünen, die plötzlich mehr Stoff gaben. In der türkisen Bundespartei fasste man den Beschluss: Man braucht jemanden, der aus vollen Rohren zurückschießt. Es sei dann Klubobmann August Wöginger gewesen, der auf ihn zukam für den Job, sagt Hanger. Ein wichtiger Fürsprecher dürfte aber auch Wolfgang Sobotka gewesen sein. Er ist seit Jahren ein Mentor für Hanger. Und plötzlich war er der Mann der Stunde.

Eine Lücke in der ÖVP

Dass es dazu kam, liegt auch an einer Neukonstruktion im türkisen Gefüge, als Axel Melchior Anfang 2020 zum Generalsekretär wurde. Anders als seine Vorgänger – wie etwa Karl Nehammer oder Werner Amon – scheut Melchior die große Bühne. Er sieht sich als Manager nach innen, ist auch Teil des engsten Kreises rund um Sebastian Kurz, aber Medien? Nur wenn es unbedingt sein muss. In der ÖVP dachte man sich zu Beginn von Türkis-Grün: Einen polternden Generalsekretär brauchen wir ohnehin nicht mehr, schließlich stellen wir den Großteil der Regierung, Stimmen nach außen haben wir genug. Das war, bevor der U-Ausschuss seine Arbeit aufnahm.

Hanger fand seine neue Rolle schnell. Natürlich sei ihm klar gewesen, dass er durch die beschlagnahmten Handys und dadurch veröffentlichte Chats viel zu tun haben werde – und auch, dass ein offensiveres Auftreten gewünscht war. Und so provozierte, polemisierte und polterte Hanger drauflos.

Best of Hanger

Vor allem mit den Neos legte er sich oft an, das Verhältnis zu den Pinken sei "schwierig", was auf Gegenseitigkeit beruht: Helmut Brandstätter bezeichnete Hanger als "halb-schizophren", wofür er sich später entschuldigte. Einige Wochen später wurde er vom ehemaligen Kurier-Chef und heutigen Neos-Mann als "gschissenes Arschloch" beschimpft. Über die pinke Fraktionsführerin Stefanie Krisper und SPÖ-Fraktionsführer Kai Jan Krainer wollte Hanger ein Dossier mit aus ÖVP-Sicht besonders kritikwürdigen Aussagen zusammenstellen – und schickte es versehentlich ausgerechnet an Krisper selbst. Weil Aktenvermerke der Staatsanwaltschaft in den Medien landeten, fühlte er sich an "autoritäre Regime" erinnert, einen Vergleich mit der Stasi hielt er in dem Zusammenhang für "nicht weit hergeholt".

Aussagen wie diese fielen auf den fast wöchentlich stattfindenden Pressekonferenzen Hangers. Dabei kam sein Angriffsmodus nicht wirklich gut an: Bestenfalls erntete er Kritik oder Unverständnis, manchmal Beleidigungen oder gar Drohungen gegen seine Familie.

Spielplatz Politik

In die Politik kam Hanger nach eigenen Angaben ausgerechnet wegen eines Spielplatzes – beziehungsweise: weil es in seiner Heimatgemeinde Ybbsitz eben keinen gab. Nach erfolglosen Gesprächen mit Lokalpolitikern habe er als Jugendlicher mit Freunden kurzerhand selbst einen gebaut und dabei gemerkt, dass er die Gemeinde mitgestalten kann. Das klingt zunächst nicht nach dem Hanger, den man kennt. Auf den zweiten Blick erklärt diese Geschichte den Mostviertler Politiker ganz gut: Er wollte einfach schon immer seinen Kopf durchsetzen.

Das sagen auch jene, die ihn bereits seit Jahrzehnten und vor seinem Wechsel in die Bundespolitik kennen – aktuelle und frühere Mitglieder des Ybbsitzer Gemeinderates. Hangers Einstellung müsse gar nicht verwundern, hört man dort, denn im Mostviertel würden viele nach dem Motto aufwachsen: "Was die ÖVP sagt, geschieht." In Ybbsitz stellt die ÖVP aktuell 16 von 23 Gemeinderäten. Alle drei Oppositionsparteien zusammen haben nicht einmal halb so viele Mandate.

"Irgendwer muss die Drecksarbeit machen"

Als "aggressiv" will man Hanger in Ybbsitz aber trotzdem nicht beschreiben. "Forsch, das ist ein besseres Wort", sagt ein Ybbsitzer Oppositioneller. Hanger könne einen "richtig niederreden", werde aber nie beleidigend. Wieso dann das andere Auftreten nach dem plötzlichen Aufstieg auf die Bundesbühne? "Ich glaube, es wurde bewusst gesucht nach einem, der in das Rampenlicht will", sagt der Gemeindepolitiker. "Das Traurige ist, Hanger glaubt, es sei ein Karrieresprung. Ich bin mir sicher, dass es keiner war." Ein Ybbsitzer ÖVP-Mann meint dazu: "Das ist doch in jeder Firma so. Irgendwer muss eben die Drecksarbeit machen. Er tut das, so ist er halt – ehrgeizig."

In Wien rechnet man Hanger auch keine großen Chancen aus: "Er hat das gut gemacht", sagt ein Türkiser. Aber Hanger sei in der Bevölkerung wegen seiner ruppigen, polternden Art nicht besonders beliebt. Darüber hinaus: Für ein höheres Amt fehle ihm der Rückhalt aus der Partei. Seine "15 minutes of fame" sind jetzt wohl vorbei.

Thema am Wirtshaustisch

Hanger ist zwar von Sebastian Kurz seit Jahren überzeugt, wie er selbst sagt, sein politischer Werdegang und die Themen, die er immer verfolgte, sind aber klassisch "schwarz". Hanger war zur rechten Zeit am rechten Ort, vielleicht werde er für einen neuen U-Ausschuss wieder wichtig, hört man in der ÖVP. Aber sonst? Plötzlich wieder Hinterbänkler? Oder doch eine Karriere als Regional- oder Gemeindepolitiker?

"Also Bürgermeister würde er nicht werden", sagt ein ranghoher Ybbsitzer Parteikollege. "Hier unten beim Bürger, da passt er einfach nicht so rein." Beide, der ÖVP-Mann und der Oppositionspolitiker, würden Hanger wünschen, wieder in die zweite Reihe zu wechseln, sich zu besinnen: "Es geht bei allen Parteien nur noch darum, wie man zu Stimmen kommt. Nicht mehr darum, was denn jetzt eigentlich sinnvoll wäre", sagt der Schwarze aus Ybbsitz. Was passieren wird, wisse er nicht. Nur so viel: "Am Wirtshaustisch ist der Hanger seit Wochen Thema Nummer eins." (Lara Hagen, Katharina Mittelstaedt, 17.7.2021)